Am 19. Juni wurde in der Ratsversammlung auch über einen Baum abgestimmt, einen einzelnen, ortsbildprägenden Baum, einen 150 Jahre alten Bergahorn in der Felsenkellerstraße in Lindenau, der wegen des Baus eine Tiefgarage fallen soll. Mit einer Petition wollte der BUND Leipzig das verhindern. Und die Grünen-Fraktion hatte die große Hoffnung, sie könnte den Baubürgermeister noch einmal bewegen, mit dem Bauherrn zu sprechen, damit der seine Pläne für die Tiefgarage ändert.

Die Petition hätte im Stadtrat auch ganz still beerdigt werden können, denn das Amt für Bauordnung und Denkmalpflege hatte in seiner Stellungnahme schon das Ende des Baumes besiegelt – man habe alles geprüft. Der Baum habe nach deutschem Baurecht keine Chance. Besonders geschützt sei er auch nicht. Er fällt zwar irgendwie unter die Leipziger Baumschutzsatzung. Aber die verliert ganz offensichtlich ihre Wirkung, wenn es um Tiefgaragen geht.

„Im Rahmen einer Vor-Ort-Prüfung konnten durch die untere Naturschutzbehörde keine Merkmale festgestellt werden, die eine Einstufung des Bergahorns als gesetzlich geschützten Biotopbaum gem. § 30 Abs. 2 BNatSchG i. V. m. § 21 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 SächsNatSchG rechtfertigen würden. Der Bergahorn fällt grundsätzlich in den Anwendungsbereich der Baumschutzsatzung. Das seinerzeit beantragte Bauvorhaben wurde auch unter Beachtung der Regelungen dieser Satzung betrachtet“, liest man in der Stellungnahme der Stadt.

Baurecht schlägt Baumschutz

Aber dann wird das Bauordnungsamt ganz deutlich und sagt den Petenten ins Gesicht, wie es um Naturschutz in Deutschland tatsächlich bestellt ist: Es ist ein nachrangiges Recht.

Oder mit den Worten des Bauordnungssamtes: „Gesichtspunkte des Baumschutzes treten allerdings grundsätzlich hinter einem gegebenen Baurecht zurück, sofern nicht durch eine vertretbare Verschiebung oder Veränderung des Baukörpers geschützte Bäume erhalten werden können (allg. Rechtsprechung). Voraussetzung ist hierbei, ob eine Verschiebung oder Modifikation des Baukörpers möglich und vertretbar, mithin dem Bauherrn zumutbar ist. Diese Beurteilung ist anhand einer wertenden Betrachtung der Umstände des konkreten Einzelfalles vorzunehmen.“

Herr Jürgen Kasek (Bündnis 90/Die Grünen) im Leipziger Stadtrat am 19.06.24. Foto: Jan Kaefer
Jürgen Kasek (Bündnis 90 / Die Grünen) im Leipziger Stadtrat am 19.06.24. Foto: Jan Kaefer

Im Grunde war das genau der Punkt, um den am 19. Juni im Stadtrat gestritten wurde, nachdem die Grünen beantragt hatten, es sei noch einmal mit dem Bauherren Kontakt aufzunehmen, um eine Änderung der Baupläne zu bewirken.

„Die Stadt Leipzig nimmt Gespräche mit dem Bauherrn des streitgegenständlichen Grundstücks auf, um mit diesem eine Lösung im Sinne des Erhalts des Baumes zu finden. Die Anzahl an Stellplätzen ist auf ein Minimum nach § 49 SächsBO zu reduzieren, sodass die Tiefgarage verkleinert hergestellt werden kann.“

Doch Baubürgermeister Thomas Dienberg verwies darauf, dass das Bauvorhaben schon genehmigt sei. Im besten Fall könne man auf eine Freiwilligkeit des Bauherren rechnen.

