Es ist nicht nur beim Leipziger Flughafen so, dass eine Blendwand existiert zwischen den berechtigten Anliegen der Bürger und den in Stein gemeißelten „Wirtschaftsinteressen“, die dann in der Ratsversammlung auch noch mit seltsamsten Argumenten verteidigt werden. Gar noch mit dem Verweis auf das schöne Wort „Nachhaltigkeit“, mit dem FDP-Stadtrat Sascha Matzke hantierte, als es am 13. März in der Ratsversammlung um die Leipziger Stellungnahme zum neuen Rahmenplan für den Kiesabbau in Zitzschen ging.

Oder genauer: um dessen Ausweitung. Von Salamitaktik sprach Grünen-Stadtrat Michael Schmidt in Bezug auf das Ansinnen der Mitteldeutschen Baustoffe GmbH, die beim Sächsischen Oberbergamt die Änderung des Rahmenbetriebsplanes für den Kiessandtagebau Zitzschen beantragt hat.

Wieder einmal. Denn im Leipziger Stadtrat war dieser Kiesabbau das letzte Mal 2015 Thema, als die Stadt schon einmal deutlich machte, warum sie gegen eine Ausweitung des Kiesabbaus ist. Aus vielen Gründen, die sich auch alle in der neuen Stellungnahme der Stadt finden lassen.

Zentraler Punkt: „Mit dem aktuellen Antrag wird eine Änderung dergestalt begehrt, dass künftig im Nassschnitt abgebaut werden soll, mit Verlängerung der Geltungsfrist des Rahmenbetriebsplans um 28 Jahre bis 2051 und Verbleib von Landschaftsseen. Das Oberbergamt die Stadt Leipzig am Verfahren beteiligt und zur Stellungnahme aufgefordert.“

Eigentlich sollte 2030 Schluss sein

Das Problem daran: 2015 hat das Oberbergamt nach der Stellungnahme der Anliegerkommunen einen Kompromiss genehmigt, der es der Mitteldeutschen Baustoffe GmbH ermöglichte, bis 2030 im Trockenabbau weiter Kies abzubauen und dann die Kiesgruben zu renaturieren. Für die Anwohner und die Landwirte auf den Nachbarfeldern war das ein überschaubarer Zeitraum. 2030 würde der Kiesabbau also enden.

Doch der neue Antrag beinhaltet eine mehrfache Ausweitung des Kiesabbaus – nicht nur zeitlich bis ins Jahr 2051, sodass alle Versprechen für 2030 einfach obsolet werden. Sondern auch noch im Nassschnitt. Man will also auch noch tief ins Grundwasser eingreifen. Mit absehbaren Folgen.

Nicht alle Stadträte werden so ratlos in die Vorlage geschaut haben wie Sascha Matzke, der dann auch noch das Wort von der „regionalen Wertschöpfung“ benutzte, mit dem dann letztlich jeder Rohstoffabbau vor der Haustür legitimiert werden kann.

Herr Sascha Matzke (Freibeuter/FDP) im Leipziger Stadtrat am 13.03.24. Foto: Jan Kaefer
Sascha Matzke (Freibeuter/FDP) im Leipziger Stadtrat am 13.03.24. Foto: Jan Kaefer

Und jede Zerstörung von nicht wiederherstellbaren Naturhabitaten und – in diesem Fall ebenso wichtig – wertvollen landwirtschaftlichen Böden. Denn anders, als es AfD-Stadtrat Christoph Neumann in seinem ziemlich faktenfreien Vortrag behauptete, will der Kiesbetrieb weitere Flächen in Anspruch nehmen.

Und wahrscheinlich hat Michael Schmidt recht, wenn er befürchtet, dass das Oberbergamt auch diesen „Kompromiss“ durchwinken wird und den Kiesabbau bis 2051 genehmigen wird – und damit jede Zusage an die Anwohner und die Landwirte wieder einmal ignorieren wird.

Sächsisches Bergrecht

Leipzig, auf dessen Flur zwar nur 10 Prozent des Kiesabbaugebiets liegen, kann übrigens kein „Nein“ beschließen. Diese Möglichkeit gibt es im sächsischen Bergrecht nicht. Betroffene Kommunen können nur eine Stellungnahme abgeben und das Oberbergamt kann die Bedenken berücksichtigen oder ignorieren.

Logisch, dass mehrere Ämter ihre Bedenken in der Stellungnahme konkret aufgelistet haben. Bedenken, die im Jahr 2024 noch ein größeres Gewicht haben als im Jahr 2004, als ein noch viel größeres Gebiet zum Kiesabbau vorgesehen war.

