Der Bebauungsplan für die Neue Messe, auf dessen Grundlage bis 1996 tatsächlich das neue Leipziger Messegelände im Norden entstand, stammt aus dem Jahr 1993. Doch in den 30 Jahren haben sich die Rahmenbedingungen und Ansprüche der Messe spürbar gewandelt. Also drängte sie bei der Stadt darauf, den Bebauungsplan zu aktualisieren, um zum Beispiel Platz für Open-Air-Veranstaltungen und Raum für erneuerbare Energien zu schaffen.

Am 19. September kam die entsprechende Vorlage in die Ratsversammlung. Und es wurde diskutiert.

Denn längst sind nicht nur Stadtratsfraktionen, sondern auch Ortschaftsräte sehr sensibel geworden, was die grundlegenden Umweltthemen betrifft – vom Lärm über die Begrünung bis hin zur Versiegelung und dem Regenwassermanagement. Die zunehmend heißeren Jahre der letzten Zeit haben ein deutliches Umdenken bewirkt.

In Seehausen, zu dessen Einzugsbereich die Neue Messe gehört, kommt der Streit um den „Energieberg Seehausen“ hinzu und die Erfahrung mit den Schwierigkeiten der Stadt, Ausgleichsbegrünung für Grünverluste tatsächlich ortsnah zu schaffen.

Ein Thema, das am 19. September in der Ratsversammlung besonders deutlich benannt wurde – was auch SPD-Stadtrat Andreas Geisler besonders hervorhob. Denn bislang haben neue Baumaßnahmen im Leipziger Nordraum fast immer dazu geführt, dass wichtige Grünflächen verloren gingen und der Ausgleich dann irgendwo bei Torgau passierte, wo er für das Stadtklima überhaupt keine Rolle spielt.

Streitthema Ausgleichsmaßnahmen

Während gleichzeitig gerade im Nordraum viele Naturschutzmaßnahmen überfällig sind, die einfach nicht angepackt werden. Er nannte den verrohrten Mühlgraben, der endlich wieder geöffnet werden muss, und das Einzugsgebiet der Nördlichen Rietzschke, das dringend renaturiert werden muss.

Weshalb der Ortschaftsrat Seehausen gleich deutlichst forderte: „Wenn Ausgleichsmaßnahmen nicht innerhalb des Planungsgebietes möglich sind, sollen diese zumindest innerhalb der Ortsteile von Seehausen erfolgen. Es sollte geprüft werden, ob dies z.B. auf Flächen erfolgen kann, die eine spätere Nutzung als Park ermöglichen oder zur Renaturierung des Mühlgrabens, der Lober mit Pfuhlteich, dem Hasengraben oder anderen Flächen in den Ortsteilen von Seehausen mit Bäumen oder Agroforst im Uferbereich – als Ausgleiche genutzt werden können.“

Und ganz ähnlich deutlich formulierte es auch der Änderungsantrag der SPD-Fraktion: „Wenn nicht planintern möglich, sollen Ersatzmaßnahmen zumindest raumnah erfolgen. Es soll ggf. auch geprüft werden, ob die Bäume mit Renaturierung der Quellarme der nördlichen Rietzschke – also hier der Mühlgraben mit Bäumen oder Agroforst im Uferbereich – als Ausgleiche genutzt werden können.“

Dass beide Anträge am 19. September nicht beschlossen wurden, liegt schlichtweg daran, dass so detailliert in einem Aufstellungsbeschluss für einen neuen Bebauungsplan nicht vorgegeben werden kann, was am Ende drin steht. Das soll ja erst im Verfahren festgestellt werden. Möglichst mit frühzeitiger Bürgerbeteiligung. Baubürgermeister Thomas Dienberg sagte zumindest zu, dass beide Anträge als Abwägungsmaterial mit in das Planverfahren einbezogen werden.

