Eben noch das geliebte und viel gefeierte Baby im Leipziger Vereinsleben, hochgelobt von Leipzigs Stadt und Kulturpolitik - nun ist auch die Leipziger Notenspur-Initiative in den Strudel der ausbleibenden Förderungen geraten. Die Geschäftsstelle des Notenspur-Fördervereins muss Ende März schließen, teilt der Verein mit.
Der vom Stadtrat angestrebte “Schutzschirm” für Vereine hat für das “bürgerschaftliche Musterprojekt” – so die “Leipziger Blätter” – noch nicht gewirkt. Die städtische Förderung der Tätigkeit des Notenspur-Fördervereins ist für 2015 auf Null gesetzt worden. Die Schließung der Geschäftsstelle sei damit unausweichlich, teilt der Verein mit.
Erst vor wenigen Monaten gewann der Notenspur-Förderverein einen europaweit ausgeschriebenen Wettbewerb für Projekte unter dem Thema “Lebendige Erinnerungskultur” mit 437 Bewerbungen, so dass die Stadt Leipzig dadurch den Titel “Lebendigste Erinnerungsstadt” tragen darf.
“Besonders hervorgehoben wurde bei der Auszeichnung der breite Projektansatz – die Notenspur ist als Musikprojekt gestartet und hat sich inzwischen zum Stadtprojekt entwickelt mit den Themen Kultur, Stadtentwicklung, Bildung, Tourismus, interkultureller Austausch, Vernetzung von Grünbereichen, sanfte Mobilität, jüdische Geschichte u. a. – stets in der Verbindung mit Musik”, betont Prof. Dr. Werner Schneider, Leiter Leipziger Notenspur-Initiative, der mit der Leipziger Notenspur auch die Grundlage gelegt hat für Leipzigs Bewerbung um den UNESCO-Kulturerbe-Titel. Keine andere deutsche Stadt hat so viele Erinnerungsorte an berühmte Musiker wie Leipzig. In beiden Bewerbungen war gerade die – arbeitsintensive – Vernetzung Grundlage.
Schneider: “Genau dieser vernetzende Ansatz macht das Projekt bei der Umsetzung schwierig für die Stadtverwaltung. Mit seiner spartenübergreifenden Ausrichtung passt es nicht in die Schubladen der Dezernatsstruktur. Eine dezernatsübergreifende Unterstützungs- und Kommunikationsstruktur für das Projekt fehlt im Rathaus. Dieses strukturelle Zuständigkeitsproblem hat zum vorläufigen Förderungs-Aus geführt.”
Womit der engagierte Professor das Hauptdilemma in Teilen der Leipziger Verwaltung anspricht:
Die amtliche Schwierigkeit, Dinge in ihren Zusammenhängen zu denken. Und in diesem Fall auch: zu erkennen, wie die Kürzung oder Umverteilung der Förderinstrumente die Leipziger Vereinslandschaft treffen würde.
“Natürlich führt der Notenspur-Förderverein sein ehrenamtliches Engagement auch in Zukunft weiter. Projekte, die durch private Unterstützung oder öffentliche Förderung abseits von Kulturmitteln durchgeführt werden können, werden engagiert weitergeführt”, betont Schneider.
Dazu gehören zum Beispiel der Schneeblumen-Gedenkweg am 13. April, der gemeinsam mit Flügelschlag-Werkbühne zum Andenken an die Räumung des KZ-Außenlagers Wolfswinkel organisiert wird, oder die Kooperation mit dem Leo-Baeck-Institut New York und der EVZ-Stiftung zu jüdischer Musikkultur. Geführte Wochenend-Radtouren auf dem geplanten Leipziger Notenrad werden ebenso stattfinden wie eine spendenfinanzierte Ausstellung im Sächsischen Landtag, bei der das bürgerschaftliche Vorzeigeprojekt in Dresden für die Bürgerstadt Leipzig zu deren 1.000-jährigem Jubiläum wirbt und die Initiative und Kreativität der Leipzigerinnen und Leipziger ins Zentrum rückt.
Durch eine Unterstützung von Leipzig 2015 werde die Geschäftsstelle ab September sogar für ein Vierteljahr wieder geöffnet, um die Notenspur-Nacht der Hausmusik am 21. November zu organisieren. Selbstverständlich bleibe auch die Sorgfalt im Umgang mit Spenden.
Doch was fehlt, ist die so wichtige Organisationsarbeit im Büro.
Schneider: “Betroffen von der Schließung sind insbesondere Tätigkeiten, die eine kontinuierliche Entwicklung und Betreuung durch die Geschäftsstelle benötigen. Dazu gehören beispielsweise die Aktivitäten mit Kindern an der Kleinen Leipziger Notenspur. Besonders häufig wird die Notenspur als Vermittlungsmedium durch Schulen genutzt, weil die Notenspur durch ihre Verbindung von Stadterkundung und Musikerlebnis ein niederschwelliges Angebot auch für Kinder schafft, die von zu Hause wenig kulturelle Bildung mitbekommen und keine starke Lobby haben.
Führungsanfragen von Kindergruppen für April mussten leider abgesagt und bereits bestehende Anmeldungen für 300 Kinder konnten noch nicht bestätigt werden. Wegen der ungeklärten Förderperspektive musste der Verein seine Projekte zur sozialen Integration von Migrantenkindern bereits im vergangenen Jahr einstellen. Auch auf Veranstaltungen zu jüdischer Musikkultur für Schulen während der jüdischen Woche 2015 musste schweren Herzens verzichtet werden. Schade, dass diese Anliegen zum Miteinander der Kulturen gerade in der gegenwärtigen Situation im Verwaltungsgestrüpp zu ersticken drohen.”
Ebenso ungeklärt sei gegenwärtig, aus welchen Mitteln die bisher vom Verein de facto durchgeführte Förderung der Tourismuswirtschaft bestritten werden soll.
Die Notenspur entfaltet längst schon Wirkung über Leipzig hinaus.
“Allein im letzten Jahr sind auf Nachfrage von Hotels, Reiseanbietern, Jugendherbergen, Kulturinstitutionen und LTM mehr als 20.000 Flyer erstellt und ausgereicht worden”, so Schneider. Und das amtliche Schneckentempo bedroht nun auch das so gefeierte Prestige-Projekt der UNESCO-Bewerbung. “Eine diesbezügliche Anfrage an die Verwaltung zu Möglichkeiten der Finanzierung ist noch ohne Antwort. Schließlich wird durch die ausgebliebene Förderung auch die Leipziger Bewerbung um das Europäische Kulturerbe-Siegel beeinträchtigt. Die Projektorganisation verlangsamt sich durch die ausgebliebene städtische Unterstützung erheblich. Eine Anfrage beim Freistaat hat ergeben, dass es ohne Förderbekenntnis der Stadt zur Arbeit des Notenspur-Fördervereins keine ergänzende Finanzierung des Landes mit mehrjähriger Perspektive für das europäische Kulturprojekt geben wird.”
Und dann versucht er zu erklären, warum Projekte wie die Notenspur in Leipzig immer wieder auf der Strecke bleiben.
“Das Notenspur-Projekt ist für die Bedürfnisse und Anliegen der Leipzigerinnen und Leipziger sowie ihre Gäste entwickelt worden – nicht für die Bedürfnisse der Stadtverwaltung. Es ist weit mehr als eine Marketingkampagne”, sagt Schneider. “Der Notenspur-Förderverein wird auch künftig Leipzigs Musik mit Bildung, sozialer Integration, interkulturellem Austausch, Tourismusförderung, jüdischer Kultur, sanfter Mobilität u. a. verbinden und das große kulturelle Erbe unserer Stadt generations- und milieuübergreifend erlebbar machen.”
Und dann wird er sogar ein kleines bisschen sarkastisch:
“Das touristische Notenspur-Leitsystem im Stadtzentrum, mit dem sich Leipzig inzwischen international schmückt, wurde zunächst ebenfalls abgelehnt. Von einer fast tausendjährigen Dame sollte man keine Wunderdinge erwarten. Sie braucht einfach mehr Zeit, sich auf neue Ideen einzustellen und deren Potenzial auszuschöpfen. Der Notenspur-Förderverein wird jedenfalls auch weiterhin gern mit unserer liebenswürdigen 1.000-Jährigen zusammenarbeiten und sich dafür einsetzen, dass auch zukünftig Musik unsere Stadt bewegt und uns miteinander verbindet.”
Er setzt deshalb auch eher auf Leipzigs Stadträte als auf die Verwaltung: “Ob auch die Stadt dieses Anliegen unterstützt und ob die Notenspur-Geschäftsstelle wieder dauerhaft öffnen kann, entscheidet der neue Stadtrat.”
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