Auch Leipzigs Verwaltung bringt es fertig, unfair zu argumentieren. Vielleicht lag’s ja an der späten Stunde, als am 13. März in der Ratsversammlung die Informationsvorlage „Prüfergebnis: Entbehrlichkeitsprüfung zum Verkauf Bochumer Straße 26“ zum Aufruf kam. Zu der dann drei Fraktionen ein paar Änderungswünsche hatten. Aber es waren nicht die Änderungswünsche, die auf einmal – so Finanzbürgermeister – „überplanmäßige Ausgaben für den aktuellen Haushalt“ bedeuten.

Das Problem ist im Städtischen Eigenbetrieb Behindertenhilfe (SEB) entstanden – genau dem, der am Störmthaler See einen inklusiven Campingplatz für 31 Millionen Euro bauen will. Es ist eben nicht das einzige Projekt, bei dem sich der SEB verkalkuliert hat und zusätzliches Geld braucht. In der Vorlage aus dem Liegenschaftsamt kann man lesen: „Der SEB benötigt den Kaufpreis zur Refinanzierung des Eigenanteils am nach der Förderrichtlinie Teilhabe Invest geförderten Neubau für das Gemeindezentrum in der Friedrichshafener Straße 141–145.

Ohne den Verkaufserlös ist die Gesamtfinanzierung des Neubaus nicht gesichert. Bereits eine Verzögerung führt zu Finanzierungsbelastungen in Höhe von 2.100 Euro pro Monat und wirkt nachhaltig auf das Betriebsergebnis des SEB. Aus diesem Grund wird bewusst von der Bestellung eines Erbbaurechts abgewichen. Unter den aktuellen Marktbedingungen soll so das höchst mögliche Gebot erzielt werden.

Alternativ ist das Objekt gegen Zahlung des Verkehrswertes von 635.000 Euro von der Stadt zu übernehmen.

Ohne eine zeitnahe und abschließende Klärung, ist die Versorgungssicherheit im Bereich der psychosozialen Betreuung nicht gesichert.“

Der SEB braucht diese 635.000 Euro und will auch schnellstmöglich die 2.100 Euro Betriebskosten für die Villa in der Bochumer Straße 26 loswerden, die zu klein, sanierungsbedürftig und nicht barrierefrei ist, für die Zwecke des SEB also nicht brauchbar ist.

Einfach so verkaufen?

Aber da der SEB ein städtischer Betrieb ist, war die Verwaltung verpflichtet zu prüfen, ob das Objekt nicht auch für andere Zwecke nutzbar wäre. Die beteiligten Dezernate kamen laut Vorlage zu dem Ergebnis, dass das nicht der Fall sei.

Was aber drei Fraktionen – die von Linken, Grünen und SPD – anders sahen. Worauf dann William Rambow für die Linksfraktion deutlich hinwies. Denn bei den Planungen zur Friedrichshafener Straße wurde einfach „vergessen“, dass die Stadt eigentlich dringend einen Jugendklub für Mockau braucht – und nicht findet. Der hätte also beim Objekt Friedrichshafener Straße mit eingeplant werden können. Aber genau das sei – so Rambow – vor drei Jahren, als das Thema auf der Tagesordnung stand, nicht gemacht worden. Ergebnis: Seit drei Jahren sucht Leipzig in Mockau nach einer Immobilie für einen Jugendklub – und findet keine.

Da lag es also auf der Hand zu prüfen, ob die Villa in der Bochumer Straße dafür nicht genutzt werden könnte. Also erst einmal prüfen, ob das möglich sei.

„Der Oberbürgermeister wird beauftragt, das Objekt anschließend für den neu zu etablierenden Offenen Freizeittreff Mockau an die Kindervereinigung Leipzig als Interim zu vermieten, bis eine dgemeinsamen Antragauerhafte barrierefreie Liegenschaft für den OFT gefunden wurde“, hieß dann der dritte Punkt im gemeinsamen Antrag von Linken und Grünen, nachdem sich beide Fraktionen zu einem gemeinsamen Antrag zusammengerauft hatten.

Verwaltung im Schmollmodus

Und wer die Diskussion im Stadtrat verfolgte, durfte staunen, wie heftig sich auf einmal Sozialbürgermeisterin Martina Münch angegriffen fühlte, obwohl kein einziger Redner sie angegriffen hatte. Diskutiert hatten zuvor vor allem Stadträte von Linken, SPD und Grünen und der sehr aufs Detail versessene FDP-Stadtrat Sven Morlok.

