Was macht man eigentlich als Stadtratsfraktion, wenn man einen wichtigen Termin völlig verpennt hat, das Thema aber wichtig ist und man gern etwas dazu sagen würde? Dann wir herumorakelt, wie es die CDU-Fraktion schon in der Februar-Ratsversammlung mit einer Anfrage getan hat, die auf ein Gerücht verwies, dass mit den Superblocks in Volkmarsdorf 1.970 Stellplätze wegfallen sollten. Eine Zahl, die sich irgendein Windmacher ausgedacht hatte.

Die aber mit dem Projekt der Superblocks gar nichts zu tu hat, bei dem es vor allem um eine geregelte Verkehrsführung und eine Verkehrsberuhigung im Quartier geht. Bislang gibt es nur ein Pilotprojekt in der Hildegardstraße. Ob und wie das Projekt weitergeführt wird, ist völlig offen.

Aber irgendwie wollte die CDU-Fraktion aus der Informationsveranstaltung, die am 26. Oktober zu den Superblocks stattfand, noch einmal richtig Kapital schlagen und spickte eine weitere Anfrage mit weiteren Mutmaßungen.

Das Verkehrs- und Tiefbauamt (VTA) hat darauf sachlich geantwortet. Auch auf die zumindest recht seltsame Frage: „Der Antwort auf unsere Anfrage, wann die direkten Anwohner des ‚Superblocks‘ befragt werden, entnehmen wir, dass dies nie erfolgt ist. Ist das richtig? Wenn nicht: Wann wurden die direkten Anwohner des aktuellen Blocks befragt? (Im Übrigen stehen in der Antwort falsche Daten.)“

Dass der Verein da nicht irgendein Wald- und Wieseninstitut mit der Befragung beauftragt hatte, wird eigentlich in der Antwort des VTA deutlich.

„Der Verein hat u.a. vom 23.8.-26.10.23 eine vom Department Stadt- und Umweltsoziologie im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ und dem Wissenschaftsladen Leipzig e.V. begleitete Online-Umfrage für das Testgebiet Hildegardstraße durchgeführt, an der sich 461 Personen beteiligt haben. Die Umfrage war sowohl in deutscher, englischer, spanischer, russischer, arabischer und drei kurdischen Sprachen verfügbar. Die Auswertung soll bis April 2024 vom Verein veröffentlicht werden.“

Lauter ausgeladene Gewerbetreibende?

Dass mit dem Umweltforschungszentrum eine kompetente Institution beauftragt wurde, schien CDU-Stadtrat Falk Dossin auch bei der Nachfrage am 13. März in der Ratsversammlung nicht sonderlich zu interessieren. Genauso wenig wie die Antworten zum Forum, das am 26. Oktober stattfand, an dem aber kein Mitglied der CDU-Stadtratsfraktion teilnahm.

Herr Falk Dossin (CDU) im Leipziger Stadtrat am 13.03.24. Foto: Jan Kaefer
Falk Dossin (CDU) im Leipziger Stadtrat am 13.03.24. Foto: Jan Kaefer

Das VTA hatte geantwortet: „Darüber hinaus fand am 26.10.2023 das Forum Leipziger Ost mit Vertretern von Verwaltung und Planungsbüro sowie Anwohnenden und einem Teil der anliegenden Gewerbetreibenden und weiteren Akteuren im Quartier statt. Über 100 Personen nahmen an dieser Veranstaltung teil. Neben Ideen und Hinweisen zum laufenden Verkehrsversuch in der Hildegardstraße konnten ebenso Kritik und Wünsche zum Entwurf der verkehrsplanerischen Konzeption gegeben werden.“

Lieber beharrte Dossin auf 26 nicht weiter spezifizierten Gewerbetreibenden, die aus Kapazitätsgründen keine Einladung fürs Forum bekommen hatten.

