Es ging hoch her in der ersten Bürgerversammlung zur möglichen Erstaufnahmeeinrichtung im Leipziger Norden am 17. November im Haus Auensee. Wiederitzscher und Gohliser waren neben weiteren Besuchern gekommen, um mehr über die Planungen zur eventuell entstehenden Erstaufnahmeeinrichtung im ehemaligen Bundeswehrkrankenhaus zu erfahren. Nach der Berichterstattung und weiterhin bis heute fehlenden Informationen seitens des sächsischen Innenministeriums zum weiteren Werdegang in Wiederitzsch entstand ein Interview mit der Interessengemeinschaft.
Ihre Perspektive ist die derjenigen, welche derzeit nicht wissen, ob die Einrichtung für 350 Flüchtlinge in Wiederitzsch nun kommt oder nicht.
Vorweg muss man wohl eines feststellen. Leicht haben es in den vergangenen Wochen wohl alle nicht, die sich mit dem Thema Asyl, Flüchtlinge und deren Unterbringung befassen. Manche Argumente prallen an einem schlichten Nein ab, andere sind nur vorgeschoben, um irgendwie moralisch zu wirken und dennoch nur Nein bedeuten. Weshalb wohl neben einer zunehmenden Ausdifferenzierung der Sachdebatte auch ein gewisses Standing, eine Haltung zu Not, Krieg und dem Umgang mit den Folgen nie ganz fehlen sollten. Die IG Wiederitzsch hat sich versucht, vor Ort eine Linie zu geben. Und sie weiß um die Schwierigkeiten, in einem oft allzu laut geführten Diskurs überhaupt durchdringen zu können.
“Bei diesem stark polarisierenden Thema ist es nicht einfach, eine differenzierte und konstruktive Rolle auch in der öffentlichen Darstellung zu vermitteln. Genau so verstehen wir uns jedoch, und so wollen wir auch wahrgenommen werden. Als rationale, vermittelnde, pragmatische, kritisch hinterfragende und weltoffene Kraft in Wiederitzsch”, so die IG gegenüber L-IZ.de.
Die Antworten auf die Fragen sind im Namen aller innerhalb der Interessengemeinschaft.
Wie erleben Sie die derzeitigen Bürgerversammlungen und sonstigen Verfahren bei der Suche nach – im Falle von Wiederitzsch und Gohlis Nord – einer Erstunterbringung im Leipziger Norden?
Eine reaktive Vorgehensweise seitens der politisch Verantwortlichen (Informationen erst nach Entscheidung. Entscheidung ohne Anwohner) ist aus unserer Sicht falsch und erzeugt Ablehnung. Die Informationsveranstaltung des sächsischen Innenministeriums (SMI) am 17.11.14, die auf Druck der IG-Wiederitzsch erstmals! vor einer Standortentscheidung stattfand – also quasi eine Bürgerbeteiligung in der Standortdiskussion zuließ, ist der richtige Weg.
Aus Sicht der IG wurde in der Veranstaltung gut dargestellt, wie die Malteser eine solche Einrichtung betreiben und das SMI/LDS gute und wichtige Themen aus dem Würzburger Modell in die Vertragsgestaltung mit den Maltesern übernimmt.
Die Begründung für die Standortwahl fanden wir nicht überzeugend. Sollte der Standort auch aus Sicht des SMI nicht geeignet sein, jedoch aufgrund fehlender Alternativen die einzige Option – dann muss man das auch sagen!
Wie soll die Bürgerbeteiligung bei der Auswahl von Asylunterbringungen in der Stadt Leipzig nach Ihren Vorstellungen organisiert werden?
Bürgerbeteiligung vor Standortentscheidung: Nur durch Einbindung der lokal betroffenen Anwohner und Gemeinden können
– die Kriterien für die Standortauswahl transparent gemacht werden
– die Bewertung der Kriterien unter Einbindung der Anwohner diskutiert werden
– Ideen zur Einbeziehung der Nachbarschaft in den Betrieb und bisher nicht erkannte Nachteile des Standortes diskutiert werden.
– Nachteile gemeinsam an einem Tisch offen diskutiert und zu ergreifende Maßnahmen entschieden werden.
– Eine Willkommenskultur und Solidarität erreicht und nicht verordnet werden.
