Leipzig steht unter Druck, was den Bau neuer Wohnungen betrifft. Doch gerade weil die Stadt unter Druck steht, müsste der Artenschutz im Stadtgebiet besondere Beachtung finden. Doch immer wieder stellt sich heraus, dass Bauherren grünes Licht von der Verwaltung bekommen, obwohl sie die naturschutzrechtlichen Auflagen vor Ort überhaupt nicht geprüft hat. So auch bei der LWB-Baustelle an der Johannisallee/Ecke Straße des 18. Oktober. Die Initiative Stadtnatur mahnt dringend Änderungen an.
Für das Bauvorhaben der LWB und umfangreiche Rodungen an der Johannisallee/Ecke Straße des 18. Oktober war am 8. Januar 2024 aufgrund von Hinweisen der Initiative Stadtnatur wegen Verstößen gegen das Artenschutzrecht ein Baustopp verhängt worden.
Die Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft mbH (LWB) als das größte kommunale Wohnungsunternehmen in Sachsen mit einem Aufsichtsrat, in dem alle Parteien zum Teil mit mehreren Aufsichtsräten sitzen, wies jede Verantwortung von sich, kritisiert die Initiative Stadtnatur.
Um die widersprüchlichen Aussagen der beteiligten Akteurinnen zu klären, hat die Initiative Stadtnatur deshalb am 15. Januar eine Umweltinformationsanfrage an das Amt für Umweltschutz gestellt, die am 6. Februar vom Amtsleiter des Amtes für Umweltschutz (AfU) beantwortet wurde. In dieser Antwort wurde nun mitgeteilt, dass der Baustopp vor Ort erlassen wurde, da die Auflagen der unteren Naturschutzbehörde, die in einer Stellungnahme des Amtes an das Bauordnungsamt am 25. Oktober 2023 formuliert wurden, nicht erfüllt wurden.
„So weit so gut! Schaut man sich diese Stellungnahme jedoch etwas genauer an, stellt man fest, dass die Auflagen dem Artenschutzrecht nach § 44 Bundesnaturschutzgesetz, auf den in der Stellungnahme auch verwiesen wird, nicht gerecht wird“, stellt soeben die Initiative Stadtnatur fest.
Alles nur Routine?
Die Naturschutzbehörde hatte lediglich gefordert, dass das Gehölzschnittverbot zwischen dem 1. März und 30. September eingehalten wird und dass vier Wochen vor der geplanten Fällung eine artenschutzrechtliche Begutachtung des Gehölzbestandes auf das Vorhandensein von Vogelnestern und Fledermausquartieren zu erfolgen hat und diese Ergebnisse der Naturschutzbehörde umgehend vorzulegen sind. Damit werde aber der Schutz der vorhandenen Fortpflanzungs- und Ruhestätten der geschützten Arten wieder einmal nicht gewährleistet, so die Initiative.
„Offensichtlich hat die untere Naturschutzbehörde die Begriffe Fortpflanzungs- und Ruhestätten immer noch nicht verstanden“, kommentiert Axel Schmoll von der Initiative Stadtnatur dieses Vorgehen. „Um die Fortpflanzungs- und Ruhestätten von Vögeln und Fledermäusen ermitteln zu können, müssen Erfassungen während der Fortpflanzungszeit durchgeführt werden.
Bei nur einer Begutachtung im Spätherbst oder Winter, wie von der unteren Naturschutzbehörde gefordert, sind die allermeisten geschützten Lebensstätten nicht ermittelbar. Die jetzt angetroffenen Arten und der vorhandene Baumbestand lassen eine hohe Artenvielfalt vermuten, die dringend vollständig erfasst werden muss.“
In der Stellungnahme des Amtsleiters wurde auch darauf hingewiesen, dass man über das Vorhandensein eines geschützten höhlenreichen Einzelbaumes keinerlei Kenntnisse hatte.
„Offensichtlich hat die LWB kein Gutachten beauftragt und die untere Naturschutzbehörde keinerlei Kontrollen durchgeführt“, vermutet Ines Wangemann von der Initiative Stadtnatur. „Bei einem solch großflächigen Eingriff von etwa einem Hektar in bereits auf dem Luftbild als wertvoll erkennbare Gehölzbestände ist eine Vor-Ort-Begehung auch durch die Behörde zwingend erforderlich. Leider handelt es sich bei den fehlenden Kontrollen um ein grundsätzliches Problem.“
Leipzig verliert immer mehr wichtige Biotope
Die Initiative Stadtnatur fordert deshalb eine fachgerechte Erfassung der geschützten Lebensstätten auf dem überplanten Gelände an der Johannisallee und eine rechtskonforme Beachtung des europäischen Artenschutzrechts.
Und sie mahnt: Die Stadt Leipzig verliere zunehmend ihren wertvollen Grünbestand und somit auch ihre Lebensqualität.