Ein Verein kämpft für Superblocks

Auch die zweite Anfrage erzählt im Grunde von einer Ratsfraktion, die einen wichtigen Termin einfach versemmelt hat. Worauf dann der Fraktionsvorsitzende der Grünen-Fraktion, Dr. Tobias Peter, hinwies, für den der Aktionismus der CDU-Fraktion auch eine offensichtliche „Diskreditierung bürgerschaftlichen Engagements“ ist.

Denn die Beteiligungsarbeit für die Superblocks leistet der in der Ostvorstadt heimische Verein Superblocks Leipzig e.V. Was der macht und was er will, ist alles auf dessen Website nachlesbar.

„Die Mitglieder des Vereins sind Bewohner Leipzigs, die sich aus dem Verkehrschaos, Unzufriedenheit und den Sicherheitsdilemma im öffentlichen Raum im Rahmen des Park(ing) Day 2019 für ein positives und inklusives Vorankommen entschieden haben. Sperrung von Straßenräumen, um gemeinsam die Möglichkeiten der Veränderung zu erleben.

‚Gemeinsam‘ heißt für uns, mit so vielen Anwohner/-innen, Nachbar/-innen und Nutzer/-innen der Straßenräume wie für uns möglich, Ansätze und Gedanken zu teilen. Damit ein neues Bewusstsein und sozialer Austausch zum Thema ‚Öffentlichen Raum in Wohnumgebungen‘ entsteht“, kann man dort lesen. Man muss sich nur aufraffen, dann auch zu den Veranstaltungen zu gehen und sich im Beirat einzubringen.

Natürlich ist das ein anderes Verständnis von Stadt, als es die CDU vertritt.

Falk Dossin meinte zwar, er würde den battle, den ihm Tobias Peter angeboten hatte, nur zu gern annehmen. Aber das wird mit Mutmaßungen über Teilnehmerzahlen und nicht einsehbare Protokolle (die einsehbar gemacht werden sollen, wie Baubürgermeister Thomas Dienberg versicherte) nicht gelingen. Dazu muss man sich einbringen.

Aber Superblocks scheinen ja nun zu einem Wahlkampfthema zu werden für Leute, die eine andere Verkehrsorganisation in Leipzig für völlig unmöglich halten.

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Es gibt 10 Kommentare

Das Gegenteil von “lebenswert” braucht es nur für Menschen, die zwanghaft in Dichotomien denken müssen, so wie ein armes Gegensatzbärchen, der Prozeß hin zu einer lebenswerten Stadt ist hierbei Inhalt des Beitrags, weg vom ungewünschten Istzustand einer weniger lebenswerten Stadt wie aktuell, in der das Leben durch zuviel motorisierten Privilegverkehr extrem eingeschränkt wird.

Sebastian Thurm

Dafür, daß der “werte” Nutzer “urs” so gar nicht auf rechte Parteien stehen möchte (es gibt keine “Mitte”), so oft bedient er doch leider immer wieder verläßlich die rechtsregressiven Muster und Klischees. Ergo, Kind beim Namen nennen: Typische rechtsregressiv.

Sebastian Thurm

Mit Ihrem Vorschlag, lieber User “Darjeeling SFTGFOP1”, kann ich wenig anfangen, nie habe ich je Mitte- oder Rechtsparteien bei Wahlen in Betracht gezogen. Daran werde ich weiter festhalten, denn ich glaube weiter, daß der große sozialdemokratische Ökonom Heiner Flassbeck dieser Tage mit folgendem Statement doch zu sehr generalisiert, wenn er ganz am Schluß von https://www.relevante-oekonomik.com/2024/03/20/leg-dich-bloss-nicht-mit-den-internationalen-finanzmaerkten-an schreibt: “Übrigens, nicht nur das Herz schlägt links, es ist die linke Gehirnhälfte, die vor allem die Aufgabe des logischen Denkens übernimmt. Die einzigen, die das wohl niemals zur Kenntnis nehmen werden, sind diejenigen, die sich selbst auf der linken Seite des politischen Spektrums verorten.” Aber ich möchte hinzufügen: Mindsetting oder Nudging mittels Buzzwords im Stile von “Superblocks” dünken sich logisch, weil ja Behaviorismus sonst ach so schön funktioniert. Sie bringen die Gesellschaft als solche aber dummerweise in den Irrsinn, wie jeglicher Behaviorismus und seine Derivate sonst auch. Und wenn ich ihn ähnlichem Zusammenhang das Zauberwort “lebenswert” lese, also etwa als “lebenswerte Stadt”, dann bin ich ganz raus, denn soll das heißen, der beklagte Status Quo ließe sich mit “sterbenswertes Kaff” beschreiben?

