Da denkt der aufgeklärte Leipziger, dass Intelligenz und Reflexion dem Menschen innewohnen und wird doch immer wieder überrascht, wie obskur und hassverzerrt Gedankengänge sich durch Gehirne bohren. Da wird unterm Deckmäntelchen der Meinungsfreiheit gehetzt und ausgegrenzt, werden Menschen gejagt und ermordet - und all dies im Heute und europäisch gesehen auch im Hier!
Eine bessere Welt nicht nur zu denken, sondern auch zu erstreiten hat sich Katja Splichal mit ihren Freundinnen aufgemacht und sich neben “Leipzig – Souverän genug für Vielfalt!” auch bei “Putinmyass – To Russia With Love” engagiert. Im November bieten die Zeitenradrückwärtsdreher von Compact die Vorlage ein Signal zu geben, dass Leisewegducken schon immer auch Zustimmen war. Tanner traf die junge Dame zum Gespräch.
Liebe Katja, Du bist eine der Initiatorinnen und Organisatorinnen der Aktionstage “Leipzig – Souverän genug für Vielfalt”, die sich gegen ein rückwärtsgewandtes, von den Neuen Rechten und Erzkonservativen initiiertes Getöse wenden. Was ist dies für ein Getöse und wieso widerspricht dieser Zusammenlauf erzkonservativer Fundamentalisten einer offenen Gesellschaft?
Für grundlegende Werte einer Gesellschaft, in der ich leben möchte und an der ich deshalb mitzuwirken versuche, halte ich gegenseitigen Respekt, die Freude an Vielfalt und etwas, das man im Englischen “Equality” nennt – ein Begriff, der Gleichberechtigung, Gleichheit und vor allem Gleichwertigkeit beschreibt, ohne Gleichmacherei zu implizieren, für ausschlaggebend. Wenn dann, in Leipzig oder anderswo, eine Konferenz damit beworben wird, dass “die Publizistin Béatrice Bourges über den Volkswiderstand gegen die Schwulenehe in Frankreich” berichtet (eine Publizistin übrigens, die aus der Anti-Homo-Ehe-Bewegung “Le Manif pour Tous” geschmissen wurde, weil sie selbst denen zu radikal war) und weiterhin “Abgeordnete der russischen Duma” über “die Erfolge von Wladimir Putins Familienpolitik” referieren sollen, dann gehen gleich diverse Alarmglocken an. Wirft man dann, um nicht etwa vorschnellen Schlüssen zu erliegen, einen Blick auf den Veranstalter der Konferenz, ereilt einen irgendetwas zwischen fassungslosem Kopfschütteln, irritiertem Schmunzeln und dem kalten Grauen: Die meinen das ernst!
Und die meinen noch ganz andere Sachen. Ein Blick ins COMPACT Magazin und die dazu gehörige Webpräsenz enthüllt so abstruse wie gefährliche Weltanschauungen, die sich irgendwo zwischen Antiamerikanismus, Antisemitismus, Homo-, Trans- und allgemeiner Andersartigkeitsphobie, halbseidener Wertebewahrerideologie und schlichtweg peinlich-kryptischem Verschwörertum einordnen lassen, COMPACT-Herausgeber Elsässer zum Beispiel schwurbelt in seinem Blog zusammen, dass der “Motor (der anderen Lebensformen) vielmehr eine winzige globale Finanzoligarchie ist, die mit neuen Reproduktions- und Gentechnologien ihr tausendjähriges Reich errichten will. Gut möglich, dass diese Superreichen – wenn sie ihre Körper mit geklonten Organen und ihre Gehirne durch digitale Kopien unsterblich gemacht haben – dereinst wirklich zu einer anderen Rasse mutieren, die sich von uns Erdlingen nicht nur im übertragenen Sinne, sondern auch physiologisch und neurologisch unterscheidet.” [sic!]
Eigentlich ist man bei Compact im Wesentlichen gegen alles, außer gegen Europa. Das alte Europa – ist klar, ne?
