Am 16. Juli wurden in Leipzig wieder neue Stolpersteine verlegt - zehn Stück an der Zahl. 202 sind jetzt im Leipziger Straßenbild zu finden. Manchmal fallen sie auf. Meistens muss man wissen, wo sie sind. Denn sie erzählen nicht von den Prominenten ihrer Zeit, sondern von den ganz normalen Leipzigern. Menschen, die sich von allen anderen nur dadurch unterschieden, dass sie von den neuen Machthabern ausgegrenzt und diskriminiert wurden. Oder - wie Walter Cramer - ein kleines bisschen mehr Mut zeigten.

Walter Cramer, der seinen Stolperstein vor der Gustav-Mahler-Straße 1-3 bekam, ist unter den am 16. Juli Geehrten tatsächlich der berühmteste. Die Leipziger ehrten den Unternehmer und Mitinhaber der Kammgarnspinnerei Stöhr & Co. schon 1945, indem sie die Manteuffel-Straße in Gohlis umbenannten. Ein Vorgang, den auch die neuen sowjetischen und SED-Machthaber nicht rückgängig machten, so dass der Widerstand des 20. Juli 1944 im Leipziger Straßenbild schon seit August 1945 immer sichtbar war – wenn auch ein wenig versteckt in einem Gebiet, in dem man einst Krieger und Feldzüge des Deutsch-Französischen Krieges von 1871 ehrte.

Generalfeldmarschall Edwin Hans Karl Manteuffel war einer der preußischen Heerführer dieser Zeit. Und dass ihn die Leipziger nicht mochten und gleich nach 1945 abservierten, hat auch einen besonderen Grund: Er war auch 1866 dabei, als die Truppen Österreichs und Süddeutschlands von der preußischen Armee geschlagen wurden. Die Sachsen kämpften damals auf österreichischer Seite. Ihnen war ein Deutschland unter preußischer Ägide gar nicht recht – und die Geschichte bestätigte diese Haltung. Nicht immer sind die Sieger auf dem Schlachtfeld diejenigen, die auch die bessere Wahl in der Geschichte sind.

Gewohnt hat Walter Cramer in der Wiesenstraße 3b, die 1961 in Gustav-Mahler-Straße umbenannt wurde. Sein Haus stand dort, wo heute der Neubaublock des Leipziger Gesundheitsamtes steht. Und Walter Cramer steht natürlich für eine der vielen Facetten des Widerstandes gegen das Hitler-Regime, die Leipzig aufzuweisen hatte. Das wird mit den Stolpersteinen der jüngeren Zeit auch immer sichtbarer.

Walter Cramer war Miteigentümer der Kammgarnspinnerei und ein enger Freund des ehemaligen Leipziger Oberbürgermeisters Carl Goerdeler, der ja bekanntlich als Oberhaupt einer neuen Regierung vorgesehen war, wenn der Staatsstreich vom 20. Juli gelungen wäre. Cramer und Goerdeler verband auch ein zutiefst konservatives, bürgerliches Weltbild. Womit sie so aber auch exemplarisch dafür stehen, dass eine konservative Werthaltung eben nicht bedeutet, einem NS-Regime dienstbar sein zu müssen.
Kurz nach Scheitern des Attentates wurde Walter Cramer am 22. Juli 1944 verhaftet. Er war zwar an den Aktionen des 20. Juli nicht beteiligt, war aber von Goerdeler als Statthalter in Sachsen vorgesehen. Dass sein Name ins Spiel kam, wurde ihm zum Verhängnis. Am 14. November 1944 wurde Walter Cramer zum Tode verurteilt und noch am selben Tag hingerichtet.

Während der Inhaftierung notierte Walter Cramer seine Gedanken und die Ereignisse des beklemmenden Haftalltags in Briefen an seine Familie. Eine soeben im Leipziger Universitätsverlag erschienene Edition führt diese bewegenden Dokumente zusammen und legt Zeugnis ab vom Mut Walter Cramers und vom Ringen eines ganz auf sich selbst zurückgeworfenen Menschen um die eigene Versicherung in dieser Situation. Das Buch besprechen wir in den nächsten Tagen an dieser Stelle.

Darin wird auch sichtbar, wie er mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln darum kämpfte, jüdische Mitarbeiter im Stöhr-Konzern zu schützen oder dann, wenn eine Hinhaltetaktik nicht mehr half, mit Geld zu unterstützen. In seinem Handeln steckt ein ähnlicher Humanismus wie bei Oskar Schindler, der durch Spielbergs Spielfilm berühmt wurde.
Mit seiner Rolle im Widerstand gegen den Nationalsozialismus hat sich Conrad Cramer, Schüler an der Thomasschule, intensiv in einer Arbeit befasst.