Links zu agieren erfordert, den Menschen etwas zuzutrauen, hingegen rechts agiert wird über Leidensdruck und “Verbott” (W. Droste).

Umfragen sind auch nur soviel wert, wie die Fragen darin und die Auswahl der Leute, die man fragt. Grundsätzlich kann man zum Beispiel darüber diskutieren, ob Leute ohne Führer:*außenschein bei Themen wie Tempolimit auf Autobahnen überhaupt relevant sind. Es gibt für beide Ausgänge dieser Frage Argumente.

Und dann ist ja noch die Frage beim Wählen einer bestimmten Partei (“die für meine Interessen steht”), ob man das bekommt, was man dachte zu bekommen. So einige Grünen-Wähler werden sich seit dem Angriff auf die Ukraine umgeguckt haben, während mir persönlich jemand wie ein Herr Hofreiter politisch so nah wie nie gedacht kam durch seine Haltung zum Thema.
Und hätte ich gewusst, wie sehr die FDP gegen die Einführung eines Tempolimit ist, wäre sie zur letzten Bundestagswahl definitiv eine Option für mich geworden. Andererseits bringt diese Partei auch Sachen wie die Milliarden zur Tankentlastung oder sieht steuerliche Dinge für ihre reiche Klientel komplett anders als ich, so dass mir da ehrlich gesagt nicht ganz klar ist, wo ich da im Denkmuster Ihrer Schablone “für meine Interessen” wählen könnte. Irgendeines meiner Interessen wird eine Partei immer verletzen, der Erfahrung nach. Ich hätte auch nie gedacht, dass der Wunsch nach Einhaltung normaler Rechtschreibregeln und -gewohnheiten mal ein Thema für eine Wahlentscheidung werden könnte, aber da man aktuell leider per Dekret gegen seltsame Eigenheiten mancher Leute an wichtigen öffentlichen Stellen vorgehen muss, wurde auch das inzwischen zu einem kleinen Einflußfaktor. Leider für Viele in Richtung AfD.

Kommunal gesehen ist das Verkehrsthema eines der großen Streitthemen, nicht nur in Leipzig, und da sehe ich halt einen Schwerpunkt im Gegenentwurf zu RRG, was sich aktuell u.a. für grüne Haltestellenhausdächer feiert.

> Vom Liviaplatz habe ich selbst welche gemacht und war enttäuscht vom Zustand.
Was man “urban” oder “lebenswert” oder “schön” findet, steht unter dem Einfluß des Zeitgeistes. Man schaue sich das Lied “Downtown” von Petula Clark im Textlaut an und merke den Unterschied zu dem, was uns heute als modern und zeitgemäß gepredigt wird, zum Beispiel auf den Bussen und Bahnen unserer Großstadt. Ich finde den Liviaplatz nicht schöner als vorher.

Bei allem hin und her innerhalb der Diskussion, ob nun noch Sitze frei waren oder nicht. Mich würden aktuelle Fotos zu diesem Platz mal interessieren. Vom Liviaplatz habe ich selbst welche gemacht und war enttäuscht vom Zustand.

“Jeder wird hier das wählen, was der persönlichen Einstellung entspricht.”
Selten so gelacht. Die meisten Menschen wählen nicht im Sinne ihrer Interessen. Das merkt man immer wieder sehr deutlich, wenn es Umfragen zu einzelnen Themen gibt und man genau weiß, dass die Parteien, welche exakt diese Themen anders sehen, am meisten Stimmen bekommen.
Besonders das Verkehrsthema zeigt sehr deutlich, wie die Wählerinnen und Wähler einerseits sich verkehrsberuhigte Straßen und weniger Autoverkehr wünschen (laut UBA-Studie immerhin fast 90% der Bevölkerung), gewählt werden aber stets die Parteien, die alle Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung und weniger Autoverkehr verhindern.
In Dtl. sind auch deutlich über 60% ü18 für ein Tempolimit – aber man wählt immer die Parteien, die niemals ein Tempolimit einführen werden.
Man ist auch mehrheitlich für eine Umverteilung von oben nach unten. Gewählt wird, wer von unten nach oben verteilt. Diese Parteien machen im Bundestag mittlerweile 95% der Mandate aus.

Na aber feste. Mehr Alternativen gibt’s ja nicht, oder haben Sie noch mehr Empfehlungen in petto? 🙂
Jeder wird hier das wählen, was der persönlichen Einstellung entspricht. Ich weiß auch nicht, was daran so erwähnenswert sein könnte.
Wenn es die CDU nicht ganz doof anstellt, wird das auch nicht so schwierig dieses Jahr im Wahlkampf. Im Grunde muss sie sich nur einige Reden der Politiker Dienberg und Jung vornehmen und daraus zitieren.

@Sebastian und Urs:
Sie dürfen beide auch gerne CDU wählen, die kümmert sich um Ihr Anliegen!

Wenn ich, lieber Autor, den von Superblocks e.V. anscheinend programmatisch gemeinten einzelnen Satz “Sperrung von Straßenräumen, um gemeinsam die Möglichkeiten der Veränderung zu erleben.” einmal sacken lasse, wird mir überoffensichtlich, daß das kein politisches Konzept sein kann. Das ist Chichi und im Hier und Jetzt nichts für die Breite der Stadtgesellschaft. Das Verteilen von roten Karten mag punktuellen Platz schaffen, und es mag auch die Kartenverteiler in Wunschvorstellungen bestärken, man möge derlei Gebahren nur zügig ausbreiten. Kann man aber nicht, und die Enthusiasten irren in ihrer Ansicht, daß man das Gras durch Ziehen zum Wachsen bringen könnte. Ich habe nichts gegen geeignete Diagonalsperren, ich habe aber etwas gegen vorsätzliche Täuschung, daß nämlich Spielstraßen drin sind, wo nur Diagonalsperren (mehr oder weniger) draufstehen. Man könnte auch bedenkenlos Spielstraßen ausweisen, sofern ein Einklang mit Anliegern bestünde. “Superblocks Leipzig e.V” erscheint jedoch als Teil einer Kampagne, auch wenn diese die lautersten Vorsätze haben mag. Die Autos, die es in Leipzig hat, sind da. Und es werden weniger. Und das ist doch schön. Es wird aber nicht noch schöner dadurch, nun ausgetüftelt weiter nachzuhelfen. Als Kind habe ich Elfe-Zwölfe auf der Fahrbahn gespielt, ohne daß dort eine Spielstraße ausgewiesen gewesen wäre. Derlei kann man seit Jahrzehnten nicht mehr. Es gab einen gesellschaftlichen Wandel, und der brachte auch das. Ein gesellschaftlicher Wandel wieder hin zu Elfe-Zwölfe auf der Fahrbahn geht nicht mit Superblocks, ganz sicher.

> “Aber Superblocks scheinen ja nun zu einem Wahlkampfthema zu werden für Leute, die eine andere Verkehrsorganisation in Leipzig für völlig unmöglich halten.”
“Für in dieser Radikalität und märchenhaften Apologetik mehrheitlich ungewünscht”, hätte ich es formuliert.

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