Bürgerbeteiligung nach Standortentscheidung (in Vorbereitung des Betriebs und während des Betriebes):
Wir fordern ganz konkret einen zweiwöchentlichen Vor-Ort-Termin mit
– dem Betreiber (Malteser, Auftragnehmer)
– der Stadtverwaltung (betroffene Verwaltung)
– der Landesdirektion Sachsen (LDS, Auftraggeber)
– der Anwohner (IG-Wiederitzsch Vertreter, besser Ortschaftsratsvertreter).
Inhalte:
– Vorbereitende Begleitung der Vertragsinhalte und Einbringen von Ideen aus dem Ortsteil. z.B. Beschäftigungsangebote in der Gemeindearbeit etc.
– Auswertung der Aushänge am schwarzen Brett (von den Maltesern zu betreibende bidirektionale Kommunikationsplattform zwischen Asylsuchenden und Anwohnern).
– aktuelle Informationen aus der Einrichtung (aktuelle Belegung, neue Angebote/Probleme etc., Transparenz zu Polizei/Krankeneinsätzen – gerade um Verständnis in der Bevölkerung zu erzeugen. Meist sind es ja normale Unfälle/Krankheitsfälle und eben keine Messerstechereien!)
– Planung gemeinsamer Aktivitäten in der Einrichtung (z. B. gem. Sportveranstaltungen) / in der Umgebung (z. B. gemeinsame Reinigungsaktionen)
– Ventilwirkung für ungeklärte Konflikte zur Vermeidung der Notwendigkeit polizeilichen Handelns (Deeskalation).
Wie könnte ein Verfahren aussehen, welches am Ende einen Konsens bei der Auswahl der Standorte zu einer Erstaufnahmeeinrichtung beinhalten könnte?
Ein Konsens im Sinne von “es gibt keinen geeigneteren Standort” halte ich für schwierig, da hierfür eine umfassende Transparenz zu verfügbaren Standorten und deren Bewertungskriterien an jedem dieser möglichen Standorte gleich bewertet werden müsste. Dennoch bringt die Einbindung der betroffenen Anwohner und eine Diskussion auf Augenhöhe immer ein größeres Verständnis für die Standortwahl, als ein – empfundenes – über den Kopf hinweg entscheiden.
Wir fordern bereits in den ersten Planungsphasen die Einbindung der Gemeindeverwaltungen/Ortschaftsräte etc.. Wir fordern Ehrlichkeit auch zu den zu erwartenden Nachteilen einer EAE – und natürlich die plausible Darstellung das präventiv alles getan wird – und zwar konkret nicht pauschal – um Spannungen und negative Auswirkungen zu minimieren.
Wie sähen die Vorteile der von Ihnen vorgeschlagenen neuen Wege bei der Suche nach Unterbringungsmöglichkeiten in Leipzig und der Erstaufnahmeeinrichtungen in Sachsen aus?
Wir schlagen keinen neuen Weg vor. Wir fordern schlichtweg saubere Vergleichbarkeit (Kriterienkatalog) und Transparenz (untersuchte Standorte). Neben der Standortwahl ist vor allem die Größe der EAE entscheidend. Je kleiner desto besser integrierbar.
Letztlich auch die Qualität des Betreibens (Stichwort Würzburger Modell, Finanzierungswillen und Engagement) und die klare Bekenntnis zu Integration ab dem ersten Tag.
Gäbe es Nachteile gegenüber den bislang angewendeten Verfahren?
Wir können uns keine vorstellen. Das bisherige Verfahren zur Auswahl einer EAE ist uns unbekannt und daher intransparent. Unser Kenntnisstand ist, dass im Falle des BWK das SMI mit einem Angebot seitens des Besitzers der Immobilie (Golden Gate GmbH) konfrontiert wurde – dies scheint uns nicht dem Anspruch an ein “Auswahlverfahren” zu genügen.
Ob es länger dauert mehrere kleine EAE Standorte zu finden, und wenn notwendig baulich auf ihre Funktion vorzubereiten, oder ob dies in Summe teurer wird – das können wir nicht sagen. Natürlich spielen in einem Kriterienkatalog auch die Kriterien “zeitliche Verfügbarkeit”, “Investitionskosten”, “Betreiberkosten” etc. eine Rolle.
Halten Sie (theoretisch) nach den bislang verfügbaren Informationen eine Erstaufnahmeeinrichtung im ehemaligen Bundeswehrkrankenhaus Wiederitzsch für umsetzbar?
Theoretisch und praktisch ist vieles umsetzbar. Jedoch für Asylbewerber und Anwohner ist aus unserer Sicht der Standort – auch temporär- eine sehr schlechte Lösung.
