Es war eine der ersten großen Niederlagen von Burkhard Jung als Oberbürgermeister von Leipzig, als am 27. Januar 2008 genau 148.761 Leipziger gegen die Privatisierung kommunalen Eigentums stimmten. Damit war sein Versuch, einen Teil der Stadtwerke Leipzig zu verkaufen, um die LVV zu entschulden, gescheitert. Noch im Dezember 2007 hatte sich der Stadtrat mit 34 zu 32 Stimmen für den Teilverkauf ausgesprochen. Doch das Thema Privatisierungen ging trotzdem weiter.

Nur nicht mehr in den großen Filetstücken. Sowohl OBM wie Stadtrat sprachen sich auch nach Auslaufen der Drei-Jahres-Bindung des Bürgerentscheids 2011 dafür aus, ihn weiter als verbindlich zu betrachten. Trotzdem verhinderte es 2012 nicht den Verkauf zweier Stadtwerke-Töchter – der HL komm und der Perdata. “Salamitaktik”, nennt es Mike Nagler, einer der Initiatoren des Bürgerbegehrens von 2007, das dann im Januar 2008 zum Bürgerentscheid führte.

Die Leipziger sind sensibilisiert. Immer dann, wenn die Stadt oder ihre Unternehmen in finanzielle Engpässe geraten, wird Verkauf kommunalen Eigentums zum Thema. Dann beginnen die berühmten “Sachzwänge” zu walten. Und bei Sachzwängen fangen auch gewählte Politiker an, die Scheuklappen anzulegen. Die Stadtratsentscheidung von 2007 steht dafür genauso wie all die Verkaufsentscheidungen davor und danach. Manchmal sorgen auch höhere Instanzen dafür, dass erst “Sachzwänge” entstehen.

Thema Schuldenbremse. Begriffen haben das nicht einmal die sächsischen Landtagsfraktionen, nur da und dort ist noch ein Grummeln zu vernehmen. Zu tief sitzt das Verbot, “Schulden” überhaupt zu denken. Dass man sich mit einem Schuldenverbot in Verfassungsrang sogar selbst die Fesseln anlegt, hat nur ein paar wachere Geister aufgeschreckt. Ein Blick nach Dresden genügt, jener berühmten sächsischen Stadt, die sich 2006 durch den Verkauf der kommunalen Wohnungsgesellschaft WOBA komplett entschuldete. Eigentlich genau der Moment, auf den sich Bürgermeister und Stadträte immer so freuen. Sie müssen keine Schulden mehr abbezahlen und können alle Investitionsvorhaben ordentlich mit Krediten unterfüttern … Nix ist.

Es geht Dresden kein Deutchen besser als Leipzig. Das Schuldenverbot ist auch jetzt schon ein Denkverbot. Und so bekam auch das schuldenfreie Dresden zu seinem Haushaltsplanentwurf 2013/2014 die gestrenge Disziplinierung: “Da, wie in den Vorjahren auch, keine Kreditaufnahmen vorgesehen sind, war der Haushalt ohnehin nicht genehmigungspflichtig. Die Landesdirektion verweist in ihrem Bescheid kritisch darauf, dass die Landeshauptstadt alle verfügbaren Rücklagen für die städtischen Investitionen einsetzt.”

“In einer begleitenden Auflage zum Prüfungsbescheid wird die Landeshauptstadt Dresden angemahnt, vor allem in der mittelfristigen Finanzplanung der Jahre 2015 – 2017 die Veranschlagungs- und Planungsgrundsätze zu konkretisieren und die derzeit bestehenden Einnahmerisiken anzupassen”, übermittelt die Stadt Dresden, was ihr die zuständige Landesdirektion mitgeteilt hat. Vormundschaft nennt man das. Gängelei kann man es auch nennen.

Unverhohlen regiert die Landesregierung in die Hoheit der Kommunen hinein und spielt den Lehrmeister in Sachen Umgang mit Geld. Das tut sie auch in Leipzig. Eine der Auflagen für die Haushaltsgenehmigung 2012 (Risiken findet man in so einem Haushalt ja immer), war die Prüfung des Verkaufs von städtischem Eigentum. Ganz konkret mahnte die Landesdirektion den Verkauf des Wassergutes Canitz an. Was die Prüfung ergeben hat, wollte OBM Burkhard Jung in diesem Frühjahr vorstellen.

