Was ist Freundschaft? Wenn man etwas gemeinsam tut. - Vor fünf Wochen kannten sich die Meisten der Initiative "Leipzig hilft" noch nicht. Dann kam das neue Jahrhunderthochwasser wie die sprichwörtliche Sintflut über Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Teile Brandenburgs. Was sind Krisen? Zeiten, in denen sich die Dinge ändern, neu mischen, aus Unten wird Oben, die Realität bekommt Raum. "Leipzig hilft" ist Veränderung. Menschen, die sich zusammengeschlossen haben, um in Notzeiten Anderen beizustehen. Sie haben nun einen Monat gerackert, gekämpft, Angst gehabt und viele kleine Dinge getan, die halfen. Und sie sind gewachsen, während sie - ohne zu fragen - zupackten.
“Doc” steht an einer Straße in Leipzig und wartet auf Leipziger, die Essen und Trinken abzugeben haben. Es ist der 4. Juni 2013 und noch fühlt er sich mit seiner Entscheidung zu helfen allein. Doch ab jetzt werden Daten und Zeiten keine Rolle mehr spielen: Doc hat eine Idee von Hilfe, welche ihn – davon weiß er jetzt nur noch nichts – nahezu überrollen wird.
Ein paar hundert Meter entfernt rennt “Melo” zum Spätverkauf “Schatzinsel” und fragt nach Getränken. Beide kennen sich nicht und helfen gerade den Leipziger Sandsackstaplern auf dem Deich an der Brückenstraße, während das Wasser steigt.
“Michael” erhält wirre Meldungen. Von überall her kommen Informationen, immer heißt es Wasser, Wasser … Hochwasser. Er sitzt an seinem Rechner, die Routine in der Redaktion der Leipziger Internet Zeitung ist bereits seit zwei Tagen schwer gestört. Das Muldental ist längst abgesoffen, es regnet immer noch und nun ist er täglich zweimal am Elsterwehr. Das Wasser kommt, das erste Mal könnte es auch Leipzig ernsthaft treffen. Gesicherte Informationen sind selten. Unter ihnen diese eine von Doc, wo er gerade steht und dass er hilfsbereite Leipziger bittet, ihm Essen und Trinken für die Helfer zu bringen.
Er beginnt auf Facebook, auf Google und auf der L-IZ, Informationen weiterzugeben, die keine offiziellen sind. Doc informiert, der Journalist reagiert, die Leipziger kommen und geben ab, was sie entbehren können. Und Doc füllt immer wieder und wieder ein altes Wohnmobil und fährt zur Brückenstraße, andere steuern das Kieswerk an, um Getränke zu bringen.
Von den offiziellen Stellen gibt es längst die wichtigen Informationen zu spät, die Nachfragen bei Ämtern und Behörden enden in hilflosem Gestammel und bei hoffnungslos überforderten Bürgertelefonistinnen spielen sich Situationen der Überforderung ab. Die vor Michaels Augen entstehende Struktur informiert präzise und zeitgleich, weil sie vor Ort ist – schneller als die Polizei erlaubt.
Von irgendwoher kommen immer mehr Menschen, die helfen wollen, über Facebook, als dringende Anfrage an die L-IZ, vor Ort per Handschlag. Ein LKW mit Robert an Bord fährt zum Konsum und holt Wasser palettenweise, eine alte Feuerwehr mit einem weiteren Robert gurkt hinaus zur Wendl-Bäckerei und holt 700 Brötchen ab, die Apotheke am Sankt Georg hat das erste Bargeld für die Tanks der Helfer und jede Menge Waren. Fleischereien halten mehr als nur ein “Hammer nicht” bereit. Alles dringend benötigt, denn während das Wasser durch Leipzig hindurch schießt, versinken im Umland weitere Gemeinden im Chaos oder stehen kurz davor.
Noch haben sich die vielen verstreuten Helfer nicht persönlich getroffen, mittlerweile ist die alte Feuerwehr zum Vehikel neben dem alten Wohnmobil geworden, da kommt eine Information, dass in Bad Dürrenberg schwere Zeiten sind. Woher der Notruf kam, weiß eigentlich keiner so recht. Auf Nachfrage ist schnell klar, die Bad Dürrenberger versuchen, bei Fährendorf einen Damm zu halten, der erste Treck aus Leipzig rollt los.
Und trifft auf große Augen und hungrige Menschen. Eine Feuerwehrmannschaft steht im Nirgendwo, nach zwölf Stunden Ackerei am Ende der Kraft, die mental und körperlich Stärksten des Dorfes sind die zweite Schicht am Wasser und diesem selbst längst sehr nah. Belegte Brötchen aus Leipzig werden hier nicht gegessen, sie werden inhaliert. Momente, die in den kommenden 48 Stunden Alltag für die ersten zwanzig Leipziger werden sollen. Unterdessen entsteht in Ankes Garage die erste Sammelstelle für Hilfsgüter.
Das erste Mal sagt jemand – es sollte “Leipzig hilft” heißen. Ein großer Name.
Am 6. Juli 2013 veranstaltet die Initiative nun am kleinen Silbersee in Lößnig ein Benefizfestival namens “Leipzig hilft”. Wie es überhaupt dazu kam, warum die Menschen bis heute zusammenarbeiten und wohin sie ihre Wege führten, in weiteren Teilen auf L-IZ.de:
Leipzig hilft (3) – Dammbau in Dautzschen: Leipzig hilft … in ganz Sachsen
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