Natürlich ist es für eingefleischte Paddler ein echtes Abenteuer: Von Leipzig bis Hamburg, 471 Kilometer auf dem Wasser, immer flussabwärts. Regelmäßig startet ein Häuflein mutiger Leipziger zu dieser Tour mit dem Kanu, die auch eine Werbetour ist für ein Projekt, das eigentlich keiner bezahlen kann: den Durchstich des Karl-Heine-Kanals.

Von dem würde schon längst niemand mehr reden, wenn der Unterlauf der Weißen Elster vor der Saale nicht eines der wichtigsten Naturschutzgebiete in ihrem Verlauf wäre. Selbst muskelbetriebenen Booten ist hier das Weiterfahren nur mit besonderer Ausnahmeerlaubnis gestattet. Man kommt also einfach nicht durch. Deswegen träumt ein Häuflein durchaus naturverbundener Leipziger Kanuten davon, dass es vielleicht doch einmal eine durchgängige befahrbare Wasserstraße bis zur Saale gibt. Von da ist es ja für muskelbetriebene Boote (anders als für viele Motorboote) kein Problem, einfach mit dem Strom zu schippern – die Saale hinunter zur Elbe und dann auf der Elbe bis Hamburg.

Aber auch die verrücktesten Leipziger Kanuten tun sich das nur im Jahresrhythmus an. Denn selbst stromab ist es im Grunde eine nicht wirklich reizvolle Strecke. Die Höhepunkte muss man sich schon organisieren. Und wenn die Sonne vom Himmel brennt, kann es richtig unangenehm werden. Denn die ganze Tour dauert zwei Wochen. Gestartet sind die Enthusiasten am 15. Juli am Stelzenhaus am Karl-Heine-Kanal, sind knapp 500 Meter gefahren und wieder ausgestiegen. Denn da beginnt das erste Stück, das noch fehlt: 665 Meter bis zum Lindenauer Hafenbecken, die die Stadt Leipzig jetzt für 18 Millionen Euro als befahrbaren Kanal herstellt. Das ist die Preislage.

Dann kann man das Boot wieder ins Wasser setzen, fährt rund 300 Meter durch den Hafen. Und steigt wieder aus, denn dann fehlen wieder 75 Meter Kanal unter der Lyoner Brücke. Den will die Stadt baldmöglichst auch ausbaggern, so beschloss es in einem Abwasch der Leipziger Stadtrat im Juli mit dem Beschluss, auch alle weiteren Pläne zum Weiterbau des Elster-Saale-Kanals “ideell” zu unterstützen. Denn hinter der Lyoner Brücke kann man zwar auf dem schon gebauten Kanal weiterfahren, immerhin rund 10 Kilometer weit. Hinter Günthersdorf aber ist Schluss. Auch die Hamburg-Fahrer mussten bei Burghausen aussteigen und mit dem Oldtimer-Bus die fehlenden 7,7 Kilometer bis zur Saale fahren.Womit man beim Thema wäre: Ja, auch diese Truppe wünscht sich eine Vollendung des Elster-Saale-Kanals. Aber sie macht auch deutlich, dass ihr die finanziellen Dimensionen aus der so genannten “Potenzialanalyse” (die bei Licht betrachtet keine ist) eher fremd sind.

“Nachdem der erste von drei fehlenden Kanaldurchstichen auf dem Weg zum Meer bereits im Bau ist, der zweite laut Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung möglicherweise in den nächsten 4-5 Jahren erfolgen wird, wünschen wir für das dritte und größte Teilstück von ca. 7,7 km allen Beteiligten Kreativität und Mut für wirtschaftlich machbare, touristisch attraktive und zugleich ökologisch sinnvolle Lösungsideen”, betonen sie auf der Website zu ihrer Hamburg-Fahrt. Denn muskelbetriebene Boote brauchen weder ein Schiffshebewerk für 35 Millionen Euro noch einen so breiten Kanal, wie er in den 1930er Jahren gebaut wurde.