Die nun über 200 Stolpersteine in Leipzig lassen mittlerweile ahnen, auf welch vielfältige Art sich Leipziger gegen das 1933 installierte Regime wehrten. Noch ist die Zahl der Gedenksteine für die deportierten und ermordeten jüdischen Mitbürger die größte. Das wird wohl auch so bleiben, denn dieser Vernichtungsakt ist bislang am besten dokumentiert und stand auch lange im Zentrum der Aufarbeitung.

Auch etliche der am 16. Juli verlegten Stolpersteine erinnern an jüdische Nachbarn: In der Eisenbahnstraße 97 an Sora Sofie Schneider, die im Januar 1942 nach Riga ins Ghetto deportiert wurde. In der Neustädter Straße 13 erinnert ein Stein an Fanny Mann, die während der Abschiebung polnischer Jüdinnen und Juden aus Leipzig am 28. Oktober 1938 ums Leben kam. In der Reudnitzer Straße 2 wird an den aus Polen stammenden Feiwisch Felix Kern erinnert, der nach Kriegsausbruch verhaftet wurde und im Konzentrationslager Sachsenhausen ums Leben kam. In der Humboldtstraße 23 wird jetzt an die achtköpfige Familie Berger erinnert. Während Moritz Berger 1941 in Dachau ums Leben kam, verliert sich die Spur seiner Frau Sara Meta und der sechs Kinder, 1942 nach Belzyce bei Lublin deportiert. Das Todesalter der Kinder: Rosel Berger war 10 Jahre alt, Ester Berger 9 Jahre, Samuel Berger 7 Jahre und David Elias Berger war 6 Jahre alt. Die beiden weiteren Geschwisterkinder Cilly und Mordechai Berger waren 5 und 3 Jahre alt.

An drei Mitglieder der 1938 nach Polen abgeschobenen Familie Altmann erinnert jetzt ein Stolperstein in der Tschaikowskistraße 4. An Arnold Hammerstein und seine Tochter Ester erinnert ein Stolperstein im Ranstädter Steinweg 49 (ehem. Ecke Thomasiusstraße). Und an Irma Rosenhein erinnert einer in der Zschocherschen Straße 87. Sie wurde 1942 nach Riga deportiert und im September 1943 ermordet.

Aber nicht nur gegen jüdische Mitbürger richtete sich die Grausamkeit der braunen Machthaber. Sie unterdrückten jede Art Widerspruch gegen ihr Regime mit Gewalt.

Als Mitglied der “Freien Arbeiter Union Deutschlands” (FAUD) widersetzte sich Arthur Holke bereits 1933 den neuen Machthabern. 1940 kam er im Konzentrationslager Buchenwald ums Leben. An ihn wird jetzt vor der ehemaligen Zentralstraße 11 erinnert. Das Haus steht leider nicht mehr. Hier ist jetzt ein Parkplatz.

In der Großmannstraße 9 erinnert ein Stein an Milda Walther. Sie litt unter psychischen Problemen. Sie wurde 1944 binnen kürzester Zeit in Großschweidnitz zu Tode “gepflegt” und damit ein Opfer der Euthanasie.

Natürlich wird für weitere Stolpersteine gesammelt. Jeder Stein wird durch persönliche Beiträge finanziert. Und jeder Stein gibt Anlass, die Geschichte hinter den Namen und Daten zu recherchieren.

Diese Verlegung von Stolpersteinen ist wieder mit der regen Unterstützung von Paten und Spendern möglich. Neben Privatpersonen sind dies oft auch Initiativen und Vereine oder Schulen. Dieses Mal haben sich zudem besonders Familienangehörige für die Verlegung von Stolpersteinen engagiert und im Vorfeld recherchiert.

Um die Geschichte weiterer individueller Schicksale aus Leipzig in Erinnerung zu rufen, braucht es auch künftig die Unterstützung vieler Menschen. Für jeden Stolperstein werden Paten gesucht: Privatpersonen oder Vereine, Stiftungen, Parteien etc. können das für die Herstellung und Verlegung nötige Geld (120 Euro pro Stein) spenden (Konto der Stadt Leipzig: Ktnr. 1010001350, BLZ 86055592, Sparkasse Leipzig, Zahlungsgrund 9.017.714.1/961).

In die Messingtafel des Steins werden dann die Worte “Hier wohnte” und darunter Name, Jahrgang und Schicksal der betreffenden Person eingestanzt.

Nähere Informationen zu den jeweiligen Schicksalen, aber auch zum Gesamtprojekt findet man unter: www.stolpersteine-leipzig.de

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