Wer die Studien der Leipziger Hitschfeld-Agentur liest, der weiß es eigentlich, wie sehr immer mehr Bürger die Nase voll haben von den Selbstbeschenkungs-Orgien medienaffiner Politiker, von überdimensionierten Straßenbauten, überteuerten Hochgeschwindigkeitstrassen, ausufernden Großflughäfen und ähnlichem Prahlwerk eines Jahrhunderts, das noch glaubte, man könne sich für all seine Ingenieurträume auch ruhig für Jahrhunderte verschulden. Ein solcher sächsischer "Traum" hat jetzt wohl 250 Gegner.
Mehr als 250 Bürgerinnen und Bürger aus den Ortsteilen Großpösna, Holzhausen, Liebertwolkwitz und Mölkau haben sich am Donnerstag, 16. Oktober, zum Bürgerbegehren “STOPPT die ICE-Trasse Leipzig – Chemnitz” im Stadtgut Mölkau versammelt und wollen sich jetzt einmischen. Die aktuelle Berichterstattung der LVZ über den Streckenausbau der ICE-Trasse zwischen Leipzig und Chemnitz hat die Initiatoren zur Gründung einer Bürgerinitiative (BI) bewegt. Unter der Überschrift “Von Leipzig nach Chemnitz im ICE-Tempo – eine Vision wird konkret” hatte die LVZ über die keineswegs konkreten Plätze des noch amtierenden sächsischen Verkehrsministers Sven Morlok (FDP) berichtet, die Städteverbindung auf ICE-Niveau auszubauen. Die Deutsche Bahn war mit im Boot und freute sich wahrscheinlich bärisch darüber, dass der Freistaat Sachsen quasi im Namen seiner Steuerzahler die Kosten von über 2,4 Millionen Euro für die Vorplanungen übernommen hatte.
Bei der völlig überfüllten und diskussionsreichen Veranstaltung am 16. Oktober wurde freilich auch deutlich, dass die Bürger auf Grund des hohen Informationsdefizits verunsichert und besorgt sind. Die Bandbreite der Meinungen ging von “ICE-Strecke und Güterverkehr sind nicht aufzuhalten” über “es gibt gar keine Vorplanungen”, bis “es handelt sich um Morloks Luftblase”. Nur weiß man halt bei solchen “Luftblasen” nie, wer hinter den Kulissen noch ein Interesse daran hat, dass das über 200 Millionen teure Großprojekt dennoch umgesetzt wird. Deutschlands Baukonzerne haben für gewöhnlich einen sehr kurzen Draht in sämtliche Verkehrsministerien, wo die Projekte für Straßen- und Schienenbau vorangetrieben werden. In vielen dieser Ministerien ist noch längst kein Umdenken eingetreten, träumen Minister von großen Neubau-Projekten, obwohl das verfügbare Geld dringend gebraucht wird, um die vorhandene Infrastruktur in Stand zu halten.
Und wenn der nächste Minister das Vorhaben abbläst oder auf die einfache Ertüchtigung einer wichtigen Regionalstrecke reduziert, kann schon sein Nachfolger wieder den Traum vom großen Zampano haben und den Geldhahn aufdrehen. Ohne Bürger, die sich tatkräftig einmischen, wird es künftig wohl nicht mehr gehen.Also lassen sich auch die Initiatoren der Bürgerinitiative nicht beirren, denn laut Informationen des Staatsministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr vom 19. August sind die Vorplanungen abgeschlossen.
Verkehrsminister Sven Morlok erklärte damals: “Damit sich eigenwirtschaftlicher Fernverkehr auf der Strecke zwischen Chemnitz und Leipzig lohnen kann, müssen die infrastrukturellen Voraussetzungen geschaffen werden. Mit der Vorplanung haben wir den notwendigen Ausbaubedarf konkretisiert und die Weichen für die weiteren Planungen gestellt. Der nächste Schritt ist die Beauftragung der Entwurfs- und Genehmigungsplanung. Wir wollen jetzt zügig die Gespräche mit der Bahn weiterführen, mit dem Ziel, im Herbst eine unterschriftsreife Vereinbarung vorliegen zu haben. Der Freistaat bietet hier seine Mitfinanzierung an, die Mittel stehen im Haushalt bereit.”