Autos brauchen Platz

Aber das sei ja schon im Baugenehmigungsverfahren passiert, so die Stellungnahme der Stadt: „Das seinerzeit geplante und inzwischen genehmigte Vorhaben schließt aufgrund der Errichtung der Tiefgarage im Wurzelbereich des Baumes dessen dauerhaften und standsicheren Erhalt aus.

Im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens wurde daher geprüft, ob eine Modifikation des Vorhabens verhältnismäßig und dem Bauherrn zumutbar ist. Im Ergebnis wurde festgestellt, dass eine Modifikation des beantragten Baukörpers erheblich in die Funktionalität der Tiefgarage eingegriffen hätte und dem Bauherrn daher nicht auferlegt werden konnte.“

Also kein Spielraum für eine Nachverhandlung, wie sie Grünen-Stadtrat Jürgen Kasek in seiner Rede zumindest gewünscht hatte, wohl wissend, dass die Baugenehmigung erteilt wurde und die Stadt sich dabei auch an Recht und Gesetz gehalten hat. Da müsse ein Stadtrat nicht mehr diskutieren, so der Tenor in den Wortmeldungen von FDP-Stadtrat Sven Morlok und CDU-Stadtrat Falk Dossin.

Es wird nicht nachverhandelt

Keine Chance also für einen 150 Jahre alten Baum, der ideal wäre, einer künftigen Kita an dieser Stelle auch gleich noch Schatten zu spenden. Die Ökosystemdienstleistungen, die so ein Baum bietet, können durch von der Stadt angeordnete Ersatzmaßnahmen auf Jahrzehnte hinaus nicht ersetzt werden, betonte Kasek noch.

Und die Frage stand im Raum, ob der Stadtrat überhaupt ein Recht hat, über solche Dinge in erteilten Baugenehmigungen zu befinden und Nachbesserungen zu fordern. Natürlich hat er das, betonte Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Krefft. Nur wollen es nicht alle Fraktionen.

Womit sich dann freilich schon andeutete, dass auch dieser Versuch, einen alten, prächtigen Baum in der Stadt zu retten, scheitern würde. Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, noch einmal zu verhandeln, wurde mit 25:28 Stimmen bei sieben Enthaltungen recht knapp abgelehnt.

Der Beschlussvorschlag des Petitionsausschusses, der eine Ablehnung der Petition empfahl, bekam dann 32:17 Stimmen bei neun Enthaltungen.

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Es gibt 7 Kommentare

@Matthias Malok
Warum sollte ich die Einwohneranfrage auswerten? Das haben doch Fachleute bereits gemacht und eine entsprechende Antwort darauf gegeben, oder? Grundsätzlich sollten Carsharing- und Bike-Sharing- Stationen an Stellen entstehen, wo entsprechender Bedarf ist. Vielleicht kann man ja am Rittergut eine dieser Stationen etablieren. Die Antwort auf die Einwohneranfrage finde ich jetzt aus städtischer Sicht nicht so verkehrt…

@TLpz: Eine Frage: Habt ihr die angesprochene Einwohneranfrage und der aufgezeigt Weg euch einmal umfassend ausgewertet?

@Christian, Matthias Malok
Es ist definitiv keine Frage der Stellplatzsatzung. Denn im Rahmen dieser ist es auch möglich, Ablösen zu zahlen statt Stellplätze zu schaffen. Die Tiefgarage und deren Größe bestimmt allein der Bauherr weil er solche Wohnungen natürlich besser verkaufen kann. Die Stadt hat keine Handhabe, auch wenn man hier versucht, über ein Konstrukt von Tiefgarage und Stellplatzsatzung der Stadt den schwarzen Peter zuzuschieben. Beim nächsten Bauprojekt sind es dann Kellerräume, denen die Wurzeln im Weg sind o.ä. Das Baurecht ist in dieser Beziehung grottig, aber Ansprechpartner dafür ist nicht die Stadt. Dann muss man die Petition anders stellen, nämlich das die Stadt darauf einwirkt dass das Baurecht geändert wird. Man sollte aber endlich auch einmal einsehen, dass es in unserer Rechtsstruktur unterschiedliche Ebenen gibt und in diesem Fall eine der unteren Ebenen absolut keine Einflussmöglichkeit hat. Da muss man jetzt auch nicht behaupten, dass das ein Armutszeugnis für die Stadt (verwaltung) ist.

