Am 12. Februar in der Ratsversammlung ging es auch um ein Gebiet, das bislang im Leipziger Süden ziemlich wild und unbeachtet herumliegt – das Gebiet des einstigen Bayerischen Bahnhofs südlich der Kurt-Eisner-Straße/Semmelweisstraße. Seit Jahren liegt es brach, seltene Tier- und Pflanzenarten konnten sich ansiedeln. Aber größtenteils ist es in Privatbesitz. Und das heißt: Hier wird irgendwann gebaut. Es braucht also einen Bebauungsplan. Mit allem Für und Wider.

Und das Wider kam schon im Vorfeld von der Initiative Stadtnatur, die hier wohl zu recht befürchtet, dass wieder einmal wertvoller Lebensraum und eine wichtige Frischluftschneise verloren gehen. Sie warb dafür, der Aufstellung eines Bebauungsplanes nicht zuzustimmen.

In der Ratsversammlung am 12. Februar brachte der fraktionslose Stadtrat Stefan Rieger im Wesentlichen die Argumente der Initiative Stadtnatur vor. Argumente, die auch mit dem schon zum Teil bebauten nördlichen Teil des Bayerischen Bahnhofs zu tun haben, wo tatsächlich die dort nachgewiesenen seltenen Arten im Grunde verdrängt wurden. Denn wenn erst einmal gebaut wird, bleibt von solchen auf Brachen entstandenen neuen Lebensräumen in der Regel nichts übrig. Das sollte, so hoffte die Initiative Stadtnatur, im Südteil nicht auch so passieren.

Doch der Stadt sind durch das Baurecht die Hände gebunden, wie Baubürgermeister Thomas Dienberg betonte. Die Stadt kann nur lenkend eingreifen – und zwar durch die Aufstellung eines Bebauungsplanes. Was am 12. Februar auf dem Tisch lag, war die Vorstufe dazu: ein „Verfahrensleitender Beschluss zum weiteren Vorgehen in den Teilgebieten 5c, 8, 9 und 9a im Geltungsbereich des Aufstellungsbeschlusses zum Bebauungsplan Nr. 397 ‚Stadtraum Bayerischer Bahnhof‘“.

Was soll hier südlich der Semmelweisstraße gesichert werden?

Das brach liegende Gebiet zwischen Semmelweisstraße und MDR-Gelände. Archivfoto: Matthias Weidemann
Das brach liegende Gebiet zwischen Semmelweisstraße und MDR-Gelände. Archivfoto: Matthias Weidemann

„Für die Teilgebiete 5c, 8, 9 und 9a des Geltungsbereichs des Aufstellungsbeschlusses des Bebauungsplans Nr. 397 – ‚Stadtraum Bayerischer Bahnhof‘ soll zur Sicherstellung der geordneten baulichen Entwicklung das Bebauungsplanverfahren weitergeführt werden. Dabei sollen im Sinne der doppelten Innenentwicklung weitere innerstädtische und gut erschlossene gewerbliche Flächen an dafür geeigneten Standorten ermöglicht und gleichzeitig vorhandene Grünstrukturen qualifiziert werden“, schreibt das Stadtplanungsamt in der Vorlage.

„Große Bereiche des Areals sind dem sogenannten planerischen Außenbereich nach § 35 BauGB zuzurechnen. In der Bestandssituation fehlt es an einer Umgebungsbebauung, die in der Lage ist das große Areal maßstabsbildend zu prägen. Es bedarf somit nach § 1 Abs. 3 BauGB einer Planung um eine geordnete städtebauliche Entwicklung im Sinne der Ziele zu ermöglichen.

Außerdem soll mit dem Bebauungsplan die planerische Grundlage zur Errichtung der Brücke Steinstraße über die Gleisanlagen der Deutschen Bahn und die Führung der Aktivachse Süd im die Gleise begleitenden Park gelegt werden.

