Es wird nicht ruhiger um die montäglichen Versammlungen auf dem Augustusplatz. Mal mehr, mal weniger Leute versammeln sich nun Woche für Woche zur Mahnwache auf dem Platz vor der Leipziger Oper, halten Ansprachen, singen Lieder, lassen Luftballons aufsteigen und fordern Frieden. Die Gemengelage bereits unter den Veranstaltern ist komplex, einfache Antworten auf unzählige ebenso schwierige Fragen gab es im Rahmen des L-IZ - Interviews nicht zu erwarten. Drei der Macher der Mahnwache haben sich bereit erklärt, es zu versuchen. Im Interview also Anne, Daniel und Mike von den Leipziger Organisatoren.

Alle bisherigen Aufrufe seitens der Montagsdemonstranten richteten sich auf die Forderung nach Frieden (in der Ukraine, auf der ganzen Welt). Wundert Euch der mediale Gegenwind angesichts dieser doch eindeutigen Forderung oder habt Ihr damit gerechnet?

Wir sehen das nüchtern. Die Bundesrepublik ist Mitglied der NATO und ist damit Teil eines Bündnisses welches Kriegskoalitionen und Militärstrategien für weltweite Interventionspläne schmiedet. Man muss sich vergegenwärtigen, dass es auch in der Bundesrepublik handfeste Interessen an diesem Konflikt gibt. Seit Jahren versuchen EU Kommission, Bundesregierung und die US-Administration mit allen Mitteln ökonomischer und politischer Erpressung die Ukraine aus dem Einflussbereich Russlands herauszulösen.

In dem zwischen EU und ukrainischer Putschregierung vor wenigen Wochen unterzeichneten politischen Teil des Assoziierungsabkommens verpflichtet sich die Ukraine nicht nur zur “freien Marktwirtschaft” sondern auch zu einer militärischen und rüstungswirtschaftlichen Anbindung an die EU.

Außerdem sollte man, wenn es um die Berichterstattung in den hiesigen Medien geht, nicht unberücksichtigt lassen, welche Entwicklung in den letzten Jahrzehnten durch Privatisierung und Kommerzialisierung hier stattgefunden hat. Die finanzieren sich doch zum Großteil nur noch über Werbung und machen sich damit abhängig. Darum hat man ja so eine starke Eindimensionalität in der Berichterstattung hierzulande. Die meisten schreiben nur ihre Agenturmeldungen ab. Für qualitativen Journalismus und Recherchen fehlt die Zeit und das Geld. Krieg und Kapitalismus sind zwei Seiten einer Medaille und im Krieg stirbt die Wahrheit bekanntermaßen zuerst.

Jedem Journalisten der sich trotz “marktwirtschaftlicher Zwänge” damit nicht abfinden möchte, sei die Lektüre von Zbigniew Brzezinskis “Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft” ans Herz gelegt und besonders jene mehr als 20 Textstellen empfohlen, die den “geopolitischen Dreh- und Angelpunkt Ukraine” betreffen.

Neben der Grundforderung nach Frieden tauchen auch viele andere Gebiete, wie Geldsysteme, Ernährungsmittel und deren Erzeugung, Medien als “Systemmedien” und weiteres auf. Könnt Ihr bitte erläutern, wie das für Euch mit der Forderung nach Frieden zusammenpasst?

Den Massenmedien wurde in den letzten Wochen enorm einseitige Berichterstattung und “Nato-Propaganda” gegen Russland in Bezug auf die Konflikte in der Ukraine vorgeworfen. Medien prägen Begriffe und beeinflussen die Meinung der Bevölkerung. Wenn wir also einer Medienlandschaft ausgesetzt sind, welche tatsächlich propagandistische Mittel der Kriegshetze einsetzt, besteht die Gefahr, dass die Menschen im Land für einen Angriffskrieg Zustimmung finden, sodass die Regierung ohne großen Widerstand militärisch intervenieren könnte.

Und es ist mittlerweile kein Geheimnis mehr, dass sich nicht wenige einflussreiche Chefredakteure in NATO-freundlichen Lobby-Gruppen wie der Atlantik-Brücke engagieren, welche militärische Interventionen bevorzugen.

Hinzu kommt, dass die Massenmedien trotz Einladung und Hinweisen auf die Mahnwachen für den Frieden in vielen deutschen Städten, überhaupt nicht über uns berichtet haben. Erst als sich wegen dieses Umstandes im Internet ein heftiger Protest auf den Seiten der Medien auslöste, waren sie dazu genötigt zu reagieren. Doch statt einer neutralen bzw. ausgewogenen Berichterstattung nachzugehen, wurden die Mahnwachen überwiegend verunglimpft und somit der Friedensbewegung geschadet. Und weil das mit unserer Forderung nach Frieden unvereinbar ist, sprechen wir das Thema Medien an und fordern eine freie Presse, die aufklärt anstatt zu manipulieren.
Was ist mit den anderen Themen?

