Leipzig wächst. Mit Hindernissen. Wirklichen Leerstand gibt es kaum noch. Preiswerter Wohnraum ist immer rarer. Investoren nutzen also die Gelegenheit, jetzt Bauprojekte in Gang zu bringen, die jahrelang auf Eis lagen. Und zwar dort, wo es nach den Leitlinien der Stadt eigentlich gewünscht ist: im innerstädtischen Raum auf jahrelang leer stehenden Brachen. Doch genau auf diesen Brachen sind in den letzten 30 Jahren lebendige Biotope entstanden.
So wie an der Ecke Gerichtsweg/Täubchenweg in Reudnitz. Da sich hier eine Bebauung über Jahre nicht lohnte, entstand hier im Rahmen des Sanierungsgebiets Reudnitz eine parkähnliche Zwischennutzung. Den Anwohnern ist das kleine Stück Grün ans Herz gewachsen. Aber auch die Initiative Stadtnatur hat den Ort für sich entdeckt.
Die Initiative hat sich wie keine andere Vereinigung in der Stadt Leipzig den Kampf um diese begrünten Brachen im Stadtgebiet zu eigen gemacht. Denn anders als in der Vergangenheit, als sie bebaut waren, spielen sie wegen der zunehmend unter Klimaerhitzung und Artensterben leidenden Stadt des Jahres 2024 eine andere wichtige Rolle. Das weiß jeder, der hier Schatten und frische Luft findet.
Doch damit entstehen Konflikte, die es in der Vergangenheit so nicht gab. Konflikte, die aufflammten, als die Stadt im Juni die „Durchführung der öffentlichen Auslegung im Rahmen des beschleunigten Verfahrens“ für den Bebauungsplan Nr. 468 „Gerichtsweg/Täubchenweg“ beschloss. Von Juli bis August wurde der Bebauungsplan öffentlich ausgelegt.
Eine Petition gegen den Grünverlust
Was auch die Initiative Stadtnatur auf den Plan rief, die konsequent gegen die Bebauung dieses Areals protestierte. Inzwischen liegt auch dem Stadtrat eine Petition vor, die Sandra Kreisler initiiert hat.
Zur Petition von Sandra Kreisler „Gegen die Flächenversiegelung in Reudnitz!“
Für sie sind die neuen Bebauungspläne sogar ein weiterer Verlust: „Vor wenigen Jahren wurde gut die Hälfte dieser Brache gerodet, und ein ziemlich großer Kasten mit weit über 100 Wohnungen wurde da hingesetzt. Diese Baumaßnahme dauerte Jahre, und brachte erhebliche Störungen für die Nachbarschaft. Nun soll auch die zweite Hälfte dieser Brache verschwinden.
Geplant ist, auf der Brache und im angrenzenden Grundstück, welches ebenfalls mehr Grün als Beton aufweist, Hochhäuser von mindestens 26 Metern Höhe zu bauen, die Fahrrad-Durchfahrt zur Ecke Täubchenweg zu erschweren, dafür die Sackgasse Perthesstraße zum Täubchenweg hin zu öffnen.“
Auch den entstandenen Artenreichtum spricht sie an. Ebenso die Rolle als Frischluftschneise: „Die Kühlung, die die Brache der Nachbarschaft bringt, ist deutlich spürbar, auch die Luftverbesserung – gerade an dieser viel befahrenen Ecke. Und auch der Schallschutz, der Windfluss und andere Parameter führen dazu, dass der Ort die Lebensqualität der Umgebung deutlich erhöht. Leipzig hat bereits mehrfach bekräftigt, dass der massiven Flächenversiegelung – auch im Sinne des Überflutungsschutzes – dringend Einhalt geboten werden muss.“
Die Petition mündet in den Wunsch zum Erhalt der Grünfläche: „Wir fordern, dieses Bauprojekt zu überdenken! Im besten Fall sollte die Brache in einen Park umgewidmet werden, aber schon ein deutlich kleineres Bauprojekt, das die kleine Schotter-Querstraße zur Ecke Täubchenweg offenhält, den meisten Baumbestand erhalten und die zweite Hälfte der Perthesstraße Sackgasse bleiben ließe, wäre eine Verbesserung.
Wir fordern, dass die Stadt Leipzig sich an ihre eigenen Umweltvorgaben hält, und keine unnütze Flächenversiegelung zulässt, die nur Investoren bereichert, aber nicht mal Sozialwohnungen brächte.“
45 Prozent bebaubar
Aus Sicht der Stadt käme es gar nicht so schlimm, würden 30 Prozent der Fläche unbebaut bleiben und begrünt werden, 45 Prozent wären bebaubar, zehn Prozent Verkehrsfläche.
Dass man hier irgendwie die Quadratur des Kreises zu verwirklichen versucht, war auch der Vorlage des Stadtplanungsamtes zu entnehmen. Die auch darauf hinweist, dass die Baupläne an der Stelle schon viel älter sind: „Insbesondere liegen für das Eckgrundstück Gerichtsweg/Täubchenweg konkrete Bebauungsabsichten vor. Ausdruck dessen sind früher gestellte Anträge (Antrag auf Verlängerung eines Bauvorbescheides sowie ein Bauantrag), die auf Grundlage einer Veränderungssperre zurückgestellt und zwischenzeitlich versagt wurden.“
Alles soll seinen geregelten Gang gehen. Ein Satzungsbeschluss wird von der Stadt bis zum 2. Quartal 2025 angestrebt. So lange gilt auch die Veränderungssperre auf den entsprechenden Flächen.
Das Stadtplanungsamt argumentiert in der Vorlage mit dem Erfordernis zur Schaffung von Wohnraum bei gleichzeitiger Baugrundverknappung. Und hier könnte grundsätzlich gebaut werden.
„Die ‚temporäre Grünfläche‘ im Eckbereich Gerichtsweg/Täubchenweg, die im Gestaltungsrahmen von geförderten Sanierungs- bzw. Stadtumbaumaßnahmen nach dem Rückbau nutzungs- und fördermittelgebunden zwischenbegrünt wurde, steht einer Wiedernutzung für Bebauung grundsätzlich zur Verfügung“, stellt das Stadtplanungsamt fest.
„Mit der Aufhebung des Sanierungsgebietes Leipzig-Reudnitz im Jahr 2021 sowie ausgelaufener Bindefristen für die in Anspruch genommenen Fördermittel, ist somit die stadt-räumliche Entwicklung planungsrechtlich zu prüfen bzw. unter den oben genannten Zielen neu zu ordnen.“
Ein heterogenes Stimmungsbild
Und man weiß durchaus, dass es vor Ort völlig unterschiedliche Sichten auf eine mögliche Bebauung des Areals gibt: „Im Rahmen der frühzeitigeren Beteiligung (§ 3 Abs. 1 BauGB) sind aus der Öffentlichkeit sieben sowie zusätzlich eine schriftliche Stellungnahme von einem Verein eingegangen. In den eingegangenen Stellungnahmen sowie durch die Äußerungen während der Informationsveranstaltung entstand ein heterogenes Stimmungsbild zu allen drei Varianten des Vorentwurfs.“
Das Gelände ist übrigens Teil des einstigen Grafischen Viertels. An der Ecke Gerichtsweg hatte übrigens das einst das weltberühmte Bibliographische Institut seinen Sitz, das besonders durch „Meyers Lexikon“ und „Brehms Tierleben“ noch heute ein Begriff für alle Buchliebhaber ist.
Doch den Anwohnern sind heute ganz andere Dinge wichtig, wie auch das Stadtplanungsamt feststellt: „Mehrfach positiv gewürdigt wurde, dass in jeder Variante die Themen: Klima- und Umweltschutz, die Verbesserung der Lebensqualität und die Schaffung von Begegnungsorten eingestellt wurden. Die eingegangenen Stellungnahmen wurden bei der Ausarbeitung des Bebauungsplan-Entwurfes und seiner Begründung berücksichtigt“, so das Stadtplanungsamt.
„Hervorzuheben ist: Die seitens der Öffentlichkeit mehrheitlich aufgetretene Äußerung, dass innerhalb des Plangebiets viele Frei- und Grünflächen entstehen sollten, wird versucht durch das Umsortieren von Baumasse in die Höhe zu begegnen. Die zukünftige Bebauung wird durch Regelungen zur städtebaulichen Gebäudesetzung und Gebäudekubatur sowie Dachgestaltung in die städtebauliche Gestalt der Umgebung eingepasst.“
Wann die Petition von Sandra Kreisler im Stadtrat behandelt wird, ist noch offen.
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