Leipzigs Ehrenamtler haben protestiert - sie haben 2011 protestiert, sie haben 2012 protestiert. Es hat nichts genützt. Ursula von der Leyen, die deutsche Arbeitslosenministerin, hat die Arbeitsmarktinstrumente zusammengestrichen. Und reihenweise fielen die bislang über diverse Beschäftigungsmaßnahmen abgesicherten Verwaltungsjobs in den ostdeutschen Vereinen. Es traf die Bürgervereine und die Jugendarbeit, den Umweltschutz und selbst die Freiwillige Feuerwehr.
Gerade im Osten, wo die Finanzdecke von Kommunen und Bürgern sowieso schon dünn ist, wo auch die Bundesländer und allen voran Sachsen schon mit der Machete in die Förderkulisse für Vereine und freiwilliges Engagement insbesondere im Sozial- und Jugendbereich eingefahren sind, ist längst der Punkt erreicht, an dem selbst erfahrene Geschäftsführer in gewöhnlichen Unternehmen das Licht ausmachen und die Firma auflösen würden.
Wie lange wird es dauern, bis auch blondgelockte deutsche Politiker begreifen, dass ehrenamtliche Vereine kleine Wirtschaftseinheiten sind, die genauso sauber wirtschaften müssen wie jedes andere Unternehmen – nur dass sie dazu etwas Geld zur Unterstützung brauchen?
Das sie möglicherweise hätten, wenn das Einkommensniveau in Sachsen nicht auch noch durch eine furiose Niedriglohnpolitik schlicht im Keller wäre. 1.066 Euro betrug das durchschnittliche persönliche Nettoeinkommen der Leipziger 2011, gerade einmal 30 Euro mehr als 2010. So ergab es die “Bürgerumfrage 2011”. Gerade einmal 2,9 Prozent mehr als 2010 – das ist gerade einmal die Inflationsrate. Über alle Einkommen hinweg sei das Einkommen gestiegen, freuen sich Leipzigs Statistiker.
Nur zum Vergleich: Das pfändungsfreie Existenzminimum lag 2011 in Deutschland bei 1028,89 Euro netto pro Monat. Die Leipziger existieren im Durchschnitt ganz offiziell knapp über dem Existenzminimum. Ein gehöriger Anteil versucht noch weit darunter, über die Runden zu kommen. Und da wird der Traum von steigenden Einkommen schon kräftig konterkariert: Der Anteil der Leipziger, die mit weniger als 800 Euro im Monat auskommen mussten, erhöhte sich saftig von 26 auf 31 Prozent. Dafür sank zum Beispiel der Anteil derjenigen, die zwischen 1.400 und 2.000 Euro verdienten.
Woran liegt das? – Unter anderem wohl am Absturz der Selbstständigen in Leipzig. Sie haben 2011 weitere Einkommensverluste hinnehmen müssen, weil auch die Stadt, die ihre Rolle für das Cluster Kreativwirtschaft noch lange nicht begriffen hat, ihre Aufträge vermehrt an Büros und Agenturen in den alten Bundesländern vergibt. Selbstständige in Leipzig waren schon in den letzten Jahren Selbstausbeuter – mittlerweile ist ihr Durchschnittseinkommen von 1.085 Euro unter das Niveau der Facharbeiter von 1.117 gesunken. Und das ist – den vielen Dumpinglöhnen in Leipzig sei Dank – auch ein hundsmiserables Niveau. Denn auch das Gesamtniveau der Einkommen in Leipzig bestimmt natürlich die Auftragslage für die Selbstständigen.
Denn tatsächlich hat das Durchschnittsnettoeinkommen der Leipziger seit 2000 stagniert – zwischen 2002 und 2007 gab es sogar echte Einkommensverluste. Erst seit 2010 steigt das Niveau tatsächlich – aber nicht überragend. Wovon vor allem Festangestellte in Unternehmen und im öffentlichen Dienst profitieren.
Wenn man einen Zuwachs in Höhe der Inflation Profit nennen kann.Da bleibt nicht wirklich mehr Geld für Mitgliedsbeiträge in Vereinen, aus denen möglicherweise eine Geschäftsführung oder auch nur eine Bürokraft bezahlt werden könnte. Die verlässlichen Strukturen eben, die einfach die notwendigen Dinge abwickeln, ohne die auch ein Verein nicht funktioniert – Beiträge kassieren, Termine organisieren, mit Kassen und Behörden kommunizieren. Wo diese treue fleißige Person im Hintergrund fehlt, an die Arbeit einfach delegiert werden kann, lösen sich Vereinsstrukturen sehr schnell auf. Leipziger, die gern mitmachen wollen, verlieren den Kontakt, fühlen sich ausgeschlossen, bleiben weg.
Und der Effekt hat die Leipziger Vereinslandschaft schon 2011 aufgerollt. Der Anteil von ehrenamtlichen Aktiven sank von 21 auf 16 Prozent. Einzige Ausnahme: die Sportvereine. Hier stieg der Anteil sogar. Aber richtig heftig hat es all jene Vereine erwischt, die sich zwar auf professionellem Niveau mit staatlichen Stellen auseinander setzen müssen, dafür aber in der Regel keine Anerkennung bekommen. Das beginnt schon im Kirchenbereich, wo die Zahl der Aktiven um 30 Prozent abnahm, ging bei den Aktiven in Schulen und Kindergärten weiter, wo 25 Prozent der Ehrenamtlichen die Fahnen strichen – Frauen zumeist. Womit der nächste Pferdefuß an den Sparorgien in Bund und Land sichtbar wird: Diese Orgien treffen auch im Ehrenamt zuallererst Frauen. Denn sie sind es, die sich in Bereichen wie Bildung, Soziales und Jugend besonders engagieren.
Ursula von der Leyen hätte sich auch einfach ans Mikro stellen können und sagen: Liebe Frauen, eure aufopfernde Arbeit für diese Gesellschaft ist mir schnurzpiepegal.
Indirekt hat sie es ja gezeigt.
Im sozialen Bereich gingen 20 Prozent der Ehrenamtlichen verloren, in der außerschulischen Jugend- und Bildungsarbeit 60 Prozent. Und das in einer Zeit, in der die zuständigen Bildungsministerinnen von lebenslangem Lernen schwadronieren.
Ohne staatlich gestützte Strukturen gibt es dafür kein Ehrenamt. Denn Ehrenamt macht man ja in Leipzig eher nicht der Ehre wegen, sondern weil hier notwendige gesellschaftliche Arbeit getan wird. In diesem Sinn appellierten die Leipziger Vereine ja auch an die Stadt, die jedes Mal so wahnsinnig stolz ist auf ihre Ehrenamtler – aber das Geld scheinbar nicht hat, um die Vereine mit diesen notwendigen Stellen auszustatten.
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Im Umwelt- und Tierschutz gingen 66 Prozent der Ehrenamtler verloren, im Gesundheitsbereich 60 Prozent. Klingt jetzt nach großen Zahlen – aber hier waren schon vorher weniger Ehrenamtliche unterwegs als etwa in Sport und Freizeit (dort stieg die Zahl der Ehrenamtler). Und getroffen hat es auch den Bereich Unfall- und Rettungsdienst und Freiwillige Feuerwehr.
Da steht vor allen verantwortlichen Politikern die Aufgabe, darüber nachzudenken, wie man ehrenamtliche Arbeit für eine Gesellschaft sichern kann, die ohne diese soziale Partizipation wahrscheinlich in die Binsen gehen wird.
Das Interesse am Ehrenamt, auch das belegt die Bürgerumfrage, ist noch genauso hoch wie im Vorjahr. Es geht nicht ums Wollen, sondern um ein Mindestmaß öffentlicher Unterstützung. Denn auch das wird gern vergessen: Die Arbeitswelt in Deutschland hat sich in den letzten Jahren nicht zum Besseren verändert. 61 Prozent derjenigen, die gern ein Ehrenamt übernehmen würden, haben dafür gar keine Zeit, in der Regel, weil es in ihrem Job reguläre Arbeitszeiten gar nicht mehr gibt. Was übrigens auch für viele Weiterbildungsangebote in der Stadt zutrifft.
Womit wir wieder beim so schön beschworenen “lebenslangen Lernen” wären. Das wünschen sich ja Politiker so sehr von ihren Untertanen – nur die Ressourcen stellen sie dafür so ungern bereit.
Dazu mehr morgen an dieser Stelle.
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