Es gab Zeiten, da konnte man die beiden Leipziger Wirtschaftskammern noch ernst nehmen. Da machten sie tatsächlich noch unabhängige Politik für ihre Mitglieder und gaben sachliche Mitteilungen an die Öffentlichkeit. Doch das hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verändert. Beide haben sich immer mehr zum Sprachrohr der CDU entwickelt, was auch in der Besetzung der Hauptgeschäftsführerposten sichtbar wird. Entsprechend seltsam werden dann auch Statements zur Leipziger Verkehrpolitik.

Am 15. Dezember berichteten wir hier über den Vorstoß der CDU-Fraktion im Leipziger Stadtrat, die grün eingefärbten Radstreifen auf dem Promenadenring wieder zu entfernen und die Radfahrer auf Radwege innerhalb des Promenadenrings umzulenken. Ein Projekt, das schon vor über 12 Jahren daran scheiterte, dass es dort keinen kompletten Radring geben kann und die Wegebeziehungen für Radfahrende noch komplizierter werden.

Das Oberverwaltungsgericht in Bautzen hatte 2018 geurteilt, dass die Stadt keine Handhabe hat, auf dem kompletten Ring ein Radfahrverbot zu verhängen. Seitdem knobeln Leipzigs Verkehrsplaner, wie man gerade in den unsicheren Abschnitten sichere Radverkehrsanlagen schaffen kann. Das sind die in Verkehrsgrün eingfärbten Strecken, bei denen noch mehrere Anschlussstücke fehlen. Dort, wo die Abschnitte schon stimmig sind, ist auch die Nutzerfrequenz hoch. Und entgegen allen Unkenrufen führte die Verlegung der Radwege auf die Fahrbahn nicht zu mehr Unfällen.

Ganz und gar nicht unparteiische Wirtschaftskammern

Doch während sich Leipzigs Radfahrende freuen, dass es streckenweise endlich sichere Radwege auf dem Ring gibt, kommt aus den Geschäftsführungen der Leipziger Wirtschaftskammern nun ein Lobpreis auf den CDU-Vorstoß, der mit den Realitäten so gar nichts zu tun hat.

Das besondere daran: Eigentlich ist es wieder nur eine CDU-Pressemitteilung. Beide Hauptgeschäftsführer – Dr. Fabian Magerl von der IHK und Volker Lux von der Handwerkskammer – sind Mitglied im Kreisvorstand der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) Sachsen. Beide Anträge der CDU-Fraktion, von denen praktisch nichts wirklich umsetzbar ist, bezeichnen sie in ihrer gemeinsamen Wortmeldung tatsächlich als „elegante Lösung“

Die Wortmeldung der Haupotgeschäftsführer von IHK und Handwerkskammer

„Elegante Lösung liegt auf dem Tisch“

Verkehrsführung Innenstadtring: Handwerkskammer und IHK zu Leipzig befürworten bauliche Trennung von Auto- und Radverkehr

Leipzig, den 18. Dezember 2024 – Die Handwerkskammer und die IHK zu Leipzig befürworten
Anträge im Stadtrat, die darauf zielen, den Verkehrsfluss auf dem City-Ring zu verbessern.
„Der bestehende Fahrradstreifen hat sich als ineffektiv und gefährlich für Radfahrer erwiesen.
Der Verkehr stockt, und die Sicherheit ist nicht gewährleistet“, erklärt IHK-Hauptgeschäftsführer
Dr. Fabian Magerl. „Die Mischung von Auto- und Radverkehr auf dem Ring führt quasi jeden
Tag zu gefährlichen Situationen. Damit ist niemandem gedient.“

Jetzt liege eine, wie er sagte, „elegante Lösung“ auf dem Tisch, die beides vereine: Die
verkehrliche Trennung würde den Autoverkehr entzerren und die Sicherheit der Radfahrer
erhöhen. „Und das Sahnehäubchen: Die Aufenthaltsqualität im Innenstadtbereich verbessert
sich“, schätzt Magerl ein.

