Da kann der Stadtrat noch so viele Beschlüsse zum Schutz von Bäumen und Artenvielfalt in Leipzig fassen – sie sind allesamt zahnlose Tiger. Klimaschutz und Artenschutz haben im deutschen Baurecht keine Chance. In der Stellungnahme zu einer Petition des BUND Leipzig macht das Amt für Bauordnung und Denkmalpflege jetzt deutlich, warum alle Initiativen, den Baumbestand in Leipzig zu schützen, am deutschen Baurecht scheitern.

Im April startete der BUND Leipzig eine Petition zum Schutz eines stattlichen Bergahorns in Lindenau, der gefällt werden soll, weil der Bauherr eine Tiefgarage bauen will.

„Die rechtlichen Möglichkeiten zum Erhalt des Bergahorns wurden geprüft. Im Ergebnis ist festzustellen, dass keine rechtlichen Möglichkeiten zum Erhalt bestehen. Aus diesem Grund war die Petition abzulehnen“, teilt das Amt für Bauordnung und Denkmalpflege in seiner Stellungnahme mit. Wobei das Wörtchen „war“ an dieser Stelle falsch ist.

Denn weder hat sich der Petitionsausschuss des Stadtrates bislang mit einem Beschluss zu Wort gemeldet, noch hat die Ratsversammlung irgendetwas entschieden. Die Petition wird erst in einer der nächsten Ratsversammlungen auf den Tisch kommen.

Aber es ist nicht nur das Amt für Bauordnung und Denkmalpflege, das sich mit dem Erhalt gewachsener Baumbestände in Leipzig schwertut.

„Im Rahmen einer Vor-Ort-Prüfung konnten durch die untere Naturschutzbehörde keine Merkmale festgestellt werden, die eine Einstufung des Bergahorns als gesetzlich geschützten Biotopbaum gem. § 30 Abs. 2 BNatSchG i. V. m. § 21 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 SächsNatSchG rechtfertigen würden“, schreibt das Amt zur Prüfung durch das Amt für Umweltschutz.

Was natürlich verblüfft, denn: „Der Bergahorn fällt grundsätzlich in den Anwendungsbereich der Baumschutzsatzung. Das seinerzeit beantragte Bauvorhaben wurde auch unter Beachtung der Regelungen dieser Satzung betrachtet.“

Baumschutz tritt hinter Baurecht zurück

Und dann erklärt das Bauordnungsamt trotzdem ganz trocken, warum Baumschutz keine Rolle spielt, wenn das Baurecht greift: „Gesichtspunkte des Baumschutzes treten allerdings grundsätzlich hinter einem gegebenen Baurecht zurück, sofern nicht durch eine vertretbare Verschiebung oder Veränderung des Baukörpers geschützte Bäume erhalten werden können (allg. Rechtsprechung).

Voraussetzung ist hierbei, ob eine Verschiebung oder Modifikation des Baukörpers möglich und vertretbar, mithin dem Bauherrn zumutbar ist. Diese Beurteilung ist anhand einer wertenden Betrachtung der Umstände des konkreten Einzelfalles vorzunehmen.“

Und dann ganz amtlich: „Das seinerzeit geplante und inzwischen genehmigte Vorhaben schließt aufgrund der Errichtung der Tiefgarage im Wurzelbereich des Baumes dessen dauerhaften und standsicheren Erhalt aus.“

Was normalerweise den Bau einer Tiefgarage infrage stellen würde. Aber so funktioniert das Baurecht in Deutschland nicht. Da taucht dann wieder – wie bei anderen Bauvorhaben – die Formel der „Unzumutbarkeit“ auf.

„Im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens wurde daher geprüft, ob eine Modifikation des Vorhabens verhältnismäßig und dem Bauherrn zumutbar ist. Im Ergebnis wurde festgestellt, dass eine Modifikation des beantragten Baukörpers erheblich in die Funktionalität der Tiefgarage eingegriffen hätte und dem Bauherrn daher nicht auferlegt werden konnte“, so das Bauordnungsamt.

„Um den Baum erhalten zu können müsste ein Mindestabstand der Stammfuß-Aufgrabung über 11 m eingehalten werden, in dem keinerlei Eingriffe in den Wurzelbereich erfolgen (vgl. DIN 18920). Dies wäre lediglich durch eine relevante Verkleinerung des Kellergeschosses möglich gewesen, verbunden mit einer erheblichen Beeinträchtigung der Funktionalität der Tiefgarage (Rampe und Fahrgasse) sowie der Anpassung des Stellplatznachweises.“

Keine rechtlich zulässigen Möglichkeiten

Baurecht schlägt Baumschutz. Oder mit den Worten des Amtes für Bauordnung und Denkmalpflege: „Hierdurch wäre die bauplanungs- und bauordnungsrechtlich zulässige Nutzung des Grundstücks erheblich eingeschränkt worden. In einem solchen Fall genießt das auf bundesrechtlicher Ebene bestehende Baurecht aufgrund der Normenhierarchie Vorrang vor der kommunalen Baumschutzsatzung.

Aus diesen Gründen musste die Baugenehmigung vom 11.01.2023 für das beantragte Vorhaben erteilt werden.“

Das Baurecht war also längst erteilt, bevor der BUND Leipzig überhaupt von dieser geplanten Baumfällung erfuhr und eine Petition zur Baumrettung startete.

Trocken zieht das Bauordnungsamt sein Fazit: „Die Baugenehmigung wurde rechtmäßig erteilt und darf aus diesem Grund nicht zurückgenommen oder widerrufen werden, da die rechtlichen Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen. Eine Aufhebung der Baugenehmigung würde zu erheblichen Schadensersatzansprüchen führen. Der Stadt stehen daher bedauerlicherweise in vorliegendem Fall keine rechtlich zulässigen Möglichkeiten zur Verfügung, um den Eingriff in den Baumbestand zu verhindern.“

Womit dann exemplarisch durchexerziert wäre, dass Baum- und Artenschutz keine Chance haben, wo das deutsche Baurecht gilt.

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Es gibt 15 Kommentare

Also, liebe Kommentatoren, völlig richtig liegt User “Sebastian”, wenn er darauf hinweist, daß die fortwährende Verdichtung, die anscheinend keiner aufhält, manche weiter begrüßen, ein zentrales Problem ist, daß etliche Folgeprobleme zeitigt. Noch zentraler die Frage, ob Leipzig weiter Magnetwirkung entfalten soll?

Und selbstverständlich ist es allenfalls eine paradoxe Zuspitzung, einen unmittelbareen Zusammenhang zwischen der genehmigten Baumfällung und dem unsäglichem Radweg-Insistieren in der KH-Straße zu ziehen, lieber User “TLpz”. Letztlich aber sollten wir in real terms denken. Einerseits ein Eititei, um Autos zu vergrämen, andererseits Kettensägeneinsätze unweit. Und was wird nun mit dem ebenfalls nicht allzuweit entfernten “Jahrtausendfeld”? Nicht etwa ein Park.

@fra
Sie haben meinen Kommentar missverstanden. Ich bin grundsätzlich dafür, die Nutzer für das Abstellen von privatem Eigentum auf öffentlich Flächen finanziell an den Kosten zu beteiligen. Bullshit ist zu suggerieren, dass der Baum gerettet werden könne, wenn nicht Parkplätze im Straßenraum zurückgebaut würden (was andere Kommentatoren hier versuchen).

@TLpz:
Für Sie mag das Bullshit sein, aber als ich in den 90ziger Jahren eine Wohnung in Leipzig gemietet habe, habe ich darauf geachtet das mindestens 2 private Parkplätze dabei sind. Das ist in der heutigen Zeit noch mehr erforderlich als damals und was den ÖPNV angeht ist der noch Jahrzehnte von einem Zustand entfernt, das Auto auch nur annährend zu ersetzen.

Christian, um “die letzten Bäume” geht es aber auch wiederum nicht… Steigen Sie mal auf den Uniriesen oder aufs Völki, und gucken sich von oben an, wie krass grün unsere Stadt ist. Sofort relativieren sich 50 bemooste Haltestellenhäuschen und der Krach um einen Baum im Hinterhof von Plagwitz.
Und: In einer Tiefgarage kann man auch andere Dinge abstellen, als sein Auto. Das elektrische Lastenrad zum Beispiel, oder deren auch zwei. Solche Tiefbauten sind immer auch eine Investition für die Zukunft, und werten den eigentlichen Wohnraum deutlich auf.

Natürlich sind Tiefgaragen ein probates Mittel, um PKW abstellen zu können, wenngleich es der individuellen Motorisierung wiederum Vorschub leistet.
Dass aber nun deswegen die letzten Bäume gefällt werden sollen, ist realer Irrsinn und ein Treppenwitz zugleich.
Die Stellplatzsatzung erlaubt m.W. eine Ablöse. Und wenn kein Platz für Stellflächen da ist, oder wenn eben kein Platz für eine ausufernde TG verfügbar ist, weil ansonsten noch mehr schützenswerte (!) Umwelt beschädigt oder beseitigt wird, dann eben Zahlung und fertig!

Wieso das Baurecht hier so einen Vorrang hat, versteht kein Mensch in Zeiten des Klimawandels.

Allerdings kann man auch mal an der Satzung korrigieren; das ist ja fast wie ein Zwang zur Platznutzung für motorisierte Vehikel. Auch Unsinn.
Das muss ja nicht wieder eine Reichsgaragenordnung werden, aber warum Stellplatznachweis?
Jeder wird dann schon merken, ob er in einer sich verdichtenden Stadt ein Plätzchen findet, oder vielleicht versucht, auf Alternativen zurückzugreifen.

@fra
Die Verkehrspolitik spielt hier nur in der Denke von User David a la ‘wenn es genügend Parkplätze im öffentlichen Raum gibt bräuchte man keine Tiefgarage und so könnte der Baum gerettet werden’ eine Rolle. Das ist Bullshit.

Es wird Bedauern darüber ausgedrückt, dass der Baum gefällt wird. Und dass der Grund eine Tiefgarage ist, die gebaut werden soll.
Verschiedene Personen stellen einen Zusammenhang her, dass “sowas” von “sowas” käme, und das Bedauern damit quasi obsolet sei, im Zuge von “hätte man sich denken können”.
Ob der Zusammenhang nun richtig oder falsch ist… das passt doch richtig gut zum Thema. Denn das ist hier eines der Dauerthemen.

@TLpz:
Leider spielt die Verkehrspolitik hier mit rein, wie schon erwähnt wurde, sind Wohnungen ohne Stellplatz schlechter zu verkaufen bzw. zu vermieten. Das finde ich auch notwendig. Den wie ich heute in einer anderen las:
“Bis in die 1960er-Jahre galt die Verpflichtung, einen Stellplatz nachzuweisen, wenn man ein Fahrzeug anmelden wollte. Erst ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts im Jahr 1966 legalisierte das heute gängige Parken am Straßenrand und gewährte dem Auto ein Privileg, das im Grunde bis heute unvermindert besteht.”
Denn da sollten wir wieder hin.

Eigentlich wunderbar zu lesen, wie hier am Thema vorbei diskutiert wird. Da wirft einer einfach mal sowas wie “bla bla bla…Parken im Straßenraum wird eingeschränkt…” und “bla bla bla…Hinterhöfe werden platt gemacht…” und schon sind wir wieder bei Superblocks usw. Dabei ist die Verkehrspolitik hier überhaupt nicht das Thema…

Und noch etwas Polemik als Ergänzung: Ist doch auch gar nicht schlimm, dass die Hinterhöhe “plattgemacht” werden. Den letzten Diskussionen nach, in denen es um die Ausgestaltung der “neuen Verkehrsräume” ging, um das schöne Mediteranisieren, Spielen, und natürlich Aufstellen von schönen Blumenkübeln und improvisierten Sperrmöbeln, da war doch DAS Argument: Raus aus den Hinterhöfen! Auf der Straße isses viel toller…

Wie jetzt…NOCH JEMAND aus dem gemäßigten Lager, der es sich wagt zu kommentieren? :-O

Ich glaube, diese Tiefgarage wäre so oder so gekommen. Eigentum ohne Stellplatz ist schwer verkäuflich, erst Recht für das, was aktuell für Eigentum an Preisen aufgerufen wird. Und auch für eine Mietwohnung gibts viele Viertel, bei denen der Stellplatz dabei sein muss, sonst sucht man sich dämlich. Insofern ist doch klar, warum die Tiefgarage zum neuen Haus gebaut werden soll.
Um den Baum ist es trotzdem schade, vor allem weil in dieser Gegend in den letzten Jahren eh schon gut geholzt wurde.

Ich sehe hier gar nicht so sehr ein Problem, was sich durch die ablehnungswerte Verkehrspolitik dieser Stadt ergibt, sondern einfach ein Verdichtungsthema. Es ist dort eine Brache, so wie der Leuschnerplatz eine Brache war / ist. Wenn politisch höher gewichtete Ziele dem Brachliegen entgegenstehen, war´s das halt.

Anscheinend, lieber User “Bahnschranke”, und ich hätte es nicht besser ausdrücken konnen, als User “David”.

Das passiert wenn das Parken im Straßenraum immer weiter eingeschränkt wird. War doch klar das sich die Leute dann was anderes überlegen. Jetzt werden die grünen Hinterhöfe platt gemacht. Da haben wir dann sicher was Gutes für Hitzeschutz und Aufenthaltsqualität getan. Aber dafür kann dann ja ein Straßenbaum gepflanzt werden 😉

Hoffentlich wird dann geprüft, ob die TG in beantragtem Ausmaß auch gebaut wurde.
Tiefbau kostet mehr Geld denn je. Vielleicht war die Planung nötig, um den störenden Baum zu beseitigen…

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