Die SPD-Fraktion hatte noch einen eigenen Änderungsantrag eingebracht. Auch dort fand man es irritierend, dass die Stadt das Grundstück mit der Villa einfach schnell verkaufen will, obwohl ihr in Mockau ein Ort für einen Jugendtreff fehlt.

Im SPD-Änderungsantrag hieß es dazu: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, bevor ein Verkauf im Höchstgebotsverfahren angestrebt wird, Optionen für einen Grundstückstausch vorrangig im Norden Leipzigs, bestenfalls in Mockau, zu prüfen, um dadurch bessere Rahmenbedingungen für die Weiterentwicklung der sozialen Infrastruktur zu schaffen.

Mockau ist im Integrierten Stadtentwicklungskonzept als Schwerpunktgebiet definiert, weil dort hohe sozioökonomische Handlungsbedarfe bestehen. Eine Weiterentwicklung der sozialen Infrastruktur im Viertel ist vor diesem Hintergrund eine wichtige Maßnahme, um den sozialen Zusammenhalt dort zu verbessern. Das Gebäude in der Bochumer Straße 26 ist aufgrund seiner Lage für solche Zwecke nicht gut geeignet. Statt es an den Höchstbietenden zu verkaufen, fordern wir die Stadtverwaltung auf, diese Liegenschaft im Zuge eines Grundstückstausches zu veräußern.“

Das wäre zumindest ein Versuch, in Mockau ein besser geeignetes Grundstück zu finden. William Rambow betonte dann auch noch, dass die Prüfung möglichst zeitnah erfolgen sollte, am besten bis zum dritten Quartal dieses Jahres.

Ein mögliches Interim

Man merkte schon, dass der Frust der Stadträte, die im Jugendhilfeausschuss seit Jahren um einen Jugendklub in Mockau kämpfen, ziemlich groß war.

Und während OBM Burkhard Jung und Finanzbürgermeister Torsten Bonew dringend warnten, hier überplanmäßige Ausgaben zu produzieren, die im Haushalt 2024 nicht abgebildet sind, wies SPD-Stadträtin Christina März noch darauf hin, dass das Thema Jugendklub weder neu noch überraschend sei und die Stadt weiß, dass sie im Jugendhilfeausschuss seit zwei Jahren keinen Vorschlag machen konnte.

Im Antrag von Linken und Grünen wird die Einrichtung als Jugendklub als Interim bezeichnet, denn Geld für einen Umbau der Villa steht natürlich aktuell nicht zur Verfügung, das müsste erst in einem der nächsten Haushalte beschlossen werden – falls es bei dem Standort bleibt. Es wäre also so betrachtet eine vorübergehende Unterbringung.

Und es war ein klares Signal an die Verwaltung, dass sie das Thema Jugendklub in Mockau bislang einfach nicht gemeistert bekommen hat. Und in den Redebeiträgen von Martina Münch, Torsten Bonew und Burkhard Jung tauchte auch kein Vorschlag auf, wie das Thema jetzt anders angegangen werden könnte.

Rambow übernahm dann den Änderungsantrag der SPD noch mit in den gemeinsamen Antrag von Linken und Grünen. Es wurde dann zwar punktweise abgestimmt. Aber das Ergebnis war trotzdem deutlich: Für alle Antragspunkte gab es eine klare Mehrheit im Stadtrat. Was die Verwaltung jetzt verpflichtet, bis zum Herbst die Unterbringung eines Jugendklubs in der Bochumer Straße zu prüfen.

Womit die Ratsversammlung eben beschloss, die Altbauvilla in der Bochumer Straße 26 im Stadtteil Mockau dem Eigenbetrieb Behindertenhilfe (SEB) abzukaufen, um sie übergangsweise dem neu zu etablierenden Offenen Freizeittreff der Kindervereinigung Leipzig zur Verfügung zu stellen.

Die Entscheidung des Jugendhilfeausschusses nicht einfach ignorieren

Und auch die Grünen-Fraktion stellte doch sehr überrascht fest: „Die Entscheidung sorgte in der Ratsversammlung für Aufruhr unter Oberbürgermeister Jung und dem Finanzbürgermeister Bonew, die mit der Verwaltungsvorlage einen Verkauf der Immobilie am Freien Markt favorisierten und dem Stadtrat diesbezüglich das Ergebnis einer Entbehrlichkeitsprüfung offerierten.“

Herr Michael Schmidt (Bündnis 90/Die Grünen) im Leipziger Stadtrat am 13.03.24. Foto: Jan Kaefer
Michael Schmidt (Bündnis 90/Die Grünen) im Leipziger Stadtrat am 13.03.24. Foto: Jan Kaefer

In der Ratsversammlung selbst hatte Grünen-Stadtrat Michael Schmidt, jugendpolitischer Sprecher der Fraktion und stellvertretender Vorsitzender des Jugendhilfeausschusses, zwar nicht viel geredet. Aber im Nachhinein fand er es doch noch wichtig, einmal zu erklären, was da eigentlich passiert ist: „Die Entscheidung der drei Fraktionen ist eine logische Folge der Förderentscheidung des Jugendhilfeausschusses, in Mockau und in Thekla offene Angebote der Jugendarbeit, sogenannte Jugendclubs, zu etablieren.