Volker Lux, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer, sekundiert: „Leipzig braucht eine
Lösung, die den Bedürfnissen nicht nur der Radfahrer und des ÖPNV, sondern auch der
Autofahrer gerecht wird – und damit unseren Gewerbetreibenden, Händlern und Handwerkern.
Eine bauliche Trennung kann eine Win-Win-Situation herbeiführen: Die Verkehrsströme lassen
sich effizient steuern, während sich gleichzeitig die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer erhöht.“
Beide Hauptgeschäftsführer bekräftigen, dass sie sich weiterhin für eine Lösung stark machen,
die diesen Anforderungen ganzheitlich Rechnung trägt.

Deutliche Kritik von ADFC und Verkehrswende Leipzig

Dadurch, dass die nicht umsetzbaren Vorschläge der beiden CDU-Anträge von den Hauptgeschäftsführern von IHK und Handwerkskammer als „elegant“ bezeichnet werden, wird freilich kein einziger Konfliktpunkt rund um den Promenadenring gelöst. Im Gegenteil: ADFC und Verkehrswernde Leipzig befürchten zu recht, dass sich bei einem positiven Votum die Verhältnisse für die Radfahrenden am Ring wieder deutlich verschlechtern.

Die Initiative Verkehrswende Leipzig und der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) Leipzig e.V. kritisieren deshalb die rückwärtsgewandten Versuche der Leipziger CDU, den Innenstadtring noch autozentrierter zu gestalten und dabei die in den letzten Jahren entstandenen Radfahrstreifen zu entfernen. Die von der CDU-Ratsfraktion vorgeschlagenen Maßnahmen bedrohen nicht nur die Sicherheit von Radfahrenden und Zufußgehenden, stellen sie fest, sondern ignorieren auch die dringenden Erfordernisse einer zukunftsfähigen Verkehrspolitik, die auf Aufenthaltsqualität, Gesundheitsschutz und Klimaanpassung setzt.

Das betrifft den Antrag, die grüngefärbten Radwege wieder zu entfernen und die Radfahrer irgendwie in die City umzulenken. Gleichzeitig will die CDU-Fraktion auch vor dem Hauptbahnhof wieder mehr Platz für den Kfz-Verkehr schaffen.

An der Realität vorbei

„Die CDU verkennt die Realität“, sagt Jens Emmerich vom ADFC Leipzig. „Die Aufhebung des Radfahrverbots auf dem Ring mit dem Ziel der Anordnung sicherer Radverkehrsanlagen wurde nicht ohne Grund von Mitgliedern unseres Vereins vor dem OVG Bautzen eingeklagt. Die Radfahrstreifen nun wieder zurückzubauen, erhöht das Risiko für Unfälle massiv. Diese Politik setzt Menschenleben aufs Spiel. Die Lösung kann nicht sein, dass Radfahrende gezwungen sind, sich auf dem Ring im Mischverkehr mit Kraftfahrzeugen zu bewegen.“

Und während Dr. Fabian Magerl behauptet, die bestehenden Fahrradstreifen hätten „sich als ineffektiv und gefährlich für Radfahrer“ erwiesen, stellt Emmerich tatsächlich fest: „Die aktuelle polizeiliche Straßenverkehrsunfallstatistik zeigt keine Auffälligkeiten in den Abschnitten mit den neuen Radverkehrsanlagen. Die CDU behauptet aber regelmäßig das Gegenteil.“

Grüner Radweg am Hbf, Ampel, Radfahrer.
Grün eingefärbter Radweg vorm Hauptbahnhof. Foto: Lucas Böhme

„Der Innenstadtring sollte ein Ort sein, an dem Menschen sich sicher bewegen können und gerne aufhalten“, sagt Katja Roßburg von der Initiative Verkehrswende Leipzig. „Allein über 100.000 Menschen passieren täglich den Hauptbahnhof. Der Ring ist das Rückgrat für Leipzigs Straßenbahnnetz. Mehr als 80 % der Besucherinnen und Besucher gelangen ohne Auto zum Einkaufen in die Innenstadt. Dafür brauchen wir eine angemessene Aufteilung des Straßenraums und einen Promenadenring, dessen Gestaltung diesen Namen auch wieder verdient hat.“