Und leider tösen die Veranstalter der sogenannten Souveränitätskonferenz auch gar nicht, denn dann könnte man sie dafür angreifen und ihnen vorwerfen, dass sie Werte propagieren, die einer offenen Gesellschaft fremd sein sollten – doch so blöde ist die Neue Rechte lange nicht mehr: sie “diskutieren” ja bloß – sie “erörtern” und “tauschen sich aus” – sie schmücken sich damit, einen “pluralistischen Diskurs zu ermöglichen”, der je in “jeder Demokratie erlaubt” sein sollte. Bitte schön, herzlich gern.
Ich rede nicht von Akzeptanz und Toleranz – niemand von uns will sich einem fremden Votum aussetzen und “toleriert” werden!
Der Fundamentalismus einer Frau Hermann, eines Herrn Sarrazin oder französischer und russischer Volksfrontler ist ja zutiefst brandgefährlich, schließlich macht er Gewalt gegen andere Lebensweisen und gegen Menschen hoffähig. In Russland werden homosexuelle Menschen – im Einvernehmen mit radikalen christlichen Hardlinern und der Staatsdoktrin – gejagt, getötet und aus dem öffentlichen Leben ausgegrenzt. Gibt es da Parallelen zu Deutschland Anfang der Dreißiger des letzten Jahrhunderts – in der Bemühung Opfer zu finden? Opfer fürs eigene Unvermögen mit einer sich verändernden Welt klarzukommen?
Wir haben aufgehört, über die Gründe zu spekulieren, als wir bemerkt haben, dass es niemandem hilft und dass es außerdem eine krasse Diskrepanz zwischen öffentlicher Darstellung und dem Willen der Menschen in Russland gibt: ja, es gibt dort rechts-konservative, religiöse und faschistische Hardliner, nein, sie sind nicht die Mehrheit. Aber sie sind es, die in den Medien auftauchen, die Krawall machen und mit ihren Exzessen den Anschein nähren, als exemplarisch für den oder die Russen zu gelten. Uns sprechen hingegen bei Demonstrationen und via Social Media immer wieder Menschen an, die sich von der menschenverachtenden Haltung ihrer infiltrierten Regierung aufs nachdrücklichste distanzieren und denen vor allem daran gelegen ist, nicht mit dem hinterwäldlerischen Mob in einen Topf geworfen zu werden. Es gibt in Deutschland sogar eine organisierte russische Community, die ganz bewusst das Land verlassen hat, weil sie nicht Zeuge sein wollte, wie ein unfähiger Staat als Marionette einer übermächtigen Kirche eine ganze Nation ins Abseits stellt. Viele der Homosexuellen, mit denen wir Kontakt haben, beschreiben ihre Eindrücke aber genau so: vieles läuft schief im Staat und um von der eigenen Schuld oder Unfähigkeit abzulenken braucht es Sündenböcke, ein Feindbild, bequeme Prügelknaben.
Auch um die politische Gegenwehr zu zermürben und viele kleine Kampfschauplätze mit aufgeriebenen Minderheiten zu provozieren, ist es sicher praktisch, sich Randgruppen zu suchen, ihren Spielraum einzuschränken und sie mundtot zu machen: wer nicht sichtbar sein darf und keine Stimme hat, kann sich schwerlich zusammentun. Außerdem ist es leider so, dass sich gerade Minderheiten und politisch Andersdenkende kaum verbünden, wenn die Luft knapp wird – so bleiben die nicht traditionell-religiösen Gruppen, die Verfechter von Presse- Meinungs- und Versammlungsfreiheit, diejenigen, die eine unabhängige Rechtsprechung fordern und eben die Homos unter sich.
Russland steht unter sozio-ökonomischen und Stabilitäts-Gesichtspunkten heute wahrscheinlich besser da, als jemals in der Geschichte des riesigen Landes, doch der Preis dafür sind diktatorische Verhältnisse und eine Abkehr von demokratischen Grundsätzen. Und ja – das ist in dutzenden Ländern weltweit der Fall, doch die Vorbildwirkung des riesigen, wirtschaftlich und auf der politischen Weltbühne bedeutungsvollen Landes ist enorm und ein Gesetz in Russland hat tiefgreifendere Auswirkungen als eines in Georgien!
Morgen an dieser Stelle erläutert Katja Splichal wie sie die Compact-konträre Position in die Welt bringen will und sich Menschen mit engagieren können.
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