Der Träger für den Offenen Freizeittreff (OFT) in Mockau hat bislang, trotz Unterstützung durch das Amt für Jugend und Familie, keinen Erfolg bei der Suche nach einer geeigneten Immobilie gehabt. Das Psychosoziale Zentrum des SEB, welches aktuell in dem Gebäude untergebracht ist, wird zukünftig in der Friedrichshafener Straße in einen Neubau ziehen. Hier wäre eine Kombination der Nutzungen wünschenswert gewesen, jedoch wurde diese Gelegenheit in der Konzeptionsphase durch eine Alleinplanung des SEB versäumt.“

Womit er eigentlich den Punkt benennt, an dem die Verwaltung ihre Hausaufgaben eben nicht gemacht hat.

Die Probleme bei der Immobilie sieht er auch: „Aufgrund des Mangels an den Ansprüchen genügenden Immobilien stellt das Haus in der Bochumer Straße 26 momentan die einzige Option dar, die sich – zumindest übergangsweise – nach dem Auszug des SEB als Domizil für den OFT anbietet.

Die Sanierungsbedürftigkeit dürfte an der Stelle nicht hinderlich sein, da es sich einerseits nur um eine Interimslösung handelt und die Nutzungsoptionen im Vordergrund stehen. Das Haus bietet, trotz fehlender Barrierefreiheit, mit Werkstatt- und Büroräumen, einem Café, und dem Außengelände ebenso gute Möglichkeiten wie der seit Jahrzehnten etablierte OFT Tante Hedwig in der Hedwigstraße.“

Auch eine Verwaltung muss fair diskutieren

Aber richtig sauer stieß in der Grünen-Fraktion der Vorwurf auf, die Antragsteller würden hier völlig überraschend „überplanmäßige Ausgaben“ verursachen, hatte doch insbesondere Oberbürgermeister Burkhard Jung kritisiert, dass nun aus dem Stadthaushalt ungeplante Mittel in Höhe von 635.000 EUR entnommen werden müssten, dabei aber verschwiegen, dass dafür eine Immobilie mit ebendiesem Wert im Liegenschafts-Portfolio der Stadt landet.

Ebenso sei behauptet worden, dass man für eine weitere Unterhaltung des Hauses jetzt in Größenordnung Betriebskosten zusätzlich zur Verfügung stellen müsse. 2.100 Euro im Monat wurden genannt. Hier sei aber wieder negiert worden, dass der Jugendhilfeausschuss in seinem Förderbeschluss bereits fiktive Miet- und Betriebskosten an die Kindervereinigung bestätigt habe.

„Wir wünschen uns an der Stelle eine ehrliche und faire Diskussion. Meine Fraktion erwartet mit dem Beschluss ausdrücklich nicht, dass das Gebäude nun dauerhaft in kommunalem Besitz verbleibt. Der Standort ist für den OFT nicht nur wegen der fehlenden Barrierefreiheit, sondern auch aufgrund der Lage in der Siedlung statt inmitten des Großwohngebietes nur als Interim geeignet“, betont Michael Schmidt.

„Eine andere Option hat sich aber seit vergangenem Jahr eben nicht gezeigt. Sobald eine bessere Option vorliegt und sich für das Haus keine eigene kommunale Nachnutzung aufdrängt, wird sich meine Fraktion auch nicht gegen einen erneuten Verkaufsvorschlag wenden.

Es kann aber nicht sein, dass eine Entbehrlichkeitsprüfung auf die Schnelle über die Weihnachtsfeiertage vonstattengeht und die geäußerten Bedarfe unter den Tisch geschoben werden, weil die Sanierungsaufwendungen als Totschlagargument gegenüber dem schnellen Verkaufserlös wirken. Hier müssen wir künftig transparenter miteinander umgehen. Wir hoffen nun, dass zeitnah die künftigen Optionen auf den Tisch gelegt werden, um eine sachgerechte und zukunftsfähige Entscheidung zu treffen, die weder den Bedarfen vor Ort noch den Zielen der strategischen Liegenschaftspolitik widerspricht.“

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