Rad- und Fußverkehr für eine lebenswerte Innenstadt

Die vorgeschlagenen Maßnahmen der CDU stehen aus Sicht beiden Verbände im Widerspruch zu aktuellen Bemühungen, Städte lebenswerter und klimafreundlicher zu gestalten. Die Idee, Radwege zurückzubauen, um Autos mehr Platz zu bieten, ignoriere die Faktenlage: Übermäßiger Kfz-Verkehr verursacht Stau, Lärm, Luftverschmutzung, Verkehrsunfälle und gefährdet damit die Gesundheit. Aktive Mobilität – zu Fuß und mit dem Rad – vermeidet krankmachende Belastungen im Interesse aller und fördert darüber hinaus die individuelle Gesundheit.

Die Stadtverwaltung sei hingegen gesetzlich verpflichtet, durch Lärmaktions- und Luftreinhalteplanung Maßnahmen zum Gesundheitsschutz der Bevölkerung zu ergreifen, was die weitere Reduktion des motorisierten Individualverkehrs erforderlich mache. So wurde beginnend in 2019 die Verkehrsführung vom Ring in die Harkortstraße angepasst, um dort den Kfz-Verkehr und damit die zu hohe Luftschadstoffbelastung zu senken.

Ein Rückbau des Radfahrstreifens auf dem Dittrich- und Martin-Luther-Ring brächte keinerlei Vorteile für Autofahrende, wie die CDU suggeriert, betonen beide Verbände. Rückstaus entstünden eher dadurch, dass sich die Autofahrenden Richtung B2 an der Kreuzung unterhalb des Neuen Rathauses in einer Reihe aufstellen müssen, um weiter nach Süden zur B2 zu gelangen.

Appell an die Stadtpolitik

Die Initiative Verkehrswende Leipzig und der ADFC Leipzig e.V. fordern die Leipziger Stadtpolitik auf, den Fokus auf eine zukunftsfähige Gestaltung des Innenstadtrings zu legen. Anstatt Radfahrende und Zufußgehende zu verdrängen, sollte der Ring zu einem Modellprojekt für nachhaltige Mobilität werden.

„Die CDU will den Innenstadtring wieder zu einer Schnellstraße für Autos machen. Die autogerechte Stadt ist jedoch eine Idee aus dem letzten Jahrhundert, die sich nicht bewährt hat“, betont Katja Roßburg. „Mehr Autos verursachen mehr Staus und hohe Folgekosten für die Stadtgesellschaft. Statt dem Autoverkehr mehr Platz zu geben, besteht die Lösung darin, den Mobilitätsbedürfnissen aller Menschen in Leipzig mit besseren Alternativen gerecht zu werden: sichere Radwege, großzügige Fußwege und ein leistungsfähiger ÖPNV.“

„Der ÖPNV stößt allerdings heute schon an seinen Kapazitätsgrenzen, die nur mit sehr viel Zeit und sehr viel Geld erweitert werden können“, stellt Jens Emmerich vom ADFC Leipzig fest. „Deutlich preiswerter und schneller lassen sich Fuß- und Radverkehr aktivieren. Wege, die zu Fuß und mit dem Rad zurückgelegt werden, ersetzen auf kurzen und mittleren Strecken nicht nur direkt Autofahrten, sondern entlasten auch den ÖPNV. Ein durchgängiges Radwegenetz rund um den Promenadenring macht es attraktiver, Pendelstrecken zwischen den Stadtteilen, die über das Zentrum führen, mit dem Rad zurückzulegen. Statt wieder Lücken im Radwegenetz aufzureißen, müssen die bestehenden geschlossen werden.“

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar