Die SPD feiert am 23. Mai in Leipzig Geburtstag. Am 23. Mai 1863 wurde eine der Vorläuferparteien der SPD in Leipzig gegründet: der ADAV. 150 Jahre später gibt es die SPD zwar immer noch. Doch in Meinungsumfragen dümpelt sie deutlich unter der 30-Prozent-Marke. Kein guter Wert für eine Partei, die sich eigentlich die Kernelemente unserer Gesellschaft in den Namen geschrieben hat: das Soziale und das Demokratische. Zeit für ein Geschenk zum Nachdenken.
Das fanden jedenfalls die Macher der NachDenkSeiten, die auch in Leipzig heimisch sind. Zu ihnen gehört der Politikwissenschaftler Oliver Kloss. Mitinitiator eines ganz speziellen Grußes der NachDenkSeiten an die SPD und die Gäste des Festaktes, der am heutigen 23. Mai im Gewandhaus Leipzig stattfindet.
Der Gruß ist ein Flyer, der die feiernden Genossen anregen soll, darüber nachzudenken, warum sie seit 2005 nicht mehr auf Augenhöhe mit dem ewigen Konkurrenten CDU sind. “Er enthält auch eine Anregung zum Nachdenken und für die besonders wachen Geister gar eine Provokation zur Entscheidung”, meint Kloss. “Erst zum 160. Jahrestage werden wir wissen können, ob unsere Grüße solche der Begleitung einer Partei in ihrer Niebelungentreue waren auf dem Wege in die unumkehrbare Bedeutungslosigkeit oder ob ihr eine Abkehr aus dem Abwege Schröderscher Agenda-Politik doch noch gelungen sein sollte.”
Denn alle Zahlen sprechen dafür: Die erst 2012 auch von führenden SPD-Genossen fröhlich gefeierte “Agenda 2010” spielt eine enorme Rolle beim Niedergang der SPD. Sie führte schon ab 2002 zu einem Aderlass der alten Volkspartei – sie verlor insbesondere viele Mitglieder vom streitbaren linken Flügel, die entweder ganz demissionierten oder gleich mit wehenden Fahnen zur neuen Protestpartei WASG überliefen und später mit dieser bei der Linkspartei andockten. Was die Linkspartei bis heute stärkt.
Und die SPD verlor Wähler, die das Soziale bei Gerhard Schröder und Genossen nicht mehr aufgehoben sahen. Und nicht nur das nicht. Auch das Nachdenken über die Folgen der “Agenda 2010”, die die Meisten nur unter dem Label “Hartz 4”, einem Teil dieser am Ende doch wieder teildemontierten “Agenda” wahrnehmen. Sie vermissen zu recht die Diskussion und Selbstkorrektur der alten Volkspartei. Doch mit den “Streithammeln” aus dem linken Flügel ist ihr auch ein wichtiges Stück Streitkultur abhanden gekommen. Die Führungsriege der SPD ist auch im Jahr 2013 noch immer die alte Schrödersche Garde, allesamt Genossen, die eher dem rechten Flügel der SPD zuzuordnen sind.
“Einstweilen ist uns nicht mehr vergönnt, als einem ehrlichen Wunsche Ausdruck zu verleihen: Wir brauchen keine SPD als Hilfs-CDU oder Hilfs-FDP”, sagt Kloss. “Wir wünschen uns eine SPD, die für pro-kapitalistische Freunde des Sozialstaates wieder ebenso wählbar sein sollte wie für Linksliberale. Angesichts der Krise der SPD möchten wir dazu gemahnen, über die Jahre seit 1998 nachzudenken, sich die ernsten Fragen zu stellen: Wem nützten sie? Welche sinnvolle Zukunft kann noch gewollt werden?”
Die heutige SPD wirkt monolithisch und geschlossen – aber das eben auch, weil sie sich über die wesentlichen Fragen der Zeit nicht mehr (öffentlich) streitet. Sie streitet sich nur noch über Personalien, gibt sich pragmatisch und angepasst.
Das Faltblatt, das die NachDenkSeiten den Genossen in die Hand drücken, listet die ganze kurze Geschichte der “Agenda 2010” auf – mitsamt dem von Herzen kommenden Lob von CDU und CSU, die hier von einer SPD-geführten Regierung im Paket umgesetzt sahen, wofür sie unter allen Regierungen Helmut Kohls jahrelang vergeblich kämpften. Auch Edmund Stoiber, der 2002 gegen Gerhard Schröder nur sehr knapp verlor im Kanzlerwahlkampf, wird zitiert: “Stellen Sie sich mal vor, ich hätte als Unionskanzler diese Positionen und diese Reformen durchzusetzen versucht, dann hätten wir nicht nur Montagsdemonstrationen gehabt…”
Die tragischen Ereignisse der vergangenen Tage im Jobcenter Leipzig bringen eigentlich auf den Punkt, was da passiert ist. Tatsächlich wurde mit der Schröderschen Agenda das Tor für Niedriglöhne, prekäre Beschäftigung und Sozial-Dumping in Deutschland ganz weit aufgestoßen. Inwieweit das zur wirtschaftlichen Prosperität in der Bundesrepublik beigetragen hat, darüber streiten die Geister. Denn all die Leute, die dann “arm trotz Arbeit” sind, fallen auch als Konsumenten aus. Man kann zwar billiger exportieren, schädigt aber die Binnenwirtschaft.
Wirtschaft ist nicht so platt und simpel, dass das Mindern der Kosten an der einen Stelle auf der anderen Seite einfach positive Effekte zeitigt. Im Gegenteil: Wesentliche (Sozial-)Kosten landen wieder beim “Staat”.
Und nach acht Jahren CDU-Regierung ist von den einstmals unter “Fördern” versammelten Vorschlägen der Hartz-Kommission auch nicht mehr viel übrig geblieben. Wer in die Mühlen der Jobcenter gerät, dem ist der gesellschaftliche Wiedereinstieg mittlerweile höher verbaut als vor Inkrafttreten der “Agenda 2010”.
Und ziemlich sicher ist, dass die SPD im Jahr 150 ihres Überlebens darüber nachdenken muss, ob sie nur die Light-Version der CDU sein will oder wieder eine streitbare Truppe wie unter Lassalle, Bebel und Liebknecht. Die “Agenda 2010” ist dabei der Maßstab, an dem sie sich messen lassen muss. Und die Erkenntnis sollte zumindest in den diversen Arbeitskreisen der Genossen reifen, dass ein Großteil der Wähler die SPD seit 2005 an diesem Maßstab misst – und für zu leicht befindet.
Dass die Denker in dieser Partei nicht fehlen, zeigen ja die NachDenkSeiten selbst. Sie empfehlen den feiernden Genossen drei Buchautoren, die selbst SPD-Urgesteine sind: Albrecht Müller “Die Reformlüge. 40 Denkfehler, Mythen und Legenden, mit denen Politik und Wirtschaft Deutschland ruinieren”, Gustav A. Horn “Des Reichtums fette Beute: Wie die Ungleichheit unser Land ruiniert” und Hartmut Elsenhans: Kapitalismus global”.
Das Geschenk-Faltblatt zum SPD-Geburtstag.
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