Auf der Verkaufsagenda steht auch das städtische Bestattungswesen. Das ist in den letzten Jahren immer tiefer in die roten Zahlen gerutscht, unter anderem, weil es auch noch ein paar zusätzliche kostenträchtige Aufgaben für die Stadt erfüllt hat. Aber der Stadtrat hat 2012 in weiser Vorausschau beschlossen, den Eigenbetrieb in eine GmbH zu verwandeln und dann, wenn die Verwandlung geschehen ist, 49 Prozent davon auf dem Markt der Bestattungsunternehmen zu verkaufen. Was nicht ganz leicht sein wird, denn in Leipzig machen sich jetzt schon 17 private Bestattungsunternehmen Konkurrenz.Da bekam nicht nur die AntiPrivatisierungsintitiative Leipzig (APRIL) so ein mulmiges Gefühl: Großmundig versprechen die politischen Instanzen, dass sie sich an den Bürgerentscheid von 2008 halten. Aber dann dröselt man die Verkäufe doch wieder von unten her auf. “Salamitaktik”, wie es Nagler nennt. Zwar steht diesmal nicht die Stadtreinigung zur Disposition. Aber auch dort waren die Mitarbeiter wieder alarmiert. 2006, als es um die Teilverkäufe von SWL und LVV ging, sollte auch eine Privatisierung des Eigenbetriebs Stadtreinigung geprüft werden.

Politiker sind ja schizophren. Immer dann, wenn ihnen ein öffentlicher Service zu teuer wird, holen sie den abgegriffenen Glaubenssatz aus der Tasche, ein privater Inhaber könnte dieselbe Leistung für weniger Geld besser machen. Einige Mitarbeiter der Leipziger Stadtreinigung haben erlebt, wie das geht. Sie wurden seinerzeit bei Gründung der Abfallfirma ALL (Abfalllogistik Leipzig GmbH) übernommen. Die ALL ist eine GmbH mit städtischem und privatem Anteil. Preiswerter entsorgt sie die gelben und blauen Tonnen in Leipzig schon. Die ehemaligen Stadtreinigungsmitarbeiter bekamen 40 Prozent weniger Gehalt.

Schwieriger wird es, so zu rechnen, wenn in einem Langzeitvertrag nicht die Lohnkosten den Löwenanteil ausmachen, sondern nur einen kleinen Teil. Das ist bei den berühmten PPP-(Public Private Partnership)-Modellen der Fall. Noch 2010 trug sich die Leipziger Stadtverwaltung mit der Idee, gleich fünf Schulen als PPP-Projekt umzusetzen. Was ja bekanntlich nicht geklappt hat. Ab und zu rechnen ein paar Leute solche Sachen auch durch bis zum Ende.

Aber dass gleich ein ganzes Wassergut verkauft werden soll, machte Wolfgang Franke und Mike Nagler vom APRIL-Netzwerk hochgradig nervös. Ist zwar auf den ersten Blick nur ein von den Wasserwerken Leipzig betriebenes ökologisches Gut. Aber das Gut wird deshalb ökologisch bewirtschaftet, weil darunter das Trinkwasserreservoir der Großstadt Leipzig liegt. Noch deutlicher gesagt: Die ökologische Bewirtschaftung schützt die Leipziger Wasserqualität.

Wenn OB Jung ein ordentliches Gutachten dazu vorlegt, steht genau das drin.

Aber natürlich ist nicht sicher, dass die üblichen “Sachzwänge” selbst bei einer Ablehnung dieses Verkaufs nicht die nächste Idee gebären werden. Immerhin droht seit 2009 jener Berg von verzockten 300 Millionen Euro aus den dubiosen Geschäften eines ehemaligen Wasserwerke-Managers, von denen gerade zwei Gerichte in Leipzig und London klären, wer dafür eigentlich gerade steht. “Wir nicht”, sagte Burkhard Jung 2009 vollmundig.

2010 aber mahnte (schönes Wort, nicht wahr?) die Landesdirektion Leipzig, dass die Stadt hier bitteschön Risikovorsorge zu betreiben habe. Die Stadt hatte die LVV, damit sie im Notfall als Wasserwerke-Mutter abgesichert wäre, mit einer Kapitalausstattungsvereinbarung über 290 Millionen Euro versehen.

Die Gerichte verhandeln noch. Und zentral geht es auch um die Frage: Was wussten die bestallten Aufsichtsräte und was konnten sie wissen? Wie weit geht also ihre Verantwortung? Im Aufsichtsrat der Wasserwerke saßen auch brave Stadträte und Bürgermeister. Spannende Fragen.Aber der Fall zeigt auch, wie schnell ein einziger spielfreudiger Manager eine ganze Stadt in die Schulden treibt. Zwischenfrage: Was nutzt da eine Schuldenbremse?

