Er kam kurz vor dem Zusammenbruch der DDR aus Hannover nach Leipzig โ und blieb. Als erster Oberbรผrgermeister der Nachwendezeit prรคgte er acht Jahre die Leipziger Lokalpolitik und manรถvrierte die Messestadt durch die extrem herausfordernden Jahre der Transformation nach 1989/90. Seit Freitag erinnert eine Teilflรคche des Roรplatzes an den vor knapp sieben Jahren verstorbenen SPD-Politiker Hinrich Lehmann-Grube.
Seine achtjรคhrige Leipziger OBM-Tรคtigkeit, so sagte er 2010 in einem Interview dem Stadtmagazin โKreuzerโ, habe er immer mit der eines Gรคrtners verglichen: ein Gรคrtner, der etwas wieder freilegt, รผber das โviele schwere Winter hinweggegangen sindโ, wie er sich ausdrรผckte. Diese Metapher dรผrfte in etwa das beklemmende Gefรผhl beschreiben, das Hinrich Lehmann-Grube empfand, als er im Frรผhjahr 1990 nach Leipzig kam.
Er steuerte Leipzig durch die harten Nachwendejahre
Hier kandidierte der Sozialdemokrat und promovierte Jurist, bis dato Stadtdirektor von Hannover, auf Bitten der SPD als Spitzenkandidat der Stadtverordnetenversammlung. Die wรคhlte ihn im Mai 1990 zum Oberbรผrgermeister โ und Lehmann-Grube hatte bereits mit seiner Annahme der DDR-Staatsbรผrgerschaft im April 1990 ein deutliches Zeichen gesendet: Er will auf Dauer bleiben, Leipzig wird kein kurzer Durchgangsbahnhof seines Lebens.
Lehmann-Grube hielt Wort. Die Amtszeit des gebรผrtigen Kรถnigsbergers war massiv von den Verwerfungen der Nachwendejahre geprรคgt: aufgeblรคhte Verwaltung, teils belastetes Personal, Finanzlรถcher, Verfall der Altbausubstanz, Mangel an saniertem Wohnraum, marode Infrastruktur, Umweltprobleme, Arbeitslosigkeit.
Schon in seiner Antrittsrede am 6. Juni 1990 hatte das frisch gewรคhlte Stadtoberhaupt von Leipzig sich fรผr das entgegengebrachte Vertrauen bedankt, verbunden mit dem tief gestapelten Kommentar an die Verordneten: โOb ich dieses Vertrauen verdiene und ob ich Ihre Erwartungen erfรผllen kann, weiร ich selber noch nicht.โ
Die Zeit des wilden Ostens
Doch offenbar konnte er. Unter Lehmann-Grube fand sich Leipzig nach anfรคnglichem Stolpern schlieรlich in Boomphasen wieder. Der 90er-Jahre-Marketing-Spruch โLeipzig kommt!โ erwies sich als nur zu wahr, und auch Projekte wie der Bau des Neuen Messegelรคndes, die Erneuerung des Hauptbahnhofs oder Planungsschritte fรผr den City-Tunnel zeigten, dass die alte Messestadt in der neuen Welt angekommen war.
Glรผcksritter und Spekulanten aller Art waren freilich die andere Seite der Medaille, oft genug gingen Deals รผber die Grenzen der Legalitรคt hinaus. Hier war โBaulรถweโ Jรผrgen Schneider mit seinen gefรคlschten Geschรคftsplรคnen nur einer der bekanntesten Hochstapler.
Lehmann-Grube aber, der im Herbst 1992 sogar Queen Elizabeth II. und Prinz Philipp in Leipzig empfing, verkรถrperte fรผr viele das Ideal eines anstรคndigen Mannes. Er, dessen kommunalpolitische Laufbahn einst in Kรถln begonnen hatte, galt als ruhiger und zurรผckhaltender Mensch, mit jahrzehntelanger Erfahrung in den Rathausfluren, als jemand, der wusste, was er tat, von frรผh bis spรคt arbeitete. Viele seiner Entscheidungen ebneten Leipzig den Weg dorthin, wo es heute steht, und mit dem โLeipziger Modellโ betrieb der Pragmatiker sachorientierte Politik รผber โ ohnehin noch nicht so eingeschliffene โ Parteigrenzen hinweg.
Er amtierte bis 30. Juni 1998 als OBM Leipzigs, rรคumte dann den Chefsessel fรผr seinen im Frรผhjahr gewรคhlten Wunsch-Nachfolger und Parteifreund Wolfgang Tiefensee. Als Ratgeber blieb er im Ruhestand weiterhin gefragt und war in Kommissionen aktiv, hielt sich aber sonst aus der aktiven Kommunalpolitik heraus.
Stadtrat beschloss Umbenennung einer Teilflรคche
Als Hinrich Lehmann-Grube am 6. August 2017 mit 84 Jahren im Leipziger St.-Elisabeth-Krankenhaus nach lรคngerer Erkrankung verstarb, war die Trauer รผber SPD-Kreise hinaus groร. Nach-Nachfolger Burkhard Jung wรผrdigte den 1999 zum Ehrenbรผrger ernannten Politiker, der in der III. Abteilung des Sรผdfriedhofs beigesetzt wurde, als โunbeschreiblichen Glรผcksfallโ fรผr die Stadt.
Knapp sieben Jahre nach dem Tod des mehrfachen Vaters und Groรvaters trรคgt seit heute die Roรplatz-Teilflรคche am Mรคgdebrunnen offiziell den Namen Hinrich-Lehmann-Grube-Platz.
![Burkhard Jung und Ursula Lehmann-Grube. Foto: Lucas Bรถhme](https://www.l-iz.de/wp-content/uploads/2024/06/Burkhard-Jung-und-Ursula-Lehmann-Grube.jpg)
Bei der Einweihungszeremonie am Freitagvormittag wรผrdigten OBM Burkhard Jung sowie Andreas Mรผller, ehemals Erster Bรผrgermeister, Leben und Verdienste Lehmann-Grubes. Besonders wurden sein Pflichtbewusstsein, sein Fleiร zum Wohle der Stadt und seine persรถnliche Bescheidenheit hervorgehoben.
Auch die Witwe, Ursula Lehmann-Grube, sowie weitere Familienmitglieder, Freunde und Weggefรคhrten waren zur Erรถffnung des Platzes anwesend. Dessen Umbenennung geht auf einen mit groรer Mehrheit gefassten Stadtratsbeschluss zurรผck.
Die Adressen โRoรplatz 1, 2 und 3โ bleiben รผbrigens weiterhin bestehen, Hausnummern mรผssen nach Umbenennung des 1.500 mยฒ groรen Areals nicht geรคndert werden. Auch am letzten Wohnhaus des Namenstrรคgers in der Gustav-Mahler-Straรe wurde mit Enthรผllung einer Gedenktafel an Leipzigs ersten OBM nach der Revolution 1989/90 erinnert.
Empfohlen auf LZ
So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:
Keine Kommentare bisher