Die Grundstücke befinden sich überwiegend in Privatbesitz. Zum Erreichen der angemessenen planerischen Ziele und der stadtplanerischen Anforderungen verfolgt die Verwaltung das Ziel, für den Bereich einen Kostenübernahmevertrag mit den Flächeneigentümerinnen abzuschließen und gemeinsam einen städtebaulichen Wettbewerb nach RPW durchzuführen. Auf dieser Basis soll die inhaltliche Ausgestaltung des Planverfahrens beginnen.“

Herr Stefan Rieger (Freie Wähler) im Leipziger Stadtrat am 12.02.25. Foto: Jan Kaefer
Stefan Rieger (Freie Wähler) im Leipziger Stadtrat am 12.02.25. Foto: Jan Kaefer

An der Stelle hakte ein Änderungsantrag der CDU-Fraktion ein, die noch einmal eine Prüfung verlange, „ob auf ein städtebauliches Qualifizierungsverfahren verzichtet werden kann.“ Ein solches hätte es ja zum benachbarten Gebiet am Kohlrabizirkus schon gegeben, stellte CDU-Stadträtin Sabine Heymann fest. „Stattdessen soll ein bereits das mit den Planungen für das Objekt Kohlrabizirkus Planungsbüro/-gesellschaft mit dem Planungsverfahren beauftragt werden.“

Der zweite Teil des Antrags wäre schon wettbewerbsrechtlich nicht möglich, stellte Baubürgermeister Dienberg fest. Den ersten Teil könne man durchaus – noch einmal – prüfen, so Dienberg.

Auch wenn er selbst betonte, dass die Stadt an einer Bebauung interessiert ist, die sich auch die nächsten 50 Jahren sehen lassen kann. Also die Bauherren dazu zu animieren, trotzdem eine dem Ort angemessene Baugestaltung zu wählen.

Was soll hier entstehen?

„Es besteht die Absicht im Bereich zwischen der Mediacity, dem Gelände des MDR und den östlich angrenzenden Bahnflächen gewerbliche Bauflächen, ggf. mit einem Nutzungsschwerpunkt auf wissenschaftlichen Einrichtungen, zu entwickeln. Es sollen im Sinne der doppelten Innenentwicklung weitere innerstädtische und gut erschlossene gewerbliche Flächen an dafür geeigneten Standorten ermöglicht und gleichzeitig vorhandene Grünstrukturen qualifiziert werden“, schreibt da Stadtplanungsamt in der Vorlage.

„Gleichzeitig soll die ‚Aktivachse Süd‘, die grüne Rad- und Fußwegeverbindung in Richtung Markkleeberg, mit einer Brücke etwa in Höhe der Steinstraße bzw. südlich des Lokschuppens die Gleisanlagen der S-Bahn kreuzen. Für die Brücke und die ‚Aktivachse Süd‘ soll mit dem Bebauungsplan die planungsrechtliche Zulässigkeit erreicht werden.

Auf dem Grundstück der Deutschen Bahn, westlich der Gleislage der S-Bahn-Trasse, soll die Grünfläche zu einem Stadtteilpark mit Fuß- und Radwegen qualifiziert werden.“

Das erweckt Erinnerung an mittlerweile gut abgehangene Stadtratsbeschlüsse. Um die „Aktivachse Süd“ entlang der S-Bahnstrecke ging es zuletzt 2019 im Stadtrat.

Über die Brücke in Verlängerung der Steinstraße über die S-Bahn-Trasse wurde schon seit 2015 diskutiert. Aber das alles wird noch Jahre dauern, bis es endlich angepackt wird. Zu den Einwendungen von Stefan Rieger sagte Thomas Dienberg, dass der Schutz ökologisch wertvoller Vorkommen im Gebiet ja Teil eines Bauleitverfahrens wäre. Da wäre dann zu klären, was es an schützenswerten Gütern im Plangebiet zu sichern gelte.

Eine Aussage, die die Initiative Stadtnatur so nicht gelten lassen wollte. Sie reagierte im Anschluss mit einer eigenen Pressemeldung. Wir haben sie unterm Beitrag platziert. Sie beinhaltet die mittlerweile immer wieder aufflammende Leipziger Diskussion, wie die Stadt eigentlich dafür sorgen kann, wertvolle auf Brachen entstandene Biotope zu erhalten und auch die in den kommenden Hitzezeiten so wichtigen Frischluftschneisen zu bewahren.

