Es ist schon erstaunlich, wie beharrlich das Leipziger Büro Hitschfeld immer wieder dieselbe Frage stellt. Eine Frage, die nicht erst seit "Stuttgart 21" brodelt. Die aber - je knapper die Kassen werden, für Kommunen und Investoren immer wichtiger wird: Wie hoch ist die Bereitschaft, Bürgerbeteiligung zuzulassen? Und wie bereit sind die Bürger, sich einzubringen?

Das Beratungsunternehmen von Uwe Hitschfeld arbeitet seit mehr als 15 Jahren an der Schnittstelle von Politik, Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung. Es baut dabei auf verschiedene Instrumente, wie Public Consensus Engineering (PCE). Also Instrumente, die Bürgerbeteiligung transparent und handhabbar machen.

Vieles, was derzeit in Deutschland gesetzlich geregelt ist, blockiert Bürgerbeteiligung eher, grenzt sie ein oder lässt sie erst zu, wenn die Grundzüge eines Projektes längst beschlossen sind. Was dann oft den bekannten Dafür/Dagegen-Effekt mit sich bringt – und das berühmte “Basta!” und “Alternativlos!” aus den politischen Entscheidungszentralen.

Aber man nehme nur die Diskussion um den Ausbau der B 87 im Leipziger Nordwesten, wo sich das Regionalforum durchaus als kompetenter Moderator zwischen den widerstrebenden Interessen bewährte und sich nicht von vornherein in der Variantendiskussion festlegte, sondern auch die Belange von Umweltschutz (Parthenaue), kommunalen Entwicklungszielen und erwartbar knapperen Finanzbudgets ernst nahm. Nur das Wirtschaftsministerium sah das nicht so.

Die Bürger sehen tatsächlich die Umbrüche und melden sich eben nicht nur als “Neinsager” und “Wutbürger” zu Wort, wie es mancher politische Akteur gern diskreditiert. Auch bei den derzeit notwendigen Entscheidungen zu neuen Stromtrassen ist das nicht der Fall. Nur beteiligen sich die Akteure, die es tatsächlich betrifft – die großen Netzbetreiber eben nicht transparent an der Diskussion, die längst eine Variantendiskussion hätte sein können. Man will die “Planungshoheit” nicht aus der Hand geben. Ergebnis: Der Netzausbau stockt.

Auch das bekommen die Bürger mit – nicht nur die direkt Betroffenen.Genauso wie sie in der Diskussion um “Stuttgart 21” mitgekriegt haben, dass es zum tiefergelegten Bahnhof durchaus sinnvolle und vor allem preiswertere Alternativen gab. Denn das wird bei all den Hoheiten im Land auch gern vergessen: Es ist das Geld der Steuerzahler, das da verbaut wird. Und eben leider nicht immer vernünftig und nachhaltig.

Doch auch drei Jahre Diskussionsblocklade um “Stuttgart 21” haben die Bevölkerung augenscheinlich nicht entmutigt.

Die Bereitschaft der Deutschen, sich im Zuge eines Projektes zu engagieren, nimmt aktuell zu, stellt das Büro Hitschfeld nun nach der jüngsten Befragung fest.

Das geht aus der Februar-Studie der Unternehmensberatung Hitschfeld hervor, die jetzt veröffentlicht wurde. Demnach sind 58 Prozent aller Deutschen bereit, sich für oder gegen privatwirtschaftliche oder öffentliche Vorhaben, wie den Bau von Windparks, Straßen oder Stromleitungen, zu engagieren. Im Januar hatte dieser Wert bei 49 Prozent gelegen.

Die Befragung ist Teil der repräsentativen Längsschnittstudie “Akzeptanz von Projekten in Wirtschaft und Gesellschaft”. Die Erhebungen mit drei Kernfragen finden im Monatsrhythmus statt. Fester Bestandteil dabei ist die Frage nach der Bereitschaft für persönliches Engagement. Die zwei weiteren Fragen bzw. Statements variieren inhaltlich.

Die Statements im Februar:

1. Bei solchen Projekten zeigt sich: Die große Politik entscheidet – und wir müssen die Folgen tragen. Zustimmung: 88 Prozent (stimme zu/stimme eher zu)

2. Auch wenn er bei solchen Projekten unmittelbar betroffen ist: Der einfache Bürger hat praktisch keine Möglichkeiten, seiner Meinung Gehör zu verschaffen. 70 Prozent (stimme zu/stimme eher zu)

Die Projektgröße ist dabei nicht entscheidend.

“Der hohe Bereitschaftsgrad für bürgerschaftliches Engagement kommt nicht von ungefähr”, erklärt Unternehmensberater Uwe Hitschfeld. Der Umstand, dass die öffentliche Diskussion zum Themenkreis Akzeptanz und Partizipation weiterhin stark durch Projekte wie “Stuttgart 21” oder den Berliner Flughafenbau geprägt ist, trage zweifellos dazu bei. “Wir wissen aber aus unseren Studien auch, dass die Größe eines Projektes nur eine untergeordnete Bedeutung bei der Frage hat, wie wichtig Akzeptanz und Partizipation für das Gelingen dieses Vorhabens sind”, so Hitschfeld weiter.

Doch nicht nur die Bereitschaft der Bevölkerung, sich im Zuge von Projekten zu engagieren, ist konstant auf hohem Niveau: Auch die in den vorangegangenen Erhebungen vom Büro Hitschfeld definierte Partizipationskluft manifestiert sich als gesamtgesellschaftliches Phänomen. Bei den Befragten steht dem hohen Aktionspotenzial eine pessimistische Einschätzung der eigenen Rolle in der Gesellschaft und der eigenen Möglichkeiten gegenüber, seiner Meinung Gehör zu verschaffen.

Hitschfeld: “Das ist ein besorgniserregender Befund für eine Bürgergesellschaft, dessen Bedeutung weit über die Frage hinausgeht, wie man in Deutschland Infrastrukturprojekte künftig planen und umsetzen soll.”

Die Studie ist abrufbar auf: www.hitschfeld.de

www.hitschfeld.de/htdocs/forsch_d.html

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