“Die Diskussion darüber darf sich nicht auf ein Schiffshebewerk beschränken”, betonen die Akteure. “Es braucht neue und auch ungewöhnliche Ideen, die Naturerlebnis und naturverträglichen Tourismus zu einer Nische formen und eine wirkliche Differenzierung ggü. anderen Regionen erlauben. Vielleicht ein ‘Durchstich’ in Form einer Schmalspurstrecke, auf der man kleine Boote das Teilstück überwinden lässt und diese evtl. auch von Hand schiebt? Und dazu auf der Strecke kleine ‘Erlebnismagnete’, die viele Interessierte anziehen und ihre Wege zum Ziel machen?”

Das Fragezeichen lassen sie stehen. Denn 106 Millionen Euro teuer ist die Vision der “Potenzialanalyse” ja vor allem, weil sie auf Fahrgastschiffe, Charterboote und vor allem bis zu 3.600 neue private Motorboote in der Region abzielt. Plus die 45 Millionen Euro teure Marina am Lindenauer Hafen. Wenn die drei rührigen Unternehmer, die in den letzten Jahren in jeder Gemeinde des Grünen Rings Lobbyarbeit machen in eigenem Interesse, auch die benötigten 151 Millionen Euro mitbrächten, die ihre wilden Visionen brauchen, wäre die Sache vielleicht sogar bezahlbar. Aber sie spekulieren auf Steuergelder, wollen sich ihre Geschäftsideen vom Steuerzahler bezahlen lassen.Und genauso arme Gemeinderäte und Bürgermeister träumen mit. Ein Sterntaler-Märchen.

Dabei zeigt die Kanu-Tor, die am 15. Juli startete, wie lang die anvisierte Strecke bis Hamburg tatsächlich ist.

Wenn die Kanuten in der Hansestadt ankommen, sind sie braungebrannt und überglücklich.

In Hamburg wurden sie am 28. Juli an Brücke 1 der Landungsbrücken durch Begrüßungskapitän Uwe Christensen (Schulauer Fährhaus – Willkomm Höft) und Staatsrat Karl Schwinke (FHH, Behörde für Inneres und Sport) mit einer traditionellen und zugleich plattdütsch/sächsischen Schiffsbegrüßung, einem Grußwort und leckeren Ciabatta-Brötchen empfangen.

Die Einschätzung zu den zwei Wochen auf dem Wasser: “Spitzen-Crew, super Stimmung, gnadenlos schönes Wetter, spannende Naturerlebnisse, viele begleitende Aktivitäten (Besichtigungen, Kamera-Flugzeug, Angeln, Tour-Chronik, etc.), tolle Gemeinschaft und viele Unterstützer, die wir oft erst während der Fahrt persönlich kennenlernten. Ganz wichtig: alle, die in Leipzig starteten, sind auch munter und gesund in Hamburg angekommen! Sogar einige der Teilnehmer, die krankheitsbedingt absagen mussten, waren beim Empfang in Hamburg vor Ort.”

“Der Weg war unser Ziel und wir haben unterwegs viel erlebt: wir genossen die Leichtigkeit des Kanufahrens, trotz gelegentlicher Anstrengungen – konnten uns treiben lassen oder auf schönen Sandstränden ausruhen – erlebten Biber, Störche, Adler aus nächster Nähe – lernten bauliche Details zu Schleusen und Burgen kennen – bestanden wie fleißige Ameisen, selbst organisiert, die vielen Herausforderungen des Alltags – meisterten oft nur mit Haushaltskenntnissen das Kochen für 37 Leute – fanden trotz des straff organisierten Tages auch immer mal etwas Ruhe für uns selbst oder fielen abends platt auf unsere Isomatten – gemeinsam hatten wir viel Spaß und am Ende das Erlebnis, es geschafft zu haben”, betonen Christina Weiss vom Lindenauer Stadtteilverein e.V., Heinrich Neu vom Leipziger-Kanu-Club e.V. und Thorsten Mehnert von der Stiftung “Ecken wecken”, die für die Organisation der Tour verantwortlich zeichnen.

Und sie fügten der Bildergalerie auch ein paar Zitate zum Nachdenken bei, die sie unterwegs fanden. Von Albert Schweizer: “Die großen Flüsse brauchen die kleinen Wasser”. Und von Friedrich Schiller: “Wer von uns verweilt nicht lieber bei der geistreichen Unordnung einer natürlichen Flusslandschaft als bei der geistlosen Regelmäßigkeit eines begradigten Gerinnes?” Dieser Schiller.

Zur Tour: www.hamburg471komma02.de

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