Vielleicht sollte man neu gewählten Abgeordneten immer einen schönen großen Taschenrechner zum Beginn ihrer Amtszeit schenken - mit schönen großen Tasten, damit sie die Zahlen lesen können. Denn am Ende geht es immer um Zahlen. Auch wenn beispielsweise eine Arbeitsministerin auf Zeit kurzerhand die Förderungen für den "Zweiten Arbeitsmarkt" zusammenstreicht, weil alle "Klienten" auf dem Ersten Arbeitsmarkt ankommen sollen. Ergebnis: Leipzigs Vereine melden: "Hallo Stadtrat! Haben da ein Problem!" - Nun auch aktuell aus Lützschena.

Der Antrag ist nicht ganz neu. Beschlossen hat ihn der Ortschaftsrat Lützschena-Stahmeln schon am 9. September 2013. Am 17. September trudelte er bei der Stadt ein. Eigentlich sind’s zwei Anträge in einem. Zum einen geht es um die Fortführung der Auwaldstation übers Jahr 2014 hinaus. Der Vertrag der Stadt Leipzig mit dem Förderverein Auwaldstation und Schlosspark Lützschena e. V. (FAS) läuft zum Jahresende aus. Es braucht also einen Folgevertrag für die 1998 von der Gemeinde Lützschena geschaffene Auwaldstation, die sich längst als Bildungsstation zum Auwald für die ganze Stadt Leipzig etabliert hat. Mit der Eingemeindung von Lützschena-Stahmeln zu Leipzig übernahm die Stadt auch die Förderung für die Auwaldstation. Und sie nutzt den Standort gern, um ihre diversen Hochtage zu zelebrieren, wenn sie mal wieder Umweltschutz im Auwald demonstrieren möchte.

2011 konnte die damals von der Stadt geplante Kürzung der Fördersumme von 35.000 Euro für die Auwaldstation abgewendet werden. Aber mit der Streichung der diversen Eingliederungsmittel der Jobcenter, mit denen hunderte Leipziger Vereine in der Vergangenheit ihre personelle Arbeit abgesichert haben, reißt auch in der Auwaldstation ein Loch auf.

Und so heißt es im Antrag des Ortschaftsrates auch entsprechend: “Die Stadtverwaltung sichert die Fortführung der Umweltbildungsarbeit der Auwaldstation auf vertraglicher Grundlage über 2015 hinaus und stellt zusätzlich zu den bisher vereinbarten 35.000 Euro noch weitere 15.000 Euro zur Verfügung. Der Ortschaftsrat setzt sich mit seinem Antrag für die Fortsetzung der Arbeit der Auwaldstation ein. Bis 2014 ist auf vertraglicher Basis der Bestand der Station gesichert.”

Dabei hat man starke Argumente: “Der Bestand der Auwaldstation ist durch den Eingemeindungsvertrag zugesichert. Um die erreichte Qualität der Umweltbildung halten zu können ist ab 2015 ein Mehrbedarf von 15.000 Euro gegeben. Dieser Betrag wird vorrangig zur Abdeckung der Personalkosten benötigt, da die bisher genutzten Fördermöglichkeiten wegfallen. Zur Gewährleistung der Öffnungszeiten an allen Wochentagen muss mindestens eine zweite Arbeitskraft zur Verfügung stehen und bezahlt werden. Diese 15.000 Euro sind nur der absolut mindeste Betrag für das Vorhalten des Personals. Der Förderverein Auwaldstation und Schlosspark e.V. hat sich das Ziel gesetzt, Betriebskosten, Büro- und Sachkosten sowie Projektkosten selbst zu übernehmen. Einnahmen sind mit der außerschulischen Umweltbildungsarbeit nur in sehr bescheidenem Umfange erzielbar. Diese können auch nicht zulasten der Eltern und Kinder erhöht werden.”Ein halbes Jahr schlummerte der Antrag in der Verwaltung. Im Juni kam er nun wieder zur Beratung in die Ausschüsse Finanzen und Umwelt und Ordnung, wo gleichzeitig über drastische Einschnitte bei anderen Vereinen debattiert wird. Denn dadurch, dass fast die gesamte Leipziger Vereinsszenerie in der Vergangenheit auf die Förderinstrumente des Jobcenters angewiesen war, die seit 2013 systematisch wegbrechen, wird erst einmal sichtbar, wie dünn die Finanzausstattung der Leipziger Vereine überhaupt ist. Das Problem war absehbar. Die Linksfraktion hat nicht umsonst den Aufbau eines öffentlichen Beschäftigungssektors in Leipzig gefordert.

Spätestens zum Jahresauftakt 2014 wäre eine stadtweite Datensammlung zur Situation der Vereine überfällig gewesen. Natürlich kann man sich ganz honorig auf den Standpunkt zurückziehen, dass Vereinsarbeit reines bürgerschaftliches Engagement ist und entsprechend auch durch Spenden und Sponsoring zu finanzieren.

Aber auch dazu hat sich die Stadtverwaltung bislang jede Datenerhebung gespart. Wer spendet denn eigentlich in Leipzig und vor allem wofür? Wer bekommt die großen Batzen der Spendengelder und wer wird gar nicht berücksichtigt? Wieviele Leute sind im Leipziger Fundraising unterwegs? Wie wichtig ist die Sponsoringtätigkeit der Kommunalunternehmen und wem kommt sie zugute? Und wo haben sie ihre Sponsoringtätigkeit in der Vergangenheit schon drastisch zurückgefahren – auch auf Willen des Stadtrates hin?

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Und natürlich die nicht ganz unwichtige Frage: Was würde alles wegbrechen, wenn es keine ABMs und AGHs und ähnliche “Arbeitsmarktinstrumente” mehr gibt?

Hätte sicher einen Haufen Aufwand verursacht. Wäre aber das notwendige Wissen, wenn eine Stadt wie Leipzig überhaupt einmal ernsthaft über das Thema Ehrenamt diskutieren möchte.

So bleibt es immer bei “Einzelfällen”, die an die Öffentlichkeit ploppen, wenn es eigentlich schon zu spät ist. Vorher hat man sich ganz gut durchgewurstelt. Dann gibt es eine kleine Kürzung – und schon ist das genau der Betrag zu wenig, der das Weiterarbeiten unmöglich macht.

Das Nicht-Wissen um die Vereinslandschaft und ihre finanzielle Ausstattung macht natürlich auch jede Förderung durch die Stadt zum großen Lotteriespiel. Der Antrag des Ortschaftsrates Lützschena-Stahmeln kommt nun am 16. Juli zur Entscheidung in den Stadtrat.

www.auwaldstation.de

www.fas-luetzschena.de

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