Wofür steht der 9. November eigentlich in der Leipziger Gedenkkultur? Nur für die von den Nationalsozialisten entfesselte Pogromnacht im Jahr 1938, die der Auftakt war zur einer verschärften Verfolgung und Entrechtung der jüdischen Mitbürger? Oder sollte das Gedenken im 21. Jahrhundert nicht deutlich weitere Bögen spannen? - Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen regt dazu in einem neuen Antrag an.
“Wenn es wahrscheinlich die Zeitzeugen des Nationalsozialismus nicht mehr geben wird, wenn über die Geschichte und die Wahrheit Gras zu wachsen beginnt – über diese abscheuliche Gewalt und das Unrecht, die von Deutschland über Menschen, Völker und Länder ausgegangen ist, dann ist es an der Zeit zu überlegen, auf welche Weise und an was man sich langfristig erinnern muss”, überlegen die Grünen. “Es gibt viele Möglichkeiten des Trauerns und Gedenkens, auch im späten Nachhinein. Grundlage für die späte und langfristige Verarbeitung ist das Anerkennen von nationaler Schuld. Wir sehen uns als Nachfahren in einer Haftungsgemeinschaft in diesem Zusammenhang.”
Grünen-Stadtrat Wolfram Leuze sagt dazu: “Es gibt dazu zwei Wege zu gehen, am besten gleichzeitig: Der Opfer aus Gründen von rassischer und ideologischer Verfolgung und gleichzeitig des großen Mutes der Personen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus gedenken. Wir wollen mindestens Namen nicht vergehen lassen, denn sie sind das, was letztlich individuell ist und überliefert bleibt. Wie können wir die uns und unseren Kindern diese Erinnerung als ethische Grundlage vermitteln und welche Rolle spielen dabei die offiziellen Gedenkveranstaltungen der Stadt Leipzig? Wir stellen diese Frage.”
Die Nationalsozialisten haben 1938 mit der Reichspogromnacht begonnen, gewaltsam in Tausende persönliche Schicksale einzugreifen und hatten dabei eine Vielzahl von Helfern und Unterstützern in der Bevölkerung.
“Unser heutiges Erinnern an die Verbrechen soll das Vergessen verhindern und eine Wiederholung für immer ausschließen”, so die Grünen. “Beim Wiederauftreten von Überheblichkeit und Vorurteilen gegenüber Religionen und Herkünften und antidemokratische Bestrebungen, müssen wir uns bewusst und immer wieder aufs Neue mit der Geschichte und den Folgen der NS-Diktatur beschäftigen. Dafür engagieren sich neben der Stadt Leipzig seit vielen Jahren viele Leipziger Vereine, das Schulmuseum, Initiativen und Einzelpersonen auf hervorragende Weise. Die Gedenkfeiern an den Stolpersteinen bieten dafür ein sehr gutes Beispiel.”
Um das Erinnern langfristig so persönlich erlebbar wie möglich zu halten, insbesondere wenn es keine Zeitzeugen mehr geben wird, sei es aber wichtig zu prüfen, ob das Gedenken neue, zeitgemäße Formen des Erinnerns braucht. Dazu könnten Schulen, Bürgerinitiativen oder einzelne Engagierte angesprochen werden, die weitere Elemente des Erinnerns und Bewahrens beifügen. So könne am Ende ein ganz besonderer Tag des Gedenkens entstehen, der sehr weitgehend von der Bürgerschaft getragen wird.
Konkret stellen die Grünen nun drei Fragen an die Leipziger Stadtverwaltung:
1. Mit welchem Programm neben der alljährlichen würdigen Gedenkveranstaltung am 9. November, zentraler Kranzniederlegung mit Gebet und Kaddisch an der Gedenkstätte in der Gottschedstraße plant die Stadt Leipzig 2013 zum 75. Gedenken an die Reichspogromnacht 1938, ganz Leipzig auf besondere Weise anzusprechen?
2. Inwiefern wird seitens der Stadt Leipzig auf die nachwachsenden Generationen gezielt für eine zeitgemäße Gestaltung des Gedenkens zugegangen oder wurde diese Aufgaben seitens der Stadt übertragen?
3. Welche Schulen, Religionsgemeinschaften, Kirchen, Gruppen und Vereine bringen sich 2013 in die Gedenkfeier und begleitenden Aktionen ein? Welche Aktionen sind der Stadt bekannt?
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