Interpretation ist der Tod einer jeden spontanen Handlung. Doch dazu ist zu wenig Zeit und das ist gut so. Der Ton ist sachlich, manchmal sehr quirlig, immer auf das nächste Ergebnis fixiert. "Ich rufe noch mal bei der Einsatzleitung an." Der Tag beginnt mit dem Sonnenaufgang und wird mit der Frage eines Dautzscheners enden. Der erste Satz geschieht zweimal gleichzeitig. Einmal in einem Telefonat zwischen Dautzschen und Leipzig. Und zwischen der Leipziger Polizei und einem weiteren Menschen von "Leipzig hilft". Und am Ende dieses Tages steht die Frage eines alten Mannes. "Können wir heute Nacht schlafen?" Die Antwort lautet Ja.
Bereits am Vortag dieses Samstags haben viele Handy-Akkus bei der Suche nach dem nächsten Einsatzort für die Helfer den Geist aufgegeben. Die Informationslage ist nach wie vor ungewiss, die Behörden sind immer noch dabei, sich zu organisieren – 5 Tage nach dem Eintreffen des Wassers. Wie viele Helfer sinnlos über die sächsischen Lande geirrt sind, ist bis heute unklar – doch auch so manche Geschichte geht gut aus. Wie die der Leipzigerin, welche bei “Leipzig hilft” aus zeitlichen Gründen nicht mitfahren kann und anschließend einem alten Ehepaar hilft, das gesamte Haus zu entrümpeln. Überall geschehen unglaubliche Hilfsleistungen von privat aufbrechenden Menschen.
“Leipzig hilft” ist unterdessen ein Unternehmen mit verkehrsbehinderndem Charakter geworden. Die Polizei ist informiert und hilft mit einer Konvoibegleitung aus Leipzig heraus. Gegen 10 Uhr verlasen ab Chausseehaus rund 30 volle Pkw und Transporter die Stadt – zu viele Fahrzeuge auf einmal. Aber noch ohne die Gulaschkanone, welche vorausgefahren ist. Im letzten Moment erreicht auch ein Berliner den Abfahrtspunkt. Als Infozentrale koordiniert mittlerweile “Leipzig hilft” auch weitere Menschen Richtung Kohren-Sahlis, für den kommenden Sonntag kristalliert sich Meißen als Ziel heraus.
Heute geht es Richtung Dautzschen, müde aber angriffslustig. Die bei Torgau gelegene Gemeinde droht überflutet zu werden, aber es gibt eine Chance. Eine, die das Land Sachsen nicht mehr sieht, aber die Feuerwehr vor Ort will nicht aufgeben.
Ab jetzt beginnen wohl die wichtigsten Stunden für das, was “Doc”, nun Einsatzleiter der Initiative und Chef vor Ort, mit Helfen meinte. Es wird immer noch konkreter. Bilder müssen nicht dramatisch sein, es ist ein zähes Ringen mit dem Wasser, Sandsack für Sandsack und am richtigen Ort. Heute wird hier das Wasser nicht gewinnen – um Dautzschen herum gehen manche Gemeinden unter, aber manchmal ist man ein kleiner Kiesel, da wo man ist. Stein um Stein, Sack um Sack wird der Wall höher. Unten die Verstärkung, oben am Ende die Freude über das Geschaffte. Und Dautzschener, die kaum glauben können, dass alle hier sind, um ihnen zu helfen.
Jeder, der an diesem Abend zurück kommt, hat mindestens einen Sandsack zuviel geworfen, eine Bewegung zuviel und eine Rückenbeuge über Gebühr gemacht. Wenn urbane Städter auf harte Arbeit treffen, wird ihnen alles abverlangt. Aber keiner will nachgeben, wenn es darauf ankommt.
Mancher steigt aus, der größte Teil kommt wieder. Am Sonntag ist die Initiative “Leipzig hilft” auf etwa 100 Menschen angewachsen. Es wird eine lange, wache Nacht bis dahin. Kohren-Sahlis und Umgebung? Kollau bei Thallwitz versinkt – die Ortsbesichtigung bringt Entwarnung und die Meldung über erste Diebstähle und Plünderungen auf den Dörfern. Das erste Mal nach Tagen empfinden wir echte Wut.
Wohin morgen? Dahin, wo ein Mitglied der Initiative will, weil seine Familie dort wohnt? Oder zu denen, die aus anderen Orten anrufen? Nach Meißen? Wo die Menschen gerade dem Untergang in die Augen gesehen haben? “Leipzig hilft” ist zerrissen zwischen all dem, was an Notrufen von Katastrophenschutzorganisationen, Feuerwehr und THW hereinkommt. Selbst eine Trennung des Konvois am kommenden Tag steht zur Debatte.
Die Telefone stehen nicht mehr still. Und die Sonne geht wieder auf.
Am 6. Juli 2013 veranstaltet die Initiative nun am kleinen Silbersee in Lößnig ein Benefizfestival namens “Leipzig hilft”. Wie es überhaupt dazu kam, warum die Menschen bis heute zusammenarbeiten und wohin sie ihre Wege führten, hier in weiteren Teilen auf L-IZ.de.
Weitere Infos www.leipzighilft.org
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