Die Leipziger Degrowth-Konferenz geht in die dritte Runde. Zu der heutigen Pressekonferenz erläuterte Organisatorin Nina Treu kurz, was die Konferenz so einzigartig mache. "Basis der Konferenz ist ein basisdemokratisch konzipierter Organisationskreis von 70 Leuten", erklärt die Mitbegründerin des Konzeptwerks Neue Ökonomie e. V. aus Leipzig. Durch die Mischung aus Wissenschaft, Aktivismus und Kunst ergebe sich ein Konferenzformat, das in Deutschland so noch nicht etabliert sei.
Auch seien die 400 Einzelveranstaltungen darauf angelegt, dass die Teilnehmer nicht nur konsumieren, sondern auch selbst mitmachen können. Im sogenannten Open-Space können Interessierte sich in Gruppen zusammenfinden, um Themen, die in den Veranstaltungen zu kurz kamen, weiter zu diskutieren.
Bereits gestern referierten zwei andere Vertreter des Konzeptwerks Neue Ökonomie e. V. über die Wachstumskritik und Alternativen. Jona Blobel und Johannes Schneeweiss versuchten in ihrem Einführungsvortrag zu klären warum es Wachstum gibt, warum Degrowth als Alternative in Frage kommt und welche Wege dorthin führen sollen.
Wachstum ist durch die Konkurrenz der Unternehmen, die der Logik “Wachse oder weiche!” folgt, begründet. Auch durch das Sparen von Kapital ergibt sich nach der Logik des stetigen Wachstums zwangsläufig die Notwendigkeit einer Suche nach neuer Verwertung und Profitmaximierung. Durch den Imperativ des Fortschritts verstärkt und reproduziert selbst Bildungswesen Marktkonformität. Der unweigerliche Weg in den Untergang sei nur durch Suffizienz, soll heißen durch die Reduzierung des Konsums von Gütern, die einen hohen Ressourcenverbrauch fordern, zu verhindern.
Niko Paech, Professor und Vertreter des Lehrstuhls für Produktion und Umwelt an der Karl von Ossietzky Universität Oldenburg, sprach in der Pressekonferenz in diesem Zusammenhang von verschiedenen Wachstumsgrenzen, die erreicht seien und die uns dazu nötigen, eine Postwachstumsgesellschaft zu etablieren.
Wachstumsgrenzen ökologischer Art sind keine Theorie mehr, sondern messbar geworden, so Paech. Alle bisherigen Versuche, ein umweltverträgliches Wachstum, eine green economy zu erzeugen, seien nicht nur gescheitert, sondern haben zu einer eklatanten Verschlechterung der ökologischen Situation geführt. Die ökologischen Schäden seien nur umgewandelt worden in eine andere Form. Es geht nicht darum, die Emissionen langsamer zu machen und damit den Klimawandel zu verlangsamen. Abgase müssen verringert werden. Blobel erklärt, dass 85 Prozent Emissionsbegrenzung bis 2050 notwendig wären, um irreversible Schäden des Weltklimas zu verhindern.
Für Paech kann wirtschaftliches Wachstum nur unter den Bedingungen von industrialisierter Produktion erzielt werden. Die industrialisierte Produktion verändert die Gesellschaften dahingehend, dass Menschen, die sich über die Industrie versorgen, davon abhängig werden. Industrialisierte, ohne Wachstum nicht zu stabilisierende Gesellschaften seien demnach sehr verletzbar. Um diese Verletzbarkeit auf ein Minimum zu beschränken, sei die Unabhängigkeit von Märkten und Industrie notwendig. Das setze wiederum voraus, dass es keine Wachstumsökonomie gibt.
Was die Zunahme an Zufriedenheit durch Wachstum anbelangt sind sich Blobel, Schneeweiss und Paech einig. Ab einem gewissen Einkommensniveau führe der Wirtschaftswachstum nicht zu höherer subjektiver Lebenszufriedenheit. Das Gegenteil ist der Fall. Der Wille, immer mehr haben zu wollen, aber nie ein Gefühl der Sättigung zu erlangen, ist Teil unserer Gesellschaftspathologie.
Paech spricht in diesem Zusammenhang vom Peak of happiness. Der Zuwachs an materiellen Möglichkeiten einer wachsenden Gesellschaft befördert eher noch den Stress, den Verlust eines psychischen Gleichgewichts. Ist aber nicht das psychische Ungleichgewicht ausschlaggebend für die Schaffung und Etablierung des Systems? Das System ist nicht die ultima Ratio, es ist selbst geschaffen.