Warum?
– fehlender öffentlicher Raum (Parks, Spielplätze) und damit fehlender interkulturelle Kontaktmöglichkeiten mit Anwohnern und Untereinander
– Missverhältnis von 500 Asylsuchenden zu 300 Familien (im fußläufigen Umfeld)
– schlechte ÖPNV Anbindung (50min Takt).
– Fehlende Infrastruktur (Geschäfte; Gaststätten, Supermärkte etc. sind >800 m vom Objekt entfernt)
– wegen der Objektgröße (1 Wohnblock für 350 Personen mit allen bekannten Nachteilen der Gemeinschaftsunterbringung – siehe Presseberichte über Chemnitz/Schneeberg)
– wegen der Verdrängung der dort vorhandenen Nutzungen (Bundeswehrsanitätseinheit, Großküche, Bundespolizei) und der Verhinderung weiterer sozialer Nutzungen (Kindergarten, geplante REHA mit Nutzung des vorhandenen Schwimmbeckens)
– wegen betriebswirtschaftlich wenig sinnvoller Nutzung eines Krankenhauses (hoher Invest – genaue Zahl unbekannt) als reine Wohnunterkunft
Wenn nein, welche alternativen Standorte würden die Anforderungen für eine Erstaufnahmeeinrichtung in Sachsen erfüllen?
Ein bisschen ein Ratespiel …
Im zweiten Teil der Aussprache …
Beginnt man “hinten” bei den Fragen …
Seit einiger Zeit versucht …
Asyl in Leipzig (Teil 2): Was zahlt das Land Sachsen für die Flüchtlinge?
Zahlen statt Erzählungen …
Asyl in Leipzig (Teil 1): Wie viele Flüchtlinge kommen 2014 nach Sachsen und woher?
Es ist soweit, ab Anfang Dezember …
Eine Weile sah es so aus …
Das wissen wir auch nicht. Stichwort “Kriterienkatalog”, existiert ein solcher? Asylunterbringung mit einem dezentralem Ansatz (…wird aktuell aufgrund Planungsfehlern/Unattraktivität für Vermieter etc. ja meist nicht umgesetzt) = Einbindung der anderen Hausbewohner im Falle von Anmietung einzelner Wohnung = kein “Big Deal”, Willkommenskultur möglich.
Eventuelle einzelne Mieter mit abweichender Einstellung können und sollten aktiv durch städtische Sozialbetreuer informiert/aufgeklärt/unterstützt werden. Wenn dies nicht erfolgreich ist, sollten die einziehenden Ausländer vorab über eine Mediation mit diesen Mietern Kontakt haben!
Asylunterbringung in Gemeinschaftsunterkünften und EAE (500 Personen) sollte es nicht geben, die lokalen Auswirkungen und die Spannungssituation in den Einrichtungen sind zu gravierend. Die IG sieht hier auch keine Notwendigkeit dies zu tun, außer einer betriebswirtschaftlichen (Kosten, Aufwand) Optimierung. Und die ist an dieser Stelle völlig falsch.
Unsere Meinung ist: 10×50 Menschen verteilt über das Leipziger Stadtgebiet unterzubringen ist logistisch und finanziell darstellbar, reduziert die negativen Auswirkungen einer Massenunterkunft dramatisch und erhöht somit die Akzeptanz der betroffenen Anwohner und den Erfolg der Integrationsbemühungen ab dem ersten Tag.
Die Gründe für eine Nichtuntersuchung dieses dezentralen Ansatzes können wir nur vermuten. Diese zu erläutern ist Aufgabe des SMI. Eventuell hat es etwas mit der Zahl 500 und den damit verbundenen Kostenübernahmen durch den Bund zu tun? Also einfach mit Geld?
Was haben wir noch nicht gefragt?
Was sie nicht gefragt haben ist, wieso die Aufenthaltsdauer in einer Erstaufnahmeeinrichtung bis zu 3 Monaten dauern darf (und aktuell wird dies auch ausgeschöpft).
Die Entscheidung über die Aufnahme eines Asylverfahrens dauert aktuell (je nach Herkunftsland) im Schnitt mehr als 6 Monate. Die Asylsuchenden sind zu diesem Zeitpunkt bereits in den Gemeinden untergebracht (hoffentlich dezentral und gut angebunden) und erfahren bereits erste Integrationsunterstützung, befinden sich jedoch weiter in zermürbender Ungewissheit über ihren Status/ihre Zukunft.
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