Dass die Stadtverwaltung Entscheidungen fällt und veröffentlichen lässt, ohne dass diese durch einen notwendigen Stadtratsbeschluss legitimiert sind, ist nicht neu. Neu ist allerdings, dass sie vorauseilend sich selbstkritisch als lernende Verwaltung darstellt, wie im Fall der Kehrtwende zum Abriss der Investitionsruine Prager Straße 20–28 zum Zwecke der Errichtung eines neuen Technischen Rathauses. Getreu dem Motto nach Wilhelm Busch – die Selbstkritik hat viel für sich … hofft sie nun wahrscheinlich auf Applaus als ein ganz famoses Haus.
Den wird sie von dem neuen Stadtrat hoffentlich bekommen. Denn die Kehrtwende würde bei dem beabsichtigten Bau unter Weiternutzung des Rohbaus der Investitionsruine an Stelle dessen Abrisses zumindest einige Millionen Euro und auch einige Tonnen CO₂ Emissionen einsparen. Ob sich städtebauliche Defizite eliminieren lassen, muss sich noch herausstellen.
Aber warum nicht gleich so und somit zur Sache:
Der Gebäudekomplex war Anfang der 1980er Jahre als Verwaltungsgebäude des CLG (Kombinat Chemieanlagenbau Leipzig Grimma) vom BMK-Süd (Bau- und Montagekombinat Süd) in der Stahlbetonfertigteilbauweise des VGB (Vereinheitlichter Geschossbau) errichtet worden.
Ich war seinerzeit in dem Projektierungsbetrieb IPRO (Industrieprojektierung) Dresden, Außenstelle Leipzig des BMK-Süd – in der Produktionseinheit 13, Brigade Entwurf! – angestellt.
Auf meine kritische Frage an die für die Planung Verantwortlichen, warum der Gebäudekomplex nicht die Bauflucht und Traufhöhen der Lenin-Straße – nunmehr wieder Prager Straße – aufnimmt, bekam ich die Antwort, dass die für die Montage benötigte Kranbahngleisanlage an der Straßenseite bestens angeordnet sei und wenn diese dann einmal dort liegt, es effektiver ist, gleich so hoch zu bauen, dass sie nicht noch einmal umverlegt werden muss, zumal so auch zusätzliche Fundamente entfallen.
So banal dominierte die Bauindustrie den Städtebau der DDR, der mir unverständlicherweise heute von einigen Grünschnäbeln auch noch angehimmelt wird.
Nach der industriellen Bereinigung in Folge der Wiedervereinigung Deutschlands kam das CLG unter die Räder und das Gebäude in besondere Hände, die es wiederum einträglich an die Stadt Leipzig als Technisches Rathaus vermietete. Mit der Bereinigung der Allianzverwaltung wurde nun deren Neubaukomplex aus den 1990er Jahren in der Prager Straße 118–136 frei und die Verwaltung zog in den 2000er Jahren mit erweiterter Belegschaft dahin um. Der Mietvertrag ist bis 2029 gültig.
Der Komplex Prager Straße 20–28 wechselte den Besitzer und eine der Firmen des Herrn Gröner wollte das Gelände bis zur Oststraße mit einem interessanten städtebaulichen Konzept als Standort für hochwertiges Wohnen einschließlich abschreibungstechnischer Sonderbehandlung des unter Denkmalschutz gestellten zweigeschossigen Speisesaalkomplexes entwickeln, was, warum auch immer, leider nicht gelang.
Möglicherweise reichen in Folge der Bereinigungen die Reichen für hochwertiges Wohnen in Leipzig nicht aus, in München wäre das Konzept ein Renner gewesen und manchmal wird auch einer bestraft, der zu früh kommt. Wahrscheinlich aus wirtschaftlicher und/oder zeitlicher Not heraus wurde das Grundstück Prager Straße 20–28 samt des Rohbaus der Investitionsruine von Herrn Gröner der Stadt zum Kauf angeboten.
Nach kurzer Prüfung wurde am 24.04.2024 noch durch den alten Stadtrat trotz Bedenken von den Fraktionen der Grünen und der Linke der Doppelbeschluss gefasst, das Anwesen zu erwerben, den Rohbau der Investitionsruine abzureißen und dort ein neues Technisches Rathaus mit nunmehr durch Zusammenlegung wieder erweiterter Belegschaft für 2.400 Angestellte zu errichten.
Die Notwendigkeit des Abrisses wurde neben dem nicht ausreichenden Platzangebot vornehmlich mit den für Verwaltungsbauten nicht stimmigen statischen und nutzungstechnischen Parametern begründet, was nicht allein bei Fachleuten für Stirnrunzeln sorgte. Denn warum ein skelettartiger Rohbau, der schon einmal für das Technische Rathaus genutzt worden war, nunmehr trotz getätigter Eingriffe aus technischen Gründen nicht mehr dafür geeignet sein soll, ist schwer nachvollziehbar. Ebenso kann man einen Skelettbau leicht umbauen und erweitern.
Der BDA-Bund Deutscher Architektinnen und Architekten Sachsen erhob bereits im Sommer 2024 gegenüber der Stadtverwaltung schriftlich Bedenken gegen den kompletten Abriss des Rohbaus der Investitionsruine.
Und es kam in diesem Herbst, wie es kommen musste, ein neuer Stadtrat und neuer Wind, angefacht nunmehr von der Regionalgruppe Leipzig des BDA Sachsen, der Architektenkammer Sachsen, der Ingenieurkammer Sachsen und der Bezirksgruppe Leipzig des BDB-Bund Deutscher Baumeister, Architekten und Ingenieure, der am 26.11.2024 endlich zu einem Gespräch zwischen der Fachbürgerschaft und der Stadtverwaltung führte. Danach hat die Stadtverwaltung eingelenkt.
Der BDB hatte in dieser Sitzung am 26.11.2024 vorgeschlagen, in Renaissance des einstigen Leipziger Modells des Stadtrates, eines sachorientierten parteiübergreifenden Zusammenwirkens der Parteien, ein basisdemokratisches Werkstattverfahren zur Ideenfindung für den Umgang mit der Investitionsruine – Nutzung – Konstruktion – Städtebau – durchzuführen, bei dem die regionalen Gliederungen der Fachverbände selbstbestimmt teilnahmeberechtigt sind.
Die Stadtverwaltung und der Stadtrat möge dies bitte nicht als Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten missverstehen, sondern verstehen, dass dies auch die inneren Angelegenheiten der Bürger sind, die Demokratie vornehmlich als Debatte verstehen und nicht ausschließlich als Urnengang.
Aber drei Fragezeichen bleiben:
Was wird aus dem ehemaligen Allianzgebäude nach Auszug der Stadtverwaltung? Wird dies dann zu hochwertigen Wohnungen umgebaut? Und von wem – von Herrn Gröner zu rechten Zeit?
Einen besinnlichen Advent wünscht Adalbert Haberbeck, Architekt BDB Leipzig, 14.12.2024.
Keine Kommentare bisher