Sie standen vor verschlossener Tür: "Das sind wir mit der Jugendhilfe gewohnt", bemerkte Oliver Reiner vom soziokulturellen Zentrum "Die Villa". Als er und seine Mitstreiter die Petition gegen Kürzungen in der Jugendarbeit abgeben wollten, war der zuständige Mitarbeiter nicht da. Also drückten sie sie eben dem Büroleiter für Ratsangelegenheiten in die Hand - die 6.391 gesammelten Unterschriften. Inzwischen sind es noch mehr geworden. Sie richten sich gegen die Kürzungen der Stadt Leipzig in der Kinder- und Jugendhilfe. Nachdem die Stadtverwaltung rund eine Million Euro in diesem Bereich kürzen wollte, war ein massiver Protest über sie hereingebrochen.

Die Kürzungen sind nun vorerst vom Tisch, doch die Petitionsunterschreiber setzen sich weiter dafür ein, dass es auch so bleibt. Oliver Reiner spricht über die Hintergründe.

Warum ist der Protest gegen Kürzungen noch nötig? Sie wurden doch zurückgenommen?

Es sollen immer noch fünf offene Jugendtreffs geschlossen werden, plus die Jugendberatungsstellen. Man kann sich darüber nur Sorgen machen. Ich habe zudem den Eindruck, dass die Auswahl mehr oder weniger willkürlich erfolgt ist und nicht nach fachlichen Kriterien. Erst hieß es, die Medienwerkstatt in unserem Haus soll schließen, nun ist der offene Treff dran. Bei diesem Tempo kann es sein, dass nächste Woche eine ganz andere Einrichtung an der Reihe ist.

Man kann auch den Eindruck gewinnen, die Stadtverwaltung will hier Fakten schaffen, bevor eine Diskussion anrollt, dabei brauchen wir gerade eine solche Diskussion. Die Stadtverwaltung kann nicht einfach mit dem Rasenmäher kürzen. Sie hatte viele Jahre Zeit, die Angelegenheiten zu ordnen. Es gab schon mehrere Rechtsurteile gegen sie, zum Beispiel im vergangenen September, als das Leipziger Verwaltungsgericht entschieden hat, dass der offene Jugendtreff in unserem Haus bezuschusst werden muss. Ich finde es traurig, dass es Urteile braucht, damit eine Stadtverwaltung sich an Gesetze hält. Meiner Meinung nach hat sie eine Vorbildfunktion zu erfüllen.

Ihr wart am Montag mit einem überschaubaren Grüppchen da. Warum nicht mit einer so großen Demo wie zur Stadtratssitzung im vergangenen November?

Weil wir dieses Mal ja nur einem Menschen gegenüberstehen. Wir haben die Übergabe der Petition abgesprochen. Und auch wenn der Betreffende nicht da war und wir nun die Unterschriften beim Büroleiter für Ratsangelegenheiten abgegeben haben, so hätten wir es nicht gut gefunden, den Einzelnen mit einer Demo zu überrumpeln. Wir möchten fair bleiben.
Wie schätzen Sie die Arbeit der Parteien, hinsichtlich der drohenden Kürzungen in der Kinder- und Jugendhilfe ein?

Die Grünen und die Linke haben sich stets für unsere Arbeit engagiert. Von der SPD bin ich überrascht, da sie nun den Haushaltsantrag gestellt hat, 100.000 Euro mehr in die Kinder- und Jugendarbeit zu stecken. Wo kommt diese Zahl her? Immerhin hatte der Jugendhilfe-Ausschuss gefordert, dass neben der Rücknahme der Kürzungen, 143.000 mehr in Kinder- und Jugendarbeit gesteckt wird. Ich vermute jedoch, dass hier politische Hintergründe am Werk sind. Immerhin gehört der Oberbürgermeister Burkhard Jung dieser Partei an, der die Kürzungsanweisung zu verantworten hat. Und auch der Sozialbürgermeister Thomas Fabian sowie der damalige Jugendamtsleiter Siegfried Haller gehören der SPD an. Bei dieser Partei liegt also ein Großteil der Verantwortung für die Situation der Kinder- und Jugendarbeit. Und es ist auch traurig, dass es unter der Partei der Sozialdemokratie so schlecht steht.

Was braucht es, um einen Durchbruch zu erreichen?

Es gibt bisher keine Planungen mit Zahlen. Zwar gibt es einen Fachplan zu Kinder- und Jugendhilfe, über den der Stadtrat im September 2012 abgestimmt hatte. Doch dieser ist ein Plan ohne Summen. Zunächst muss geklärt werden: Wie viel kostet was? Und was kann Leipzig sich leisten? Erst dann kann eine Auswahl aufgrund von fachlichen Kriterien geschehen. Solange dies nicht erfolgt, sollte nicht entschieden werden, welches Angebot eingestampft wird und welches nicht.
Wie schätzen Sie die Verhältnismäßigkeit der Aufwendungen für Kinder- und Jugendhilfe im Leipziger Stadthaushalt ein?

Leipzig sagt, es sei kinder- und jugendfreundlich. Doch es ist bezeichnend, dass die Kosten für die Freizeitgestaltung für Erwachsene, damit meine ich die Hochkultur-Angebote wie Oper und Gewandhaus, rund hundert Millionen betragen. Soviel Geld gibt es für die Erwachsenen. Für die Freizeit und die Hilfe für Jugendliche sind gerade mal 8,5 Millionen Euro da. Wir hören dazu: Es gibt doch noch die Kitas und Schulen, doch das hat aus meiner Sicht nichts damit zu tun, das sind Pflichtaufgaben.

Was die Kinderzahlen anbelangt, hatten wir in den vergangenen 15 Jahren einfach zu wenig Kinder. Jetzt nähern wir uns dem normalen Niveau wieder an. Das heißt im Umkehrschluss aber auch, dass wir früher in diesem Bereich viel gespart haben. Als es für unser Zentrum, die Villa, hieß, der Kinder- und Jugendtreff und die Medienwerkstatt sollen geschlossen werden, da hatte ich überhaupt keine Idee, wie das Haus dann wirtschaftlich zu halten gewesen wäre. Wenn schon die offene Arbeit eingeschränkt werden soll, dann möchte ich zumindest eine fachlich fundierte Begründung hören.

Was können die Leipziger tun, wenn Sie Euch unterstützen wollen?

Die Petition unterschreiben. Zwar haben wie sie jetzt übergeben, doch sie läuft noch etwa 60 Tage. Und wir werden sie erneut übergeben, zum Beispiel wenn wir 10.000 Stimmen haben, und dann wieder, wenn es noch mehr geworden sind. Ich bin für meinen Teil sehr gespannt, welches Ergebnis die Stadtratssitzung am Donnerstag, 19. Dezember, bringt. Dann wird über den Stadthaushalt entschieden.

Nachtrag von Oliver Reiner 17. 12. 2013: Das Interview ist mittlerweile von der Zeit überholt worden. In der Stadtratssitzung am letzten Mittwoch hat Sozialbürgermeister Prof. Fabian überraschend erklärt: Es wird 2014 keine Schließungen von Jugendfreizeiteinrichtungen und medienpädagogischen Angeboten geben.

Damit sind natürlich einige meiner Aussagen oben nicht mehr aktuell.

Die unerwartete Wende überrascht und freut uns. Ich verstehe sie auch als ein Angebot zum fachlichen Diskussion im kommenden Jahr über das notwendige Niveau der Jugendhilfe.

Hier geht’s zur Petition:
www.openpetition.de/petition/online/gegen-die-kuerzungen-der-stadt-leipzig-im-bereich-der-kinder-und-jugendhilfe

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