Wie groß die Spielräume der Stadt tatsächlich sind, entscheidet am Ende wohl das Baugesetzbuch. Auch südlich der Semmelweisstraße gehören fast alle Grundstücke privaten Eigentümern, die wohl auch schon Bauinteresse bekundet haben. Also kann die Stadt derzeit eigentlich nur regelnd eingreifen, indem sie mit einem offiziellen Bebauungsplan festlegt, wo es ökologisch wertvolle Abschnitte zu erhalten gilt.

Die Vorlage jedenfalls bekam 50 Stimmen bei einer Gegenstimme. Mit der gewünschten Änderung aus dem CDU-Antrag, eventuell auf ein städtebauliches Qualifizierungsverfahren zu verzichten.

***

Das Statement der Initiative Stadtnatur

Leipziger Stadtrat beschließt mit 50:1 Stimmen die Überbauung der ökologisch wertvollen Brache des Bayerischen Bahnhofs südlich der Semmelweisbrücke

Am 12. Februar 2025 hat die Ratsversammlung der Überbauung und damit der Zerstörung des Südteils der ökologisch und klimatisch überaus bedeutsamen Brache des Bayerischen Bahnhofs nahezu einstimmig zugestimmt. Daran konnten auch die mahnenden Worte des fraktionslosen Stadtrates Stefan Rieger, der eine Stellungnahme der Initiative Stadtnatur vortrug, nichts ändern.

Belange des Artenschutzes, des Naturschutzes und des Klimaschutzes spielen offenkundig auch im neuen Stadtrat – quer durch alle Fraktionen – keine Rolle.

Im Fachjargon des grün geführten Baudezernates nennt man die Zerstörung der Brache: Verfahrensleitender Beschluss zum weiteren Vorgehen in den Teilgebieten 5c, 8, 9 und 9a im Geltungsbereich des Aufstellungsbeschlusses zum Bebauungsplan Nr. 397 „Stadtraum Bayerischer Bahnhof“.

Das Gebiet südlich der Semmelweisbrücke. Foto: Initiative Stadtnatur
Gebiet südlich der Semmelweisbrücke. Foto: Initiative Stadtnatur

Die Initiative Stadtnatur hatte im Vorfeld der Abstimmung eine Stellungnahme verfasst und allen Fraktionen und einzelnen Abgeordneten, die sich eigentlich mit umweltfachlichen Fragestellungen befassen müssten, zugesandt. Der fraktionslose Stefan Rieger trug vor der Abstimmung die Inhalte dieser Stellungnahme vor.
Die Brache ist eine Kaltluftschneise erster Ordnung, die Flächen dienen der Frischluft- und Kaltluftentwicklung und sind auch für das stark überheizte Umfeld und die Innenstadt von besonderer Bedeutung. All dies ist der Stadtklimaanalyse der Stadt zu entnehmen. Darüber hinaus muss die Stadt umdenken.

Correctiv hat im letzten Jahr für Leipzig nachgewiesen, dass in den Jahren 2018 bis 2024 also in nur 6 Jahren, 8 km² Grünflächen überbaut wurden. Die Stadt führt aber eine ganz eigene Statistik mit ihren Umweltindikatoren. Dort wird zwar zugegeben, dass sich „in den letzten 10 Jahren die gesamtstädtische Grünflächenversorgung kontinuierlich abgenommen hat“, meint dann aber, dass der Orientierungswert von 13 m2 pro Kopf eingehalten wird.

Wie die Stadt diesen Wert errechnet hat, bleibt unklar. Dass diese Versorgung selbstverständlich in einigen Stadtteilen ganz anders aussieht, liegt auch auf der Hand. Verantwortlich für den Schwund an Grünflächenversorgung ist laut Stadt ohnehin nur der Einwohner*innen-Zuwachs. Die Stadt führt bisher überhaupt kein Kataster über die Grünflächen, es werden lediglich die öffentlichen Grünflächen bilanziert und es sind daher laut städtischen Angaben in den letzten 10 Jahren offiziell „nur“ 3 ha Grünflächen „verschwunden“.