„Das überplante Gelände ist im Landschaftsplan als Park ausgewiesen“, sagt Wiebke Engelsing. „Der Landschaftsplan, wird nicht zum ersten Mal ignoriert. Es kann nicht sein, dass in Leipzig ein Klimanotstand ausgerufen wird, Beschlüsse über Waldmehrung und einen Stopp von Versiegelungen gefasst werden, und gleichzeitig das Stadtgrün in großem Stil zerstört wird, wenn die Investoren auf der Matte stehen.“
Gestoppt worden waren die Rodungsarbeiten letztlich, weil eine artenschutzrechtliche Ausnahme oder Befreiung nicht vorlagen. Eine solche Befreiung wurde offensichtlich nicht einmal beantragt. Was natürlich logisch ist, wenn vor Ort nicht einmal eine fachkundige Artenerfassung stattgefunden hat, sondern einfach nur eine Kompensation für die gefällten Bäume in den Bauantrag geschrieben wurde – aber nicht einmal vor Ort, sondern weit ab vom Schuss in Mockau.
Was nun einmal den massiven Verlust an Grün und Artenvielfalt konkret am Standort Johannisallee/Ecke Straße des 18. Oktober nicht ersetzt.
Hier hat sich auch Leipzigs Verwaltung viel zu lange auf der Sichtweise ausgeruht, man könne Artenverluste im Stadtinneren dadurch kompensieren, dass man irgendwo in Stadtrandnähe neue Bäume pflanzt. Denn durch diese Haltung verliert das Stadtinnere immer mehr Grünbestände und wertvolle Lebensräume für allerlei Tiere, die in der Stadt ihre Zuflucht gefunden haben.
Eine Haltung, die schlicht nicht zukunftsfähig ist und auch nicht zur Mitgliedschaft der Stadt Leipzig bei den Kommunen für biologische Vielfalt passt.
Es gibt 6 Kommentare
Nur um Missverständnisse auszuschließen: ich bin absolut für den Erhalt von Stadtgrün. Gerade der Leuschnerplatz hätte mir als grüne, etwas wilde Insel gut gefallen.
Der Kommentar mit den Sträuchern galt nicht dem aktuellen Fall. Sondern diesem Fall, wo die Rettung einiger Sträucher selbstlobend erwähnt wurde. Wo ich mich dann frage, wohin die Reise geht…
https://www.l-iz.de/politik/brennpunkt/2024/01/stoetteritz-wieder-gab-es-baumfaellungen-trotz-anwohnerprotests-video-574667
Jeder mag es unterschiedlich bewerten, ob Stadtgrün für die Lebensqualität einer Stadt wichtig oder unwichtig ist. Und jeder mag es auch unterschiedlich bewerten, ob das Naturschutzgesetz von einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft beachtet werden muss oder nicht. Fakt ist, dass das Stadtgrün in Leipzig in extrem schnellen Tempo verschwindet und mit ihm auch die Biodiversität und die klimatischen Funktionen von Stadtgrün. Bei dem Grundstück an der Johannisallee ist immerhin eine Fläche von fast 1 ha betroffen. Und ein Blick auf das Luftbild reicht um zu erkennen dass es hier mitnichten nur um ein paar Sträucher geht.
Es muss einfach auch mal ein bißchen größer gebaut werden. Man kann ja diskutieren, ob man die Wohnscheiben wie im Musikviertel oder der Straße des 17. Oktober gut findet, aber sie liefern zentrumsnahen Wohnraum in guter Qualität. So genannte Stadtvillen mit einer Wohnung pro Etage sind das andere Ende der Fahnenstange, was in Richtung Platznutzung und verschiedenen anderen Aspekten wie Energieverbrauch auch bloß “nicht so schön” ist. Die LWB ist da schon die richtige Partnerin für solche Flächen. Und es kann jeder einfach mal auf der LWB-Seite schauen, wie viele Angebote aktuell kommen, wenn man lediglich die Anzahl der Räume auf 3 oder 4 einstellt und sonst nichts eingrenzt. Da wird es Mau. Insofern verstehe ich die Erfolgsmeldungen über den Erhalt von einer Hand voll Sträuchern auch nicht, ehrlich gesagt. Entweder wird ein kompletter Fleck mal als Wildwuchs mit hohem Wert für die stadtnahe Natur gelassen, oder ich entscheide mich dort zu bauen.
Nur woher Wohnraum nehmen, wenn nicht stehlen?
Da wird dort schon ein Parkplatz umgewandelt und trotzdem gibt es nur gejammere.
Demnächst werden dann wieder Abstimmungen auf dem Markt gehalten, darf dieser Strauch weiterleben, oder diese Familie?
Es gibt nunmal zu wenig Wohnraum
@fra: Das mag sein, das die LWB nicht zu den größten Investoren (“die auf der Matte stehen”) gehören. Allerdings ist hier die Verbandelung mit Politik und Verwaltung besonders stark. So ist hier der Baubürgermeister Aufsichtsratvorsitzender… Und die LWB schert sich besonders wenig um das Naturschutzrecht (hier gibt es viele Beispiele)… und bekommt natürlich besonders viel Rückendeckung von Politik und Verwaltung, Oh Wunder!
Die Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft mbH (LWB) als “die Investoren auf der Matte stehen” zu bezeichnen ist doch wohl etwas übertrieben. Die LWB ist eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft, deren Aufgabe es ist die aktuelle Wohnungsnot in Leipzig zu lindern.