Er fügte auch hinzu, dass er das Projekt gern im Bundesverkehrswegeplan sehen möchte: “Wir haben den Ausbau und die Elektrifizierung der Strecke Leipzig – Chemnitz bereits für den neuen Bundesverkehrswegeplan angemeldet. Die Ergebnisse der Vorplanung liefern nun weitere Argumente, um uns beim Bund für die Aufnahme des Projektes stark zu machen.”
Dort steht es dann auch als angemeldeter Neubedarf: “2-gleisiger Ausbau und Elektrifizierung Leipzig-Borna-Geithain-Chemnitz, Vmax 160 km/h”. Ein konkretes Jahr kann niemand dazu schreiben, denn die aktuell verfügbaren Gelder sind in den vordringlichen Kategorien auf Jahre gebunden: Was jetzt vorgeschlagen wurde, wird im neuen Bundesverkehrswegeplan ab 2015 erst untersucht. Fällt die Untersuchung aus, wie es zu erwarten ist, steht Sachsen in ein paar Jahren wieder da mit einer Strecke, die eigentlich nachhaltig ausgebaut werden muss – aber auf Regionalbahnniveau. Nur dass es keine Finanzierung dafür gibt. Denn vor 2020 würde das Projekt – selbst wenn es in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen wird – nicht eingetaktet werden. Ob es je den Status “vordringlich” bekommt, ist völlig offen. Aber noch ist es einer von über 300 “Projektvorschlägen” aus ganz Deutschland.
Ministerträume von einer ICE-Strecke nach Chemnitz: In Mölkau gründet sich eine Bürgerinitiative gegen das hochgejubelte Projekt
Es gibt Tage, da öffnet man …
Elektrisch von Leipzig nach Chemnitz: VCD kritisiert Minister für seine ICE-Luftballons
Es war Wahlkampf …
Verkehrsministerium legt “Strategiekonzept Schiene” vor: Traumschlösser für Großprojektanten
Sachsens Verkehrspolitik hat sich …
Ziel der Initiatoren ist deshalb zunächst die Verhinderung der endgültigen Aufnahme des Projektes in den Bundesverkehrswegeplan und damit die Verhinderung des Ausbaus einer nicht rentablen Fernverkehrsstrecke mit möglichem Güterverkehr zwischen Leipzig und Chemnitz.
Als Begründung wurde in der Diskussion am 16. Oktober angeführt, dass Vorplanungs- und Umsetzungskosten in Höhe von 2,4 Millionen Euro und 270 Millionen Euro in keinem Verhältnis zu 3 Minuten Zeitersparnis gegenüber dem jetzigen Regionalexpress stehen. Die Bürger, die sich jetzt in der Initiative versammeln, richten sich gegen diese sinnlose Vernichtung und Zweckentfremdung von Steuergeldern. Zudem steht die Eigenwirtschaftlichkeit der Fernverkehrsstrecke zwischen Leipzig und Chemnitz in Frage. Die veranschlagten Gelder sollten stattdessen für den nachhaltigen Ausbau von Nahverkehrsprojekten bzw. die Renovierung von touristisch attraktiven Strecken verwendet werden. Dafür sei eine Elektrifizierung der Strecke nicht nötig, so die Initiatoren.
Die nächsten Arbeitsschritte der BI sind nun: als erstes eine Kontaktaufnahme zum Ministerium und das Einholen von umfassenden Informationen zum Planungsstand und zur Bewirtschaftung der Strecke (ICE und/oder Güterverkehr?), Einbeziehung der Ortschaftsräte sowie des Leipziger Stadtrates, um danach weitere gezielte Gegenmaßnahmen zu starten.
Die nächste Sitzung der Bürgerinitiative findet am 20. November statt.
Bundesverkehrswegeplan: www.bmvi.de/DE/VerkehrUndMobilitaet/Verkehrspolitik/Verkehrsinfrastruktur/Bundesverkehrswegeplan/bundesverkehrswegeplan_node.html
Die Liste der im Bundesverkehrswegeplan angemeldeten Projekte: www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Anlage/VerkehrUndMobilitaet/bvwp-uebersicht-vorhaben-schiene.pdf?__blob=publicationFile
Die Ergebnisse der Vorplanung als PDF zum Download.
Keine Kommentare bisher