Ebenso sei die Annahme, Wachstum führe zu einer gleichmäßigeren Verteilung von Reichtum, schlichtweg falsch. Auch hier ist das Gegenteil der Fall. Ein Beispiel: 85 Menschen vereinigen soviel Vermögen auf sich wie 3,5 Milliarden Menschen zusammen. Mit dem Wachstum sinkt eher noch die Zufriedenheit aufgrund der ungleichen Einkommens- und Vermögensunterschiede.
In der Postwachstumsgesellschaft, so Schneeweiss und Blobel, soll das Wachstum nicht mehr der Normalzustand sein. Was nicht heißt, dass es gar kein Wachstum mehr gibt und wir in die Steinzeit zurückkehren müssen. Allerdings seien Reduktionsleistungen unumgänglich. Kooperation soll das Grundprinzip des Wirtschaftens sein und Nachhaltigkeit im Vordergrund stehen.
Als Schritte in eine Postwachstumsgesellschaft schlagen Blobel und Schneeweiss folgende Schritte vor, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben.
Leipziger Degrowth-Konferenz eröffnet: Auf der Suche nach der großen Transformation
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Ressourcen und Reichtum (Spitzensteuersatz) müssen stärker besteuert werden. Arbeit dagegen weniger. Das würde dazu führen, dass sich Reparaturen wieder lohnen und der Neukauf und damit verbunden das Wegwerfen weniger würden. Staatliche Investitionen und Subventionen müssten umgelenkt und die Finanzmärkte zur Abschaffung der Akkumulation von Kapital durch Spekulation reguliert werden.
Durch Arbeitszeitverkürzung könnte die bestehende Arbeit gerechter verteilt werden. Ebenso würde durch ein Grund- oder Maximaleinkommen Zeit für andere Kapazitäten, die nicht im Zusammenhang mit Lohnerwerb stehen, frei werden. Eine Suffizienzpolitik müsste Maßnahmen gegen den geplanten Verfall von Produkten, der sogenannten Sollbruchstellen, ergreifen, um durch Qualität Beständigkeit herstellen zu können. Desweiteren müsse es eine Begrenzung von Werbung im öffentlichen Raum geben sowie kostenlosen ÖPNV.
Wo Bildung dazu da ist, Marktkonformität zu bilden, ist eine Reform des Bildungswesen natürlich unumgänglich. Aber auch im privaten Bereich könne durch Teilen, Tauschen, Schenken, Selbstversorgung etc. viel erreicht werden. Das setzt natürlich ein ganz anderes Bewusstsein für Eigentumsverhältnisse voraus.
Wie dieses Bewusstsein geschaffen werden soll, darauf hat die Konferenz bisher noch keine Antwort gehabt. Auch umschiffen die Vorträge, Workshops und Diskussionen gekonnt eine der wesentlichsten Fragen, ohne deren Beantwortung das ganze Konzept unvollständig ist. Die erste Frage ist nicht die nach dem Ausweg, der in vielerlei Hinsicht fabuliert wird, sondern die nach den Bedingungen und Umständen, die dazu geführt haben, dass es zu dem kommen konnte, was hier als Krise bezeichnet wird. Die Frage nach den Möglichkeiten der Zementierung von Wachstum sei eine Frage, die zu weit gehe, so Blobel. Diese wäre aber doch die erste entscheidende, nach der zu fragen wäre, und auf der alle anderen aufbauen. Eine Archäologie des Wachstums fehlt gänzlich. Ebenso wie die allgemeine Verständigung über einen Naturbegriff, den man kollektiv verwenden will. Ohne diese Fragen ist Wachstumskritik nicht radikal, weil sie dem Wortsinn nach nicht an die Wurzel rührt. Die Vagheit des Kampfbegriffs (Neues Deutschland) macht derzeit jedoch den Attraktivitätswert der Bewegung aus, so hat es den Anschein. Warum auf der Konferenz kein der Degrowth-Bewegung kritisch gegenüberstehender Referent gesprochen hat, ist auch fragwürdig. Kontroversen tauchen nicht auf.
Die Utopie der großen Transformation gleicht vor diesem Hintergrund einer pseudoreligiösen Heilserwartung, die ihren finalen Zielpunkt beschlossen hat, aber ihr Woher noch nicht geklärt hat. Aber was noch nicht ist …
www.konzeptwerk-neue-oekonomie.org
Der Vortrag Niko Paech: “Befreiung vom Überfluss”
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