Weltweit werden pro Tag knapp fünf Milliarden Dollar für das Militär ausgegeben. Auf der anderen Seite sterben täglich 24.000 Kinder unter fünf Jahren aus Mangel an Nahrung, Mangel an sauberem Wasser und Mangel an medizinischer Versorgung. Das Thema Ernährung wurde aber auch deshalb angesprochen, weil es sich um eine Angelegenheit handelt, die jeden betrifft. Die Qualität und Gesundheit der durchschnittlichen konsumierten Nahrungsmittel, sind vor allem wegen der Genmanipulation und der vielen chemischen Zusatzstoffe und Pflanzenschutzmittel, in einem kritischen Zustand und Auslöser von vielen Krankheitsbildern.

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Wir versuchen davor zu warnen, weil jeder Mensch neben dem Frieden genauso ein Interesse daran hat, gesund zu bleiben. Hierbei kann jeder einzelne direkt durch die richtige Auswahl der Nahrungsmittel Einfluss nehmen und somit Teil einer Lösung sein, wie sie von vielen gewünscht wurde. Genmanipulation sowie einige Pflanzenschutzmittel gefährden und zerstören die Natur als unsere Existenzgrundlage.

Was viele auch ausblenden ist, das mit Nahrungsmitteln auch Krieg geführt wird. Sei es an der Börse durch Nahrungsmittelspekulationen oder wenn es um Landgrabbing, also die großflächige Enteignung und Benachteiligung von Kleinbauern geht. Diese Missstände in der Landwirtschaft gefährden ebenso die Nahrungserzeugung, die für unser Überleben notwendig ist – die Eigentumsfrage ist nicht nur hier zentral. Ein anderer Aspekt bei der Nahrung ist auch die Massentierhaltung, die in vielerlei Hinsicht in dieser Form ethisch bedenklich ist. Frieden gilt nicht nur zwischenmenschlich, sondern auch mit den Tieren und der Natur als Bewohner eines gemeinsamen Planeten.

Das Geldsystem ist ebenso ein wichtiger Punkt, welches mit dem Thema Frieden unbedingt verknüpft werden muss. Die gezielte Verschuldung von Staaten wird benutzt um eine Politik des Ausverkaufs zu erzwingen wie wir es die letzten fünf Jahre in den Ländern Südeuropas beobachten konnten.

Ein ähnliches Verarmungsprogramm wie es Ländern wie Griechenland aufgezwungen wird, soll nun auch in der Ukraine aufgelegt werden. EU, USA und IWF unterstützen dort eine Regierung unter Beteiligung der neonazistischen Swoboda-Partei, um ökonomische und geopolitische Interessen durchzusetzen. Hier lassen sich auch deutliche Parallelen zu Entwicklungen in Ländern des globalen Südens erkennen. Einer solchen Entwicklung der gezielten Verarmung und Enteignung der Gemeinschaften muss etwas entgegengesetzt werden.

Nach dem grundlegenden Aufruf (Für Frieden, gegen die FED), tauchten schnell Antisemitismusvorwürfe auf, wie erklärt Ihr Euch diese?

Der Berliner Aufruf mit dieser Formulierung greift in der Tat viel zu kurz. Das ist uns bewusst. Es gibt sicherlich genug Gründe die FED und deren Politik zu kritisieren, allerdings ist sie auch nur ein Teil eines viel größeren systemischen Problems des Kapitalismus. Denn er ist eine Wirtschaftsform die sich mit propagandistischer Kraft auf der gesamten Welt ausbreitet und alle anderen Wirtschaftsformen verdrängt. Der Vorwurf des Antisemitismus wird uns nur vorgeworfen, um unsere Bewegung zu diskreditieren.

Das gleiche wurde übrigens bei Occupy oder den ersten Anti-Krise-Protesten 2007 versucht. Man könnte meinen, der Staat schickt mit Absicht seine NPD-Verfassungsschutzleute in unsere Kundgebungen um dann mit dem Finger drauf zu zeigen und das ganze Projekt als “neurechts” zu diffamieren, um die Mahnwachen kleinzuhalten.

Der Vorwurf ist und bleibt jedoch unbegründet. Es gibt hier klare Grundsätze, die wir basisdemokratisch schon vor Wochen festgelegt haben und die für die Redebeiträge an den Montagen gelten: Menschenverachtende, nationalistische, antisemitische oder rassistische Positionen haben bei uns keinen Platz.
Inwieweit besteht ein organisatorischer Zusammenhang zwischen den Montagsdemos, welche mittlerweile in fast 100 Städten stattfinden sollen?

