Das ist für Leipzig tatsächlich ungewöhnlich, dass eine Petition zweieinhalb Jahre braucht, um endlich in der Ratsversammlung behandelt zu werden. So geschah es der Petition der Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig zur Kamenzer Straße 10 und 12 und dem angrenzenden Areal, wo sich zwischen Juni 1944 und April 1945 das KZ-Außenlager „HASAG Leipzig“ des KZ Buchenwald befand. Mit mehr als 5.000 weiblichen KZ-Häftlingen war es das größte Frauenaußenlager des KZ Buchenwald. Sie produzieren bei der HASAG Munition für den Krieg.

Dass es so lange dauert, hat nicht nur damit zu tun, dass die Gedenkstätte Zwangsarbeit die Stadt damals aufforderte: „Das Gebäude und Gelände in der Kamenzer Straße 12 muss in das Eigentum der öffentlichen Hand übergehen. Wenn die Stadt Leipzig das Gebäude nicht selbst kauft, hat sie die Aufgabe, zu prüfen, wem das Gebäude verkauft wird. Sie muss darüber hinaus die Forderungen der Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig und relevanter erinnerungspolitischer Akteur/-innen hören und diese durchsetzen.“

Die Petition der Gedenkstätte Zwangsarbeit.

Denn das Gelände ist das letzte greifbare Zeugnis für die Zwangsarbeit im Zweiten Weltkrieg in Leipzig. Doch die Stadt hat bis heute keinen Zugriff auf das Gelände, denn das gehört ganz offensichtlich einem Vertreter der rechten Szene, der hier jahrelang ein rechtes Kampfsportzentrum beherbergte und regelmäßig Rechtsrockkonzerte veranstaltet.

Was nicht nur mögliche Kaufverhandlungen erschwert, sondern auch den Zutritt städtischer Vertreter. Die Kaufverhandlungen sind im Grunde auf Eis gelegt, denn der Eigentümer verlangt für den Kauf eine astronomische Summe, die nichts mehr mit den normalen Marktpreisen zu tun hat. Logisch, dass die Stadt darauf nicht eingeht.

Wie viel Denkmalschutz ist noch möglich?

Aber vor anderthalb Jahren bekam Leipzig von der Landesdenkmalbehörde auch den Auftrag, den Denkmalwert der Immobilie begutachten zu lassen. Was einer der Hauptgründe für die Verzögerung ist. Denn von außen konnten die Leipziger Denkmalschützer zwar feststellen, dass von der einstigen Anmutung des Zwangsarbeitslagers nicht mehr viel zu sehen ist.

Aber sie wissen nicht, wie die Bausubstanz im Inneren aussieht. Weshalb unter anderem die Linksfraktion Druck machte, dass die Stadt die Begehung der Immobilie endlich in Angriff nimmt. Umgehend. Was dann eine kleine Diskussion auslöste. Denn was heißt umgehend? Baubürgermeister Thomas Dienberg sagte zumindest zu, dass das bis zum zweiten Halbjahr 2025 erfolgen kann, das sei ein machbarer Zeitraum.

Das Neue an dieser Diskussion um eine Petition war auch, dass sich diesmal die Fraktionen von Linke und CDU in mehreren Punkten einigen konnten. Da spielten sich Linke-Stadträtin Juliane Nagel und CDU-Stadtrat Falk Dossin die Bälle zu. Und am Ende wurde es eine Abstimmung, in der verschiedene Antragspunkte aus den Änderungsanträgen von CDU und Linken ineinander flossen.

Herr Falk Dossin (CDU) im Leipziger Stadtrat am 19.09.24. Foto: Jan Kaefer
Falk Dossin (CDU) im Leipziger Stadtrat am 19.09.24. Foto: Jan Kaefer

Aus dem Antrag der CDU-Fraktion war es Punkt 2, der dann in der Ratsversammlung eine klare Mehrheit von 49:0 Stimmen bekam. Der machte aus der Unwilligkeit des Eigentümers zum Verkauf eine Tugend und beauftragt den OBM: „Der Stadtrat nimmt zur Kenntnis, dass die von der Stadt Leipzig mit dem Eigentümer geführten Ankaufverhandlungen der Kamenzer Str. 12 bisher zu keinem Ergebnis geführt haben. Die Stadtverwaltung prüft, inwieweit ein Vorkaufsrecht auf das Objekt für die Kommune/das Land eingetragen werden könnte.“

Und zwar auf Basis des Erinnerungs- und Denkmalwerts der Immobilie. Was ja erst geprüft werden muss: Ist das rechtlich möglich? Dann sollte die Stadt auch ihr Vorkaufsrecht eintragen lassen und kann damit weitere Spekulationen mit dem Objekt verhindern.

Die anderen drei Punkte, die zu einer ebenso deutlichen Zustimmung führten, kamen dann aus dem Antrag der Linksfraktion:

„Der Oberbürgermeister wird beauftragt, das Thema ‚Zwangsarbeit im 2. Weltkrieg‘ im Rahmen der Schwerpunktsetzung des Konzepts Erinnerungskultur zu behandeln.

Die Stadt Leipzig gibt unverzüglich ein bauhistorisches Gutachten in Auftrag, das eine Begehung der Innenräume des Bauwerks einschließt. Das Gutachten wird dem Landesamt für Denkmalpflege zur erneuten Überprüfung des Denkmalstatus vorgelegt und dem Fachausschuss Kultur zur Kenntnis gegeben.

Gemeinsam mit der Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig wird geprüft, wie an einem anderen Ort in Leipzig ein Erinnerungs- und Dokumentationsort aussehen kann, der die Historie der Kamenzer Straße 12 als KZ-Außenlager der HASAG berücksichtigt und die im Juli 2022 errichtete Gedenkstele sinnvoll ergänzt sowie kontextualisiert und die Weiterentwicklungspläne der Gedenkstätte in Form einer räumlichen Vergrößerung an einem anderen Standort unterstützt.“

Ein neues Zuhause für die Gedenkstätte Zwangsarbeit

Denn gleichzeitig ist die Unterbringung der Gedenkstätte Zwangsarbeit im Pförtnerhäuschen des Umweltforschungszentrums höchst prekär und der Bedeutung der Gedenkstätte nicht angemessen. Auch wenn der Ort stimmt, denn auf dem Gelände des heutigen Umweltforschungszentrums befand sich bis 1945 das Werksgelände der HASAG, dessen Fabrikgebäude aber nach Kriegsende fast vollständig demontiert wurden. Hier hätte man also den realen Ort der Zwangsarbeit – aber keine bauliche Erinnerung mehr.

Anders mit dem ehemaligen Außenlager in der Kamenzer Straße. Nur dass auch der Stadtrat nicht darauf drängt, dass die Gedenkstätte jetzt hierhin umziehen soll, auch wenn eine Nähe zur Kamenzer Straße – so Falk Dossin – wünschenswert wäre. Wichtiger wäre eine würdige Unterbringung für die Gedenkstätte – und das bitteschön nicht irgendwo am Stadtrand.

Die Abstimmungen am 19. September in der Ratsversammlung zeigten dann deutlich, wie groß die Zustimmung der Fraktionen zu einer würdigen Erinnerung an die Leiden der Zwangsarbeiter/-innen in Leipzig ist.

Und die AfD-Fraktion verpasste auch diesmal die Gelegenheit, sich vom braunen Geist der Hitlerzeit zu distanzieren. Nur beim CDU-Antrag enthielt sie sich der Stimme. Bei den Abstimmungspunkten der Linksfraktion stimmten die zehn anwesenden AfD-Fraktionäre konsequent dagegen.

Was bleibt als Ergebnis? Die Stadt sollte sich jetzt bemühen, für die Gedenkstätte Zwangsarbeit eine würdige Unterbringung zu finden. Und das Amt für Bauordnung und Denkmalpflege sollte sich die Immobilie in der Kamenzer Straße endlich einmal von innen anschauen, um sich ein Bild davon zu machen, wie sehr hier noch bauliche Erinnerungen an die Nutzung als KZ-Außenlager zu finden sind.

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