Vor vierzig Jahren wurde der erste Partnerschaftsvertrag zwischen Leipzig und dem tschechischen Brno geschlossen. Ein L-IZ-Interview mit Dr. Thomas Krzenck vom Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Leipzig - Brno e.V. über "eine junge und vitale Stadt im Herzen Europas". Und über den Austausch zwischen beiden Stadtgesellschaften.

Herr Dr. Krzenck, Sie haben als junger Mann in Brno studiert. Was sind für Sie die prägenden Erinnerungen aus dieser Zeit?

Zunächst: Ich habe in den Jahren 1978 bis 1982 Geschichte an der Universität Brünn studiert, also zu tiefsten “sozialistischen” Zeiten, was das Leben an der Hochschule und außerhalb dieser geprägt hat. Doch trotz aller ideologischen Bevormundung konnte man, bei entsprechendem Engagement, Nischen finden und ein seriöses Studium absolvieren.

Ich jedenfalls zehre noch immer davon, bin der Sprache und der Stadt – als Historiker, Übersetzer und eben als Vereinsvorsitzender – treu geblieben, habe Kollegen und Freunde in der südmährische Kapitale, einer Stadt, die ich seit nunmehr 35 Jahren kenne. Und im Übrigen immer wieder neu entdecke!

Natürlich war Brünn zu Studienzeiten eine sprichwörtlich “graue” Stadt, deren deutsche Vergangenheit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts weitgehend ein Tabu darstellte. Das ist etwas, womit ich mich erst viel später begonnen habe zu beschäftigen.

Heute kümmern Sie sich um einen lebendigen Austausch zwischen Leipzig und Brno. Vor 40 Jahren wurde erstmals die Partnerschaft zwischen beiden Städten besiegelt. Welche Projekte stehen für Ihre Mitstreiter und Sie im Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Leipzig – Brno e.V. heute im Vordergrund?

2013 feiern wir 40 Jahre Städtepartnerschaft zwischen Leipzig und Brünn – auch die Tschechen bzw. die Brünner haben keine Probleme mit dem deutschen Namen der Stadt! – eine Kooperation, die 1999 erneuert und auf neue politische Grundlagen gestellt wurde.

Seit 2006 gibt es unseren kleinen, aber sehr agilen Verein, der sich im sozialen Bereich, aber auch in kulturellen Projekten sowie in der Kontaktanbahnung zwischen Institutionen – und den Menschen in diesem Kontext – engagiert.

Ich möchte an dieser Stelle nur auf die engen Beziehungen zwischen Diakonie Leipzig und Betanie Brünn hinweisen, etwa auf dem Gebiet der Altenpflege, auf die jährlichen Lesungen auf der Leipziger Buchmesse, die wir organisieren. Gern verweise ich auch auf die bereits bestehenden Kooperationen zwischen den Universitäten in beiden Messestädten im Bereich Seniorenstudium oder zwischen den jüdischen Gemeinden in Leipzig und Brünn, die unser Verein vermittelt hat. Auch Schulpartnerschaften stehen mittlerweile im Fokus unserer Tätigkeit.

Welche Höhepunkte setzen Sie im Jubiläumsjahr 2013?

Im “Jubiläumsjahr” haben wir darüber hinaus eine Doppelausstellung über Dora Müller und Ernst Paul organisiert, zwei hier wohl weitgehend unbekannte Persönlichkeiten, die trotz ihrer unterschiedlichen Vita ein Lebensmotto verband: die Aussöhnung zwischen Tschechen und Deutschen angesichts der leidvollen Erfahrungen im 20. Jahrhundert. Diese Exposition wird am 28. Februar, 17 Uhr, in der Villa Tillmanns, Wächterstraße 30, eröffnet.

Es folgen eine Lesung mit Radka Denemarková auf der diesjährigen Buchmesse am 16. März und eine Kafka-Lesung am 25. Juni im Rahmen der diesjährigen Jüdischen Woche Leipzig, um nur einige Punkte hervorzuheben.

Die Stadt Leipzig hat im Übrigen zusammen mit der Stadt Brünn einen Flyer in deutscher und tschechischer Sprache herausgegeben, der über alle diese Veranstaltungen und vieles mehr im Jubiläumsjahr Auskunft gibt.Wie würden Sie das heutige Brno beschreiben?

Vor allem als eine junge und vitale Stadt im Herzen Europas mit etwa 380.000 Einwohnern, die auch immer mehr Touristen anzieht. Eine junge Stadt mit vielen tausenden Studenten an mehreren Universitäten und Hochschulen. Eine Stadt, die – ähnlich Leipzig – nach 1989 einen Strukturwandel zu bewältigen hatte. Eine Stadt mit einem reichhaltigen Kulturangebot in allen Sparten.

Eine Stadt, die Sitz wichtiger Institutionen der gesamten Tschechischen Republik ist. Eine Stadt mit einer geschichtsträchtigen Umgebung, historisch und kulturell seit der frühen Neuzeit ein “Vorort” Wiens, der das Flair Brünns nachhaltig prägte. Eine nicht nur architekturgeschichtlich interessante Metropole mit ihrem Juwel: der Villa Tugendhat.

Zu den Persönlichkeiten, die an der Universität Leipzig studierten, zählt der tschechoslowakische Staatsgründer und langjährige Präsident Tomá? Garrigue Masaryk (1850 – 1937). Wichtige Institutionen in Brno tragen seinen Namen. Nun war die erste tschechoslowakische Republik damals nicht nur die stabilste Demokratie Mitteleuropas, sondern auch ein multiethnischer Staat. Können wir heutigen Europäer etwas von Masaryk lernen?

Verbindungslinien zwischen Leipzig und Brünn gibt es viele. Eine davon berührt den Philosophen und Staatsgründer TGM: Masaryk. Er lernte bei seinem Studium in Leipzig übrigens seine spätere Frau kennen.

Die Erste Tschechoslowakische Republik (1918-1938) war in der Tat ein multiethnischer Staat und bei allen Unzulänglichkeiten eine gut funktionierende Demokratie, die nach 1933 für wenige Jahre zum Exilland für viele, vom NS-Regime verfolgte Demokraten wurde, ehe sie als Protektorat Böhmen und Mähren selbst Opfer von Hitlers Eroberungswahn und Menschenverachtung wurde.

Sofern man überhaupt etwas aus der Geschichte lernen kann – eine heiß diskutierte Frage -, dann jenes: Eine Demokratie ist so stark und lebensfähig wie ihre politischen Repräsentanten. Hier hat TGM sicherlich, vor dem zeithistorischen Hintergrund und darüber hinaus, Maßstäbe gesetzt. Als toleranter Philosophen-Präsident und als menschlich integre Persönlichkeit. Doch wer die Brüche der europäischen und tschechischen Geschichte des 20. Jahrhunderts kennt, weiß auch wie nah beieinander Aufstieg und Fall liegen.

Für die Demokratie und ein Miteinander der Nationen blieb im nationalsozialistischen Machtbereich kein Platz. Wie weit reichen die Schatten der Vergangenheit im deutsch-tschechischen Verhältnis aus Ihrer Erfahrung noch?

Fast sieben Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges vernarben die Wunden, die Hitler-Deutschland Europa und der Welt zugefügt hat, immer mehr. Dies allein schon aus biologischen Gründen.

Dass die Idee Europa, manifestiert nicht ausschließlich in der Europäischen Union, dabei jedoch kein Selbstläufer ist, sehen wir heute – vor dem Hintergrund wachsender Egoismen – mehr denn je. Da muss man sich auch der historischen Verantwortung bewusst sein. Gerade im deutsch-tschechischen Verhältnis, das im Großen Ganzen gut ist, nicht nur, weil beide Länder EU und NATO angehören.

Wie würden Sie die heutigen deutsch-tschechischen Beziehungen beschreiben?

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Die Beziehungen zwischen den normalen Bürgern in beiden Ländern gestalten sich, gerade unter der jungen Generation, oftmals sogar freundschaftlich. Sieht man einmal von steigender Kriminalität und Drogenschmuggel im sächsischen Grenzgebiet ab. Einem ernst zu nehmenden Problem!

Die deutsch-tschechische Erklärung von 1997 hat im Verhältnis zwischen beiden Staaten zweifellos Maßstäbe gesetzt. Nicht nur auf der politischen Bühne.

Die Schatten der Vergangenheit sind weitestgehend verschwunden – dass dies so bleibt, erfordert aber auch immer wieder aktive Aufklärung, eine Auseinandersetzung auch und gerade mit der Vergangenheit. Dass gelegentlich, wie zuletzt im Wahlkampf um den neuen tschechischen Präsidenten nationalistische Töne angeschlagen werden, mag im ersten Augenblick irritieren, doch sind die bilateralen Beziehungen so gut und stabil, dass auch solche gelegentlichen Störfeuer verhallen werden, ohne dauerhaft Schaden anzurichten.

Vielen Dank für das Gespräch.

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