Die Montagsdemos bzw. Mahnwachen sind in den verschiedenen Städten dezentral organisiert und haben deswegen auch unterschiedlichen Charakter, vereint jedoch in kleinsten gemeinsamen Nenner für den Frieden zu sein. Es gibt keine übergreifende Organisation, trotzdem bestehen ein Austausch und eine Solidarität zwischen den Städten. Angesichts der Verunglimpfung und Pauschalisierungen die bundesweit in den Medien gegenüber den Mahnwachen stattfinden, versuchen wir mit unsere Leipziger Friedensmahnwache seit Wochen eigene Akzente zu setzen. Das Motto der Leipziger Friedensmahnwache lautet “Gemeinsam für den Frieden: Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!”

Bei näherer Betrachtung der offenbar stark Internet-basierten Bewegung fallen inhaltliche Bezüge zu den Geldsystemthesen von Andreas Popp und auch den Themen von Ken Jebsen (Medien/Wahrheit, Militärindustrie und Kriege der vergangenen Jahre) auf. Inwieweit bezieht Ihr Eure Informationen von diesen beiden Menschen oder/und auch von Jürgen Elsässers Thesen (Compact Magazin)?

Wir sind selbst denkende Menschen und laufen nicht irgendwelchen Personen hinterher die einfache Lösungen für komplexe Probleme propagieren. Angesichts der unübersehbaren Negativentwicklung der Medienlandschaft hierzulande, aufgrund ökonomischer, kapitalistischer Zwänge, ist es wichtig verschiedene Medien zu lesen, deren Berichterstattung zu reflektieren und einzuordnen. Wir informieren uns durch hiesige wie auch durch ausländische Medien ebenso wie über Blogs wie die Nachdenkseiten.

Zeitungen wie “DIE WELT” oder “Der Spiegel” werden im Ukraine Konflikt meist anders berichten als “Russia Today” oder “Ria Novosti”. Die Wahrheit liegt vermutlich meist irgendwo dazwischen. Hier wie da ist es wichtig zwischen den Zeilen zu lesen und immer gleich mit zu hinterfragen, wer was aus welchem Interesse schreibt.
Aus welchen Quellen bezieht Ihr Eure Informationen und inwieweit sind dies andere als die tradierten (System) Medien?

Vieles passiert tatsächlich übers Internet. Neben den Nachrichtenkanälen beziehen wir auch direkte Informationen. Dank der neuen Medien und des Internets ist es möglich mit Personen die direkt vor Ort in der Ukraine sind, in Kontakt zu stehen und somit auch deren Perspektive mit zu berücksichtigen. Auf der Leipziger Mahnwache haben auch bereits öfter Menschen aus Russland oder der Ukraine gesprochen, die durch ihre Verwandtschaft in direkten Kontakt mit den Menschen vor Ort stehen.

Jeder Eurer Redebeiträge wird aufgezeichnet und anschließend im Netz veröffentlicht. Dabei fällt auf, dass es wenige neue und oft die gleichen Redner gibt. Inwieweit seht Ihr Euch durch die Reaktionen auf dem Augustusplatz durch neue Redner bestätigt und glaubt Ihr, dass es auch einige Menschen abhalten könnte zu sprechen, weil Ihr alles aufnehmt?

Die Aufzeichnungen sehen wir als eine Art der Transparenz, bei der sich Kritiker und Skeptiker, die nicht auf dem Augustusplatz sind ein Bild machen können, andererseits aber auch als Sprachrohr für die Redner, um ihre Worte einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Wer vor hunderten Menschen eine Rede halten möchte, sollte sich durchaus bewusst und auch der Tatsache gewachsen sein, dass sie aufgezeichnet wird.

Grundsätzlich haben wir bisher jeden reden lassen, der reden wollte, solange die Rede angemeldet wurde und inhaltlich dem Thema der Veranstaltung gerecht wurde und kein rassistischer oder menschenverachtender Hintergrund vorhanden war. Bisher gab es bei jeder Veranstaltung drei bzw. vier neue Redner. Weil die Zahl der angemeldeten Redebeiträge in den ersten Wochen noch Platz für weitere Redner im Zeitrahmen ermöglichten, haben wir denjenigen, die wiederholt reden wollten, die Möglichkeit gegeben erneut aufzutreten. Für spontane Wortmeldungen haben wir das Offene Mikrofon.

Teil 2 zu den Themen TTIP, das Verhältnis zur etablierten Friedensbewegung und attac sowie die Fragen nach der “Querfront”, Verschwörungstheorien und dem Verhältnis zu den Berliner Montagsdemonstranten auf L-IZ.de.

Montagsdemo: Das lange L-IZ-Interview mit den Leipziger Veranstaltern (2)

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Weitere Beiträge zum Thema Montagsdemo / Mahnwachen hier auf L-IZ.de
www.l-iz.de/Allgemeines/Suche | Suchbegriff “Montagsdemo”

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