Was den Betroffenen im Nordraum ganz bestimmt keine ruhigen Nächte verschaffen wird. Vor allem auch deshalb nicht, weil auch Dienberg und OBM Burkhard Jung die Anliegen als durchaus berechtigt ansahen. Aber Dienberg wies vor allem auf die Schwierigkeit hin, dass man Ausgleichsmaßnahmen für die Eingriffe in den Naturbestand höchstwahrscheinlich nicht im Gebiet von Seehausen und auch nicht im Nordraum-Gebiet realisieren könne.

Auch Leipzig muss jetzt Klimaanpassung lernen

Und dabei geht es auch rund um das Messegelände – darauf wies der Grüne-Fraktionsvorsitzende Dr. Tobias Peter hin – um Klimaanpassungsmaßnahmen. Das heißt: Hier besteht ein riesiger Bedarf, den Raum um die Neue Messe deutlich mehr zu begrünen und mehr Rückhalt für Regenwasser zu schaffen.

So halb und halb sagte die Vorlage der Stadt das auch schon zu: „Zudem trägt die Umsetzung des Bebauungsplans zum strategischen Ziel ‚Vorsorgende Klima- und Energiestrategie‘ bei, das die deutliche Reduktion der Treibhausgasemissionen anstrebt, u.a. durch geeignete Maßnahmen an Gebäuden, im Verkehr und im öffentlichen Raum.“ Aber das bezieht sich vor allem auf die Pläne der Messegesellschaft, auf ihrem Gelände mehr Erneuerbare Energien zu platzieren.

Während beim Aspekt Klimaanpassung eher nur ein „Ausgleich der Verluste“ zur Sprache kommt: „Für die neuen Eingriffe in Natur und Landschaft im Rahmen einer Änderung des Bebauungsplans Nr. 35.1 muss eine Eingriffs-Ausgleichs-Bilanzierung erstellt werden. Es ist davon auszugehen, dass Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen, ggf. auch planextern, durchgeführt werden müssen.

Der umfangreiche Baumbestand im Bereich der Neuen Messe – beispielsweise auf den Parkplätzen – ist im Rahmen des Bebauungsplanverfahrens zu berücksichtigen. Derzeit wird ein Baumkataster erstellt.“

Berechtigte Sorgen

Da klingt nicht wirklich danach, dass das Thema Klimaanpassung bei den Planern schon verstanden wurde, denn das hat mit einem „Ausgleich“ außerhalb des Plangebiets nichts zu tun, sondern bedeutet, dass das Plangebiet selbst mehr Grün und besseren Wasserrückhalt bekommt.

Und da werden die Sorgen des Ortschaftsrats Seehausen nun einmal greifbar, denn Seehausen ist durch Autobahn, riesige schattenlose Felder und viele versiegelte Flächen im Gewerbe längst mehrfach betroffen, was Hitze- und Lärmbelastung betrifft. Verständlich, dass der Ortschaftsrat es dann nicht akzeptieren möchte, dass Ausgleichsmaßen wieder irgendwo anders passieren und sich die Belastung vor Ort sogar noch verschärft.

Trotzdem war dann eine Stadtratsmehrheit einverstanden, beide Anträge erst einmal zur Abwägung/Prüfung mit in den Planungsprozess aufzunehmen. Die Vorlage zur Aufstellung eines neuen Bebauungsplans bekam dann mit 56 Stimmen bei fünf Enthaltungen ein klares Votum. Aber man kann sicher sein, dass da nicht nur der Ortschaftsrat Seehausen auf die Barrikaden gehen wird, wenn seine Wünsche an eine deutlich bessere Klimaanpassung im Bebauungsplan nicht oder nur ungenügend berücksichtigt werden sollte.

Hier kann die Stadt nicht nur, hier muss sie zeigen, das sie langsam lernt, was es wirklich heißt, ein Bebauungsgebiet im Sinne seiner Be- und Anwohner klimafest zu machen.

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