Das wird jetzt etwas kleiner, wie die Stadt betont: „In der Zulassung des obligatorischen Rahmenbetriebsplanes (07.05.2004) umfasste der Geltungsbereich 124,85 ha, davon 100,50 ha Abbaufläche. Im gegenständigen Antrag auf Planänderung soll eine Nettofläche von 84,77 ha (Baufelder I, II Nord, II Süd) bergbaulich in Anspruch genommen werden. Dadurch wird der Flächenumgriff des ursprünglichen genehmigten Rahmenbetriebsplanes verkleinert.

Der Kies soll entgegen der Ursprungsgenehmigung im Nassschnitt abgebaut werden. Dadurch entstehen drei Landschaftsseen mit einer Größe von 38,29 ha (Feld I), 33,44 ha (Feld II Süd) und 13,04 ha (Feld II Nord). Auf 8,11 ha soll landwirtschaftliche Nutzfläche wiederhergestellt werden.“

Herr Christoph Neumann (AfD) im Leipziger Stadtrat am 13.03.24. Foto: Jan Kaefer
Christoph Neumann (AfD) im Leipziger Stadtrat am 13.03.24. Foto: Jan Kaefer

Aber inzwischen sind auch in und um Leipzig die Grundwasserprobleme deutlicher geworden, der Verlust landwirtschaftlicher Flächen ist ebenso problematischer geworden wie der Verlust wichtiger Tierarten, die im Gebiet noch vorkommen.

Und drei weitere Kiesseen brauche in der Region kein Mensch, sagte Schmidt. Gleich nebenan ist der Zwenkauer See, der mit seiner Riesenfläche sowieso schon für enorme Verdunstungen des wertvollen Wassers sorgt.

Wo ist der vertretbare Rahmen?

Und während der Wirtschaftsausschuss – wie Sascha Matzke erklärte – gegen die Stellungnahme gestimmt haben soll, hat auch das Amt für Wirtschaftsförderung deutliche Bedenken gegen den weiteren Kiesabbau geäußert: „Regionale Wertschöpfungsketten, die kurze Transportwege beinhalten, sind zu befürworten. Da der Südraum von Leipzig jedoch seit Jahrzehnten durch bergbaubedingte Landschaftsveränderungen geprägt ist, ist die Akzeptanz der Bevölkerung für Abbauvorhaben aufgebraucht.

Daher kann der Bestand und die Fortführung des Kiesabbaus der umliegenden Bevölkerung nur kommuniziert werden, wenn die Auswirkungen in vertretbarem Rahmen stattfinden. Die Größe von 84,77 ha sowie der Verbleib von Landschaftsseen wird kritisch gesehen.

Um dem Verlust von nutzbarer Fläche zu minimieren, sollten im Fortschritt des Kiesabbaus ausgekieste Bereiche wieder verfüllt werden und für eine spätere landwirtschaftliche oder ggf. gewerbliche Nutzung, im Anschluss an das bestehende Gewerbegebiet Hartmannsdorf, hergerichtet und vorbereitet werden. Der aktive und offene Bereich sollte sich an der Größe des heutigen Tagebaues orientieren.“

Es geht hier also um Mengen, Größe und Dauer. Und um das Vertrauen der Bevölkerung, das mit dieser „Salamitaktik“ untergraben wird. SPD-Stadtrat Andreas Geisler betrachtet das Anliegen der Mitteldeutschen Baustoffe GmbH sogar als weiteren Versuch, „uns am ganzen Arm über den Tisch zu ziehen“.

Es ging an diesem 13. März lediglich darum – wie auch Sascha Matzke feststellte – dass der Stadtrat entscheidet, eben diese Stellungnahme der Stadt Leipzig auch einzureichen oder darauf zu verzichten. Nicht um ein Ja oder Nein zum Kiesabbau oder eine Entscheidung, die am Urteil des Oberbergamts am Ende etwas ändert.

Wobei die Stellungnahme berechtigterweise betont, dass die ausgewiesenen Flächen eigentlich als landwirtschaftlich genutzte Fläche ausgewiesen sind, dass hier also der Kiesabbau mit dem Erhalt wertvoller Böden und der Existenzgrundlage der Landwirte kollidiert.

Am Ende schied sich die Ratsversammlung wieder im bekannten Muster – pro Wirtschaft und pro Umwelt, auch wenn die Stellungnahme mit 34:21 Stimmen ein klares Votum erhielt.

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