@Ralf Julke ; @Christian: Ja, es ist eine Frage der Stellplatzsatzung. Hier sollte die Verwaltung und besonders der NEUE Stadtrat einmal Neue Lösungswege suchen. Einen Weg ist innerhalb dieser EF vorgeschlagen: Verkehrswende beispielgeben im Rittergut Kleinzschocher Nr. VII-EF-10321

Nun ja, TLpz, dann ist es eben auch ein Armutszeugnis für das deutsche Baurecht, welches ich ebenso erwähnte.
Schön ist es für die Stadtverwaltung, wenn man sich darauf berufen kann; da muss keiner Verantwortung übernehmen.
Angesichts dieses “baufreundlichen Rechts” werden sich unsere Nachfahren noch an den Kopf greifen, wenn diese zwischen aufgeheizten Tiefgarageneinfahrten dahinschwitzen. Warum sollte auch ein Bauherr auf die Natur Rücksicht nehmen müssen?

Der Verweis auf die Anpassung des Stellplatznachweises deutet darauf hin, dass eben dieser für die Größe der TG mit ursächlich ist.
Was soll auch der Eigentümer tun, wenn er Stellplätze nachweisen soll, aber wenig Platz neben einem Haus dafür zur Verfügung stellen möchte?

Absurd ist für mich die VerDINifizierung des Baumes: 11m sind echt unrealistisch und tritt allenfalls auf freier Fläche auf. Mit dieser Maßgabe dürfte es sicher nur noch ganz wenige Bäume dieser Größe in Leipzig geben dürfen.
Fehlt nur noch der Fällzwang aufgrund nicht befolgter DIN…

@Christian
Nein, es ist nicht Ergebnis der Stellplatzsatzung. In diesem Fall mag der Baum wegen der Tiefgarage weichen müssen, in anderen Fällen ist es aber vielleicht wegen der Bauform des Hauses o.ä. Über das Baurecht ist das scheinbar eben gedeckt. Versuchen Sie doch bitte das Baurecht zu ändern! Ein Armutszeugnis ist es eher, geltende Rechtsstrukturen nicht anzuerkennen und der Stadt den Schwarzen Peter zuschieben zu wollen.

Ist das nicht auch ein Ergebnis der Stellplatzsatzung?

Wenn Eigentümer nicht unbedingt Stellplätze nachweisen müssten, dann könnte man ja auch als Genehmigungsbehörde argumentieren, dass eine Tiefgarage Luxus ist und nur insoweit räumlich ausgedehnt werden kann, sofern kein erhaltenswerter Baum geschädigt wird!?
Wohlweißlich in einer Zeit, da wir darum alle! wissen, dass ein so alter Baum keineswegs einfach durch einen jungen Trieb irgendwo in der Prärie ersetzt werden kann.

Die Umkehrung des jetzigen “Rechts” muss ja nicht zwingend für jeden gewachsenen Baum gelten, aber dieses Beispiel untermauert wieder die Vogelfreiheit des deutschen Bau- und Besitzrechts.
Und wenn der gekaufte Quadratmeter teuer ist, wie es nun mal in einer Stadt so ist, wird es NIE vertretbare oder zumutbare Gründe geben, dem armen Bauherrn das Baurecht zu versagen, wenn er deswegen herumheult.

Ein Armutszeugnis für eine Stadt, die einen Klimanotstand ausgerufen hat.
Und für die Vernunft / Einsicht der hiesigen Entscheider.

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