Am Donnerstag, 12. März, legte der Mehr Demokratie e.V. seinen Volksbegehrensbericht 2015 zur Entwicklung der direkten Demokratie auf Länderebene vor. Das macht der Verein, der für mehr direkte Demokratie in Deutschland kämpft, jedes Jahr. Manchmal mit froher Erwartung, meist mit stiller Ernüchterung. Denn der Weg zu einer simplen und barrierearmen Praxis der direkten Demokratie ist lang und mühsam.
Das zeigte auch das Jahr 2014 wieder, auch wenn ein Volksentscheid auf Länderebene – der zum Tempelhofer Feld in Berlin – Furore machte und Erfolg hatte. Aber tatsächlich sind die Quoren, bei denen Volksanträge zum Volksbegehren reifen und dann gar in einen Volksentscheid münden, in den meisten Bundesländern immer noch so hoch, dass die Initiatioren meistens scheitern.
Im Bericht klingt das ernüchternderweise so: “Der einzige Volksentscheid des Jahres 2014 fand in Berlin am 25. Mai statt, gemeinsam mit der Wahl zum Europaparlament. Er richtete sich gegen die Bebauung des Tempelhofer Flughafenfeldes und war im Sinne des Begehrens erfolgreich. Die Erfolgsquote der 2014 abgeschlossenen zehn Verfahren (ohne Volkspetitionen) lag mit 15 Prozent unter dem langjährigen Durchschnitt von 29 Prozent.”
Sie hat sich also verschlechtert. Der Mehr Demokratie e.V. liefert zwar auch Statistiken zur gesamten Geschichte der direkten Demokratie seit 1949. Aber wirklich zum praktikablen Instrument wurden Volksbegehren und Volksentscheide erst seit 1990. Warum das so ist, schildert der Bericht auch: “Diese Entwicklung hat drei Ursachen: Erstens stieg seit 1989 die Anzahl der Bundesländer, deren Verfassungen Volksbegehren und Volksentscheide vorsehen, von sieben (1989) auf 16 (1996) an. Damit erhielten viel mehr Menschen überhaupt die Möglichkeit, zu diesen Instrumenten zu greifen – zumal in den Ländern, die Volksbegehren und Volksentscheide neu aufnahmen, meist vergleichsweise anwendungsfreundliche Verfahren gewählt wurden. Zweitens wurden die Regeln in den vergangenen Jahren vielerorts verbessert …”
Auch Sachsen bekam ja mit seiner Verfassung dieses Instrument.
Aber bekanntlich ist es in 23 Jahren nur ein einziges Mal bis zum Volksentscheid gereift – das war 2001, als die Sachsen über das neue Sparkassengesetz abstimmen durften und es rundheraus ablehnten. Das ist durchaus vergleichbar mit dem auf Stadtebene 2007 absolvierten Entscheid zum Stadtwerkeverkauf in Leipzig. In beiden Fällen hatten die zuständigen Parlamente zuvor zugestimmt. Entsprechend laut war dann auch die öffentliche Argumentation gegen beide Entscheide. Und auch die Sachsen konnten durchaus mitbekommen, welche Befürchtungen Regierungen und Parlamentarier davor haben, dass ihre Entscheidungen durch den Souverän, das Wählervolk, doch noch einmal konterkariert werden könnten.
Das ist der Grund dafür, dass die meisten Gesetze über Volksenscheide bis heute so hohe Hürden eingebaut haben, dass kaum eine Initiative die Kraft, das Geld und die Zeit findet, die einzelnen Quoren zu erfüllen.
Im Freistaat Sachsen gab es in 23 Jahren Sachsen insgesamt 13 Initiativen, von denen es vier bis zum Volksbegehren schafften, nur eines aber erreichte den nötigen Unterschriftenanteil von 13,2 Prozent, um zum Volksentscheid zu werden. Das war der Volksentscheid zum Sparkassengesetz 2001. Um Erfolg zu haben, braucht es dann beim Volksentscheid selbst nur die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen.
Aber 13,2 Prozent sind eben auch wieder rund 400.000 Unterschriften, die man erst einmal sammeln muss.
In anderen Bundesländern liegt das Quorum beim Volksbegehren deutlich niedriger – zum Beispiel 3,6 Prozent in Schleswig-Hostein, in anderen liegt es hingegen so hoch, dass selbst die Stufe Volksbegehren praktisch illusorisch ist – wie in Hessen, wo das Quorum bei 20 Prozent liegt. Entsprechend weit hinten liegt Hessen dann auch im Ranking der Bundesländer. Sachsen liegt im Mittelfeld. Aber das eigentlich auch nur, weil in einigen Bundesländern praktisch seit 20 Jahren kein einziger Volksentscheid mehr auf die Beine kam. Der gelungene Volksentscheid von 2001 sorgt tatsächlich auch 13 Jahre später noch dafür, dass Sachsen beinahe gut da steht im Vergleich.
Tatsächlich läge es ohne diesen einen erfolgreichen Entscheid ebenso im Feld der Roten Laternen. Die Länder, in denen in den vergangenen zehn Jahren tatsächlich Bewegung ist in Sachen direkter Demokratie, heißen Schleswig-Holstein, Hamburg und Berlin.
Auch dort heißt es aber nicht immer nur Erfolg. Tatsächlich blieben auch 2014 die meiste Initiativen auf der Strecke, scheiterten an den vom Gesetzgeber eingebauten Hürden. Im Bericht heißt es dazu: “Im Jahr 2014 wurden insgesamt zwölf direktdemokratische Verfahren neu gestartet – drei mehr als 2013. Zehn davon waren Volksbegehren, zwei davon unverbindliche Volkspetitionen. Insgesamt zählten wir 23 laufende direktdemokratische Verfahren im Jahr 2014 und damit etwa gleich viele wie im Vorjahr (21). Es gab keinen regionalen Schwerpunkt bei den 2014 neu eingeleiteten Initiativen. Sie fanden in sieben Bundesländern statt. Interessanterweise wurden im Saarland und in Sachsen neue Verfahren eingeleitet. In beiden Bundesländern hatte es zuvor lange Zeit keine direktdemokratische Praxis gegeben.”
Also so eine Art Lebenszeichen.
Auch wenn in Sachsen schon seit Jahren klar ist, dass die Hürden einfach zu hoch sind, um die Verfahren wirklich anwendbar zu machen.
Dazu gehört auch noch eine Sonderregelung aus der Verfassung: “In Sachsen können 50 Prozent der Landtagsmitglieder nach Artikel 74, Absatz 3 der Verfassung einen Volksentscheid beantragen.” Nur kommen jenseits der Regierungsmehrheit im Normalfall keine 50 Prozent der Abgeordneten zusammen – mal ganz davon zu schweigen, dass die demokratischen Parteien mit der NPD niemals eine gemeinsame Sache gemacht hätten dieserart. Also gab’s auch aus dem Landtag keinen solchen Vorstoß.
Andere Vorstöße hingegen gab es immer wieder. Gerade die Oppositionsfraktionen legten immer wieder solche Anträge vor – zuletzt die Linksfraktion im Jahr 2013. Doch sie erlebten alle das Schicksal der meisten Oppositionsanträge: Sie wurden abgelehnt.
Für 2014 registriert der Mehr Demokratie e.V. zwei Initiativen der AfD, die Bedingungen für Volksentscheide in Sachsen zu erleichtern.
Aber aktuell liegt tatsächlich ein gemeinsamer Gesetzentwurf von Linksfraktion und Grünen-Fraktion im Landtag vor. Wenn SPD und CDU ihre eigenen Wortmeldungen zum Thema ernst nehmen, müsste es diesmal eigentlich zu einer Gesetzesänderung kommen.
Sicher ist das nicht. Gerade wenn es um die Bewahrung ihrer eigenen Entscheidungsbefugnis geht, mauern deutsche Abgeordnete gern. Auch das wieder erlebt 2013/2014 auf Bundesebene, als auch die neuen Koalitionsparteien mit dem Versprechen in den Wahlkampf gegangen waren, die Bedingungen für Volksentscheide deutlich zu erleichtern.
Das Fazit des Mehr Demokratie e.V. zu diesem Kapitel:
“Noch nie wurden Volksentscheide bei Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene so ernsthaft diskutiert wie 2013. Der Kompromissvorschlag von SPD und CSU ist ein Beleg dafür. Beide Seiten zeigten ihre Beweglichkeit, indem die SPD notfalls auch Referenden über EU-Themen und die CSU fakultative Referenden mittragen würde. Jedoch wurde 2013 wie auch 2014 erneut deutlich, dass bei der CDU weitere Überzeugungsarbeit nötig ist, um einen Einstieg in die direkte Demokratie auf Bundesebene zu finden.”
Tatsächlich zeigen die Zahlen für die zurückliegenden zehn Jahre, dass die Hürden für Volksentscheide für die beschränkten Ressourcen der Bürger, die welche initiieren wollen, in den meisten Bundesländern einfach zu hoch sind, um dieses Mittel der direkten Demokratie tatsächlich als selbstverständlich erlebbar zu machen.
Sachsen bekommt vom Mehr Demokratie e.V. insgesamt die Note 4 (3,8). Da bleibt eine Menge zu tun, bis das mal gute Rahmenbedingungen werden.
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