Aber die Brachen sind nicht nur elementar für das Stadtklima, sondern auch für die Biodiversität in der Stadt. Am Bayerischen Bahnhof wurden Zauneidechse, Wechselkröte und Neuntöter festgestellt. Alles gefährdete und seltene Arten insbesondere für die Stadtnatur.

Im Gebiet südlich der Semmelweisbrücke. Foto: Initiative Stadtnatur
Gebiet südlich der Semmelweisbrücke. Foto: Initiative Stadtnatur

Der Baudezernent verwies in der Ratsversammlung zur Beschlussvorlage auf das „ordentliche Bauleitverfahren“, in dem dann alle Bedenken im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung eingebracht werden können. Leider sind unsere fachlich fundierten Stellungnahmen zu den großen Bauvorhaben der Stadt mit flächenhaften Versiegelungen, Rodungen umfangreicher Baumbestände und Zerstörung von Stadtnatur in den letzten 10 Jahren allesamt „weggewogen“ worden.

In der sogenannten Abwägung der verschiedenen Belange im Bebauungsplanverfahren wird immer noch gegen Klimaschutz und Naturschutz und für Beton entschieden ohne jegliche Prüfung von Alternativen, wie Aufstockung, Nutzung von bestehender Bausubstanz und Entsiegelung.

Dass die Stadtverwaltung der Bebauung grundsätzlich den Vorrang einräumt, ist klar.

Das Ziel steht in der Beschlussvorlage selbst: „Ziel des Verfahrens ist eine gewerblich geprägte Bebauung angemessener Höhe und Dichte.“ Es geht also gar nicht um Wohnraum in der wachsenden Stadt und schon gar nicht um Sozialwohnungen. Dass diese Gewerbenutzung eine Maximalbebauung bedeutet, ist wahrlich kein Geheimnis. Laut Baunutzungsverordnung dürfen in Gewerbegebieten 80 % der Fläche versiegelt werden.

Ein bisschen grünlackierte Augenwischerei, ist in der Beschlussvorlage natürlich auch enthalten: „Der Ausgleich für erforderliche Eingriffe soll weitestgehend im Plangebiet erfolgen. Bei der Entwicklung der Freiräume ist den Anforderungen an den Klimawandel Beachtung zu schenken. Vorhandene Gehölzstrukturen sollen möglichst erhalten und das Grüne Band entlang der Gleise aufgewertet werden.

Das Grüne Band soll in Fortführung des Stadtteilparks auf der anderen Seite der Semmelweisbrücke im Bereich des Teilgebiets 5c entlang der Gleisanlagen der Deutschen Bahn weitergeführt und perspektivisch zu einem Park entwickelt werden.“ Formulierungen, die wir bestens von dem Nordteil der Brache kennen. Formulierungen, die verschleiern sollen, dass es letztlich zu einer fast völligen Zerstörung aller wertgebenden Strukturen der Brache kommt. Formulierungen, die so watteweich sind, dass sie eigentlich jeden Eingriff möglich machen.

Aber diesmal hat nun auch bis auf eine einzige Stimme der gesamte Stadtrat für die Bebauung einer der Frisch- und Kaltluftbahn 1. Ordnung des südlichen Stadtgebietes zugestimmt. Keine Fraktion, kein umweltpolitischer Sprecher oder andere Ratsmitglieder (außer Stefan Rieger), von denen man erwarten könnte, Interesse am Erhalt von Stadtgrün zu zeigen, meldeten sich zu Wort.

Und so kam es dann, wie es wohl kommen musste. Die Beschlussvorlage wurde mit 50 : 1 Stimmen durchgewunken und damit alle Weichen gestellt, die Kahlschlagspolitik der vergangenen Legislaturperiode unverändert weiterzuführen.

Wir von der Initiative Stadtnatur müssen diese Entscheidung des Stadtrates zunächst zur Kenntnis nehmen. Aber wir kündigen hiermit schon mal an, dass wir die Weiterplanungen sehr kritisch begleiten werden. Wir hoffen, dass gegen den Bebauungsplan Klage erhoben werden wird! Und wir werden alles tun, um eine solche Klage zu unterstützen!

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar