Es gibt nicht nur die Stadt Leipzig mit ihren Stadtbezirken. Insgesamt gehören 14 Ortschaften zum heutigen Leipzig, eingemeindet Ende der neunziger Jahre. Oft bezeichnen sich deren Einwohner nicht als Leipziger und fühlen sich von der Kernstadt nicht genügend beachtet. Wir haben die 14 Ortsvorsteher angeschrieben, die meisten haben geantwortet und im Laufe der nächsten drei Monate werden wir über die Ortsteile berichten. Am 6. Dezember trafen wir uns mit Denis Achtner zum Gespräch in Böhlitz-Ehrenberg.
Fährt man stadtauswärts in Leipzig und erreicht die maroden Eisenbahnbrücken auf der Georg-Schwarz-Straße, so beginnt, ziemlich genau am S-Bahnhof Leutzsch, die Ortschaft Böhlitz-Ehrenberg. Einst die größte Industriegemeinde der DDR, wurde die Gemeinde am 1. Januar 1999 eine Ortschaft der Stadt Leipzig. Denis Achtner ist seit 2016 Ortsvorsteher von Böhlitz-Ehrenberg.
Hallo Herr Achtner! Viele Leipzigerinnen und Leipziger reden heute nicht mehr von Ortschaften, sondern von Stadtrandlagen. Was macht das mit Ihnen?
Es ist eigentlich traurig, dass die Ortschaften nicht als in der Mitte der Stadt angesehen werden, sondern als Randlage. Und ich denke mal, das zeigt eben auch das Problem. Da hat sich in den letzten 25 Jahren zwar etwas entwickelt, aber eben noch nicht so viel, dass man sagen kann, man fühlt sich zum Zentrum zugehörig.
Wir sind da noch relativ gut angebunden, mit dem ÖPNV zum Beispiel, aber wenn ich dann Richtung Rückmarsdorf und Burghausen denke, da ist es natürlich schwieriger. Da gibt’s zwar jetzt das Flexa-Gebiet, aber man ist trotzdem immer noch, in den Randlagen, auf das Auto angewiesen.
Mit den Eingemeindungsverträgen wurden den Ortschaften Rechte eingeräumt, unter anderem, um den Ortscharakter, das örtliche Brauchtum und das kulturelle Leben der bisherigen Gemeinde weiterhin zu erhalten. Dazu gehören die Ortschaftsräte als politische Vertretung.
Wenn man Sie und die anderen Ortsvorsteher im Stadtrat hört, dann klingt das oft so, als würden die Ortschaften von der Stadt vergessen werden. Stimmt das so?
Es gibt gewisse Leuchtturmprojekte in den Ortsteilen stattfinden. Man kann nicht sagen, hier passiert gar nichts. Aber an manchen Stellen hat man schon das Gefühl, dass die Sensibilität für die Randlagen nicht gegeben ist. Wir haben zwar als Ortschaftsrat ein Anhörungsrecht, aber das viel wichtigere ist das Antragsrecht. Und das kann man natürlich nur wahrnehmen, wenn man weiß, dass irgendwas für die Ortschaft gemacht wird.
Da ist es eben seit Anbeginn, als ich Ortsvorsteher geworden bin, relativ schwierig, an die Information heranzukommen. Das heißt, wir werden ungefähr eine Woche vor der Stadtratssitzung über eine Vorlage in Kenntnis gesetzt. Dann kann ich mir noch einen Änderungsantrag aus den Fingern saugen, der natürlich nicht mehr in die Fachausschüsse geht.
Ich bringe da mal das beste Beispiel. Es gab mal eine Vorlage, die betraf das Industriegebiet Seehausen 2. In dieser Vorlage wurde beschlossen, dass es Ausgleichsmaßnahmen auf Schlobachs Hof geben wird. Das habe ich innerhalb der Stadtratssitzung erfahren, das darf nicht sein. Das betrifft unsere Ortschaft, und da sind wir zu jeder wichtigen Angelegenheit zu hören, so wie es in der sächsischen Gemeindeordnung steht.
Es gibt also Probleme in der Kommunikation zwischen Stadtverwaltung und Ortschaft, diese müssten wohl dringend geklärt werden.
In Böhlitz-Ehrenberg ist seit der Eingemeindung einiges passiert. Es gibt Neubauten, die Freiwillige Feuerwehr hat ein neues Objekt bekommen, die Nahversorgung wurde ausgebaut. Es gibt, eine neue Kita, eine Bibliothek, Spielplätze, einen Schulneubau und den Sportverein TSV, es wurde auch viel saniert.
Wie ist die Bevölkerungsstruktur in Böhlitz-Ehrenberg und gibt es ausreichend Angebote für Alt und Jung?
Böhlitz-Ehrenberg ist ein überalterter Stadtteil. Es ist zwar auch Zuzugsgebiet für diejenigen, die das Zentrum verlassen wollen. Wir haben hier noch eine Vorbehaltsfläche für Wohnungsbau in Richtung Gundorf. Aber diese Karte hat die Stadt jetzt noch nicht gezogen.
Es wird, sofern sich das die Neubürger hier leisten können, ein weiteres Wohnfeld geben, das ‚Schönauer Land‘. Da geht man natürlich vor aus, dass dann eben auch mehr jüngere Leute zuziehen. Da haben wir dann auch die Möglichkeiten, die in unserer Grundschule aufzunehmen. Die Grundschule Gundorf wird ja momentan auch saniert.
Wo es noch ein bisschen Angebotsunterforderungen gibt, das ist wirklich im Seniorenbereich. Wir haben nur einen Seniorenclub, da muss man noch ein paar Angebote schaffen. Und wo es wirklich sehr große Probleme gibt, ist im Jugendbereich. Da sind ja in letzter Zeit mehrere Angebote im Ort weggefallen. Und zwar zum einen der Jugendclub und zum zweiten unsere Streetball-Anlage, dazu gibt es momentan in verschiedenen Ausschüssen Anträge, um die wieder herzustellen bzw. etwas Neues zu schaffen.
Momentan gibt es hier für die Jugendlichen nur drei oder vier Tischtennisplatten. Zum Glück haben wir noch das reichhaltige Vereinsangebot hier im Ort, welches wir durch unseren Eingemeindungsvertrag und die da drin bewilligten Brauchtumsmittel in den letzten 25 Jahren am Leben halten konnten.
Böhlitz-Ehrenberg war ja mal die größte Industriegemeinde der DDR. Wie sieht es aktuell mit Arbeitsplätzen vor Ort aus?
Arbeitsplätze sind hier im Ort vorhanden. Wir brauchen mehr, es soll eine Wiederbelebung des Industriegebietes geben. Zwar geht das nicht mehr in Richtung Industrie, eher in Richtung Logistik. Wir haben in Richtung Schönaue, Landstraße/Merseburger Straße dieses Panattoni-Logistikzentrum, wo auch verschiedene Handwerker mit eingegliedert werden sollen. Ein großer Standortfaktor ist natürlich Siemens, die in den letzten Jahren ein ziemliches Auf und Ab hinter sich haben.
Jetzt versuchen sie ja gerade wieder diese E-Sparte auszugliedern. Das sind die großen Arbeitgeber hier vor Ort, die auch in letzter Zeit expandiert sind. Ansonsten gibt es jetzt hier keinen größeren Mangel an Arbeitsplätzen, zumal man natürlich auch über die Ortsgrenze hinaus geht, um seiner Erwerbstätigkeit nachzugehen.
Fühlen sich die Menschen in Böhlitz-Ehrenberg, über 25 Jahre nach der Eingemeindung, jetzt als Leipziger?
Das ist ein schwieriges Thema. Ich habe mich schon immer als Leipziger gefühlt, mit Böhlitz-Ehrenberg im Herzen. Aber durch die Erfahrung der letzten Jahre ist es immer schwieriger zu sagen: Ich bin mit vollem Herzblut Leipziger.
Wenn man dann immer das Gefühl hat, man muss um jedes kleine Detail kämpfen, damit man es erhalten kann, wenn selten etwas Neues dazu kommt, über das man sagen kann, jetzt haben wir etwas erreicht. Dann ist es schwierig, dieses Bewusstsein ‚Ich bin jetzt Leipziger‘ wirklich durchzusetzen. Es gibt die Böhlitzer, die sagen: Wir sind Leipziger, aber wir sind auch noch Böhlitz-Ehrenberger. Das sollte der Stadt auch noch bewusst sein.
Wenn sich der Ortsvorsteher, jetzt kurz vor Weihnachten etwas für die Ortschaft wünschen dürfte, was wäre das?
Ich wünsche mir wirklich sehr, dass die neue Sporthalle kommt, am besten noch mit angegliederter Streetball-Anlage, damit wir das Problem gleich mit einer Klappe schlagen können. Gegenüber dann weitere Stellplätze für die Sporthalle, dann wäre schon ein großer Teil hier vor Ort geschafft.
Wenn wir es dann noch hinbekommen, in absehbarer Zeit, das sehe ich noch nicht in den nächsten zwei bis drei Jahren, aber vielleicht in den nächsten vier bis fünf Jahren, hier auch wieder einen Platz herzustellen, der für die Allgemeinheit, für die Feste, für Schulzirkusse und ähnliches zur Verfügung stehen könnte, dann wäre ein weiterer großer Teil geschafft.
Und dass wir natürlich hier nicht abgekoppelt werden, durch den Georg-Schwarz-Brückenbau.
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