Zwischenantwort: So geht es nicht. Man kann nicht einfach die dauerhafte Unterfinanzierung einer Stadt wie Leipzig zum dauernden Erpressungsinstrument machen, dass sie ihr Eigentum verkaufen muss.

Deswegen startete das APRIL-Netzwerk im Januar die Initiative Bürgerbegehren “Privatisierungsbremse für Leipzig”. Der lange harte Winter hat ein öffentliches Sammeln der Unterschriften für das Bürgerbegehren bis in den April hinein verhindert und erschwert. Seit etwa acht Wochen wird trotzdem fleißig gesammelt, seit drei Wochen intensiver. Am 1. Mai konnten allein am ver-di-Stand beim Maifest über 300 Unterschriften gesammelt werden.

25.000 Unterschriften möchte Mike Nagler gern bis Ende Mai zusammen bekommen. Nicht der Zahl wegen, sondern des Zeitpunktes. Denn wenn das Begehren mit der nötigen Zahl von Unterstützerunterschriften noch im Frühjahr ins Rathaus wandert, kann dort noch vor der Sommerpause geprüft werden, ob das Begehren die gesetzlichen Normen erfüllt. Und der Stadtrat kann entscheiden, wann der Bürgerentscheid dazu stattfindet. Und der ideale Termin – auch für den Finanzbürgermeister – wäre der Tag der Bundestagswahl am 22. September. Dann könnte die Stadt Wahl und Bürgerentscheid zusammen legen und würde sich auch den finanziellen Aufwand für einen eigenen Termin für den Bürgerentscheid sparen.

Damit der Entscheid Rechtskraft erlangt, müssten mindestens 25 Prozent der wahlberechtigten Leipziger dann dem Begehren des Entscheids zustimmen. Bei 436.000 Wahlberechtigten (so viele waren es im Februar zur OB-Wahl), wären das 109.000 Stimmen.

In den letzten Wochen waren insbesondere die Mitarbeiter der Stadtreinigung Leipzig schon aktiv. Sie wissen, worum es geht. Auch wenn es diesmal noch nicht wieder um die Stadtreinigung geht. Es geht auch um fair bezahlte Arbeitsplätze. Es geht aber auch um kommunales Eigentum und verlässliche Dienstleistungen.

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Die Kolleginnen und Kollegen der Stadtreinigung haben im Freundes- und Bekanntenkreis Unterschriften gesammelt. 2.500 Unterschriften haben sie zusammengetragen. Auf knapp 7.000 schätzen die Initiatoren des Bürgerbegehrens die gesammelten Unterschriften. Den Mai mit seinen vielen Ortsteil- und Bürgerfesten wollen sie jetzt nutzen, um möglichst viele Leipziger zur Unterschrift zu gewinnen.

“Am Wochenende sind wir auf den Stadtteilfesten unterwegs. Wir werden ab jetzt täglich an Ständen sammeln. Unser Ziel ist es, bis Ende Mai 25.000 Unterschriften zu sammeln, um in der Frage der Privatisierung kommunaler Unternehmen und Betriebe einen Bürgerentscheid zu erzwingen”, sagt Mike Nagler. “Trotz der wiederholten Aussagen des OBM, dass er aktuell keinen Vorschlag zum Verkauf des Wassergutes Canitz machen will, gibt es noch keine Ratsentscheidung. Wir erwarten einen klaren, definitiven Ratsbeschluss, dass das Wassergut inklusive der Bewirtschaftungsflächen in den Händen der Stadt bleibt!”

An ungefähr 30 Verteilstellen im Stadtgebiet liegen Unterschriftenlisten aus. Die Initiative bittet darum, volle Listen im Büro der Bürgerinitiative im Haus der Demokratie abzugeben. Volle Listen können dort jederzeit auch in den Briefkasten eingeworfen werden.

Die hohe Zahl, die Nagler nennt, wäre auch eine Botschaft an den Leipziger Stadtrat: Er könnte sich der Fragestellung des Begehrens anschließen und sie damit zum Stadtratsbeschluss machen. “Aber damit rechne ich mit der derzeitigen Zusammensetzung des Stadtrats nicht wirklich”, sagt Nagler.

Und so heißt es Unterschriften sammeln. Als nächste Veranstaltungen, wo die Initiative mit ihrem Stand vor Ort sein wird, stehen schon fest: das Georg-Schwarz-Straßenfest in Leutzsch am Samstag, 4. Mai, der Prix de Tacot auf dem Fockeberg am Sonntag, 5. Mai, und das Schönefelder Frühlingsfest am 4. und 5. Mai im Mariannenpark in Schönefeld.

Weitere Informationen: www.privatisierungsbremse.de

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