Eigentlich geht es um den bis heute andauernden, grausamen Konflikt in Syrien. Um die Vertreibung und Not der Menschen. Die USA droht mit einem Militärschlag und in Leipzig hat die Linke zu einer Kundgebung vor dem US-Konsulat gerufen. Nicht wenigen der eher älteren Teilnehmer sieht man die Angst vor einem neuen Großkonflikt an, in Leipzig lebende Syrer schildern die dramatische Situation der normalen Bevölkerung im zerstörten Land. Regungslos unter den Demonstranten ein älterer Mann mit einer Kippa.

Er steht mit dem Gesicht Richtung US-Konsulat gerichtet da. Schweigend. Beeindruckend stumm und mit einem Ausdruck im Gesicht, der keinen Zweifel an dem zulässt, was er an diesem 29. August 2013, lange vor Gregor Gysis später gehaltenen Bundestagsrede hier einfordert. Und dann wird es mir schlagartig bewusst, wie ambivalent, verrückt ja durcheinander diese Welt längst geraten ist. Und warum dieser Mann vielleicht der deutlichste Bote dafür an diesem Tag ist.

Ein offenkundiger Anhänger des jüdischen Glaubens, sicher im Wissen um den schweren Stand seiner Schwestern und Brüder in Israel und der Unterstützung der USA für dieses Land, steht unter Linken der Leipziger US-Botschaft gegenüber. Und fordert den Friedensnobelpreis für einen Mann, der für us-amerikanische Behörden den Status eines Hochverräters hat. Er postuliert für mich mitten im Wahnsinn von Krieg und Zerstörung in Syrien und an vielen Orten weltweit die Frage nach unserer Schuld, unserem Stillhalten und der fordert, Snowdens Tat wenigstens dem bislang uneingelösten Versprechen Obamas gleichzustellen.

Später sehe ich den Mann mit der Kippa aus der Informationsveranstaltung rund um den Moscheebau in Gohlis in der Michaeliskirche nach Veranstaltungsende vor das Gotteshaus treten. Was ihn treibt, sehe ich nicht. Aber es scheint auch dort, inmitten des unsäglichen Geschreis radikalisierter Deutscher der innige, ruhige Wunsch nach Frieden und Aussöhnung zu sein.

Ansicht vergrößernInfo zur Serie: Schneller, höher, weiter – ein Jahr ist vollgestopft mit Ereignissen, Zahlen, Fakten und Diskussionen. Der Auslöser der Kamera klickert im Akkord. Alles muss schnell gehen. Die Besinnlichkeit am Jahresende reizte uns dehalb, einmal in Ruhe zurückzublicken. Bis Silvester werden wir deshalb an dieser Stelle täglich Fotos aus unserem Archiv präsentieren und dessen Geschichte erzählen.

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