Da staunte selbst Beate Ehms, die Vorsitzende des Petitionsausschusses des Leipziger Stadtrats: 10.668 Leipzigerinnen und Leipziger hatten die Petition von Jonas Nagel online mitgezeichnet, die eine deutliche Veränderung im Bebauungsplan 428 fordert. Den Vorentwurf dazu hat die Stadtspitze 2018 zur Kenntnis genommen. Aber der berücksichtigte nicht ansatzweise die drängenden Themen des Klimanotstands, den der Stadtrat 2019 dann ausrief.
Und das wurde gerade in der Diskussion um den westlichen Teil dieses Bebauungsplans immer deutlicher, der direkt an den Bürgerbahnhof Plagwitz grenzt. Das ganze Gebiet ist stark versiegelt, gilt in der Stadtklimaanalyse als absoluter Hitzehotspot mit möglichen Temperaturspitzen über 40 Grad Celsius. Und gleichzeitig grenzt es hier an eine der wichtigsten Leipziger Kaltluftschneisen, mit denen das Stadtinnere an heißen Tagen noch mit kühler Luft versorgt wird.
Das heißt: Genau das müsste im Bebauungsplan auch verankert werden. Auch wenn es vielleicht einigen Investoren nicht passt, die dieses einstige Gewerbegebiet der Stadt gern dicht mit Wohn- und Bürogebäuden bebauen würden.
Weshalb Jonas Nagel dann im Juli 2023 seine Petition online stellte. Und dann unterzeichneten erstmals in der Geschichte der Leipziger Online-Petitionen über 10.000 Menschen den dringenden Wunsch, diesen Teil von Plagwitz endlich einmal anders zu beplanen, als das in bisherigen Bebauungsplänen stets der Fall war.
Ein kleiner Kompromissvorschlag
Und so ein bisschen wollte Leipzigs Verwaltung dem auch folgen, wie sie in ihrer Stellungnahme zur Petition erläuterte.
Sie schlug eine Ergänzung der üblichen Planungsziele vor: „Soweit gutachterlich nachgewiesen wird, dass die Flächen im Kaltluftprozessraum die Funktionen der primären Leitbahn, des flächenhaften Kaltluftabflusses oder eines Entstehungsgebietes übernehmen, soll die Schaffung frei zugänglicher öffentlicher Freiraum- und Erholungsangebote im Kontext zur angestrebten, vorwiegend gewerblichen baulichen Entwicklung der Flächen geprüft werden.“
Der Petitionsausschuss folgte diesem Verwaltungsvorschlag mehrheitlich. Doch in ihrer kurzen Rede als Vorsitzende des Petitionsausschusses ließ Beate Ehms schon durchblicken, dass sie dem Vorschlag in der Ratsversammlung am 24. Januar nicht unbedingt Chancen ein räumte.
Denn auch wenn der Petitionsausschuss extra noch um eine Stellungnahme des zuständigen Stadtbezirksbeirats Südwest gebeten hatte, entsprach die Übernahme des Verwaltungsvorschlags nicht wirklich dem Ansinnen der Plagwitzer, die sich hier dringend für den Erhalt von Grün- und Frischluftschneisen einsetzten. Da war nicht von irgendeinem Gutachten die Rede.
SBB Südwest wird deutlich
Weshalb der SBB Südwest dann einen eigenen Änderungsvorschlag schrieb, der das Anliegen der Petition wesentlich deutlicher aufnahm. Für den Stadtbezirksbeirat brachte am 24. Januar Quentin Kügler das Anliegen ein, wies extra noch einmal auf die Stadtklimaanalyse hin, die im Grunde den städtischen Vorschlag, extra ein neues Gutachten aufzulegen, ad absurdum führte. Entweder berücksichtigt die Stadt ihre eigenen Analysen zum Stadtklima und nimmt sie auch bei Bauplanungen ernst – oder sie führt die eigenen Planungen aus Bürgersicht ad absurdum.
Und auch Linke-Stadtrat Mathias Weber wies in seiner kurzen Rede darauf hin, dass die Stadtplaner genau das endlich berücksichtigen müssen und Bauplanungen in Leipzig künftig anders ablaufen müssen, nicht immer nur im Interesse möglicher Investoren, die sich in Leipzig immer wieder die besten Baugrundstücke sichern. Haben sie die erst einmal, ist der Weg, bei Leipziger Ämtern alle Genehmigungen zum Bauen zu bekommen, meist sehr kurz.
Während die Bürger mit ihren Wünschen nach einer grünen und hitzeresilienten Stadt immer wieder unter die Räder kommen. So wie des Jonas Nagel in seiner Petition zu Ausdruck gebracht hatte: „Um dem Klimanotstand in der Stadt Leipzig wirksam zu bekämpfen, werden auf Grundlage der Sofortmaßnahmen gegen den Klimanotstand (VI-A-07961-DS10, beschlossen am 15. Juli 2020) und der Stadtklimaanalyse der Stadt Leipzig zusätzliche Bebauungen im Rahmen des Bebauungsplanes Nr. 428 westlich der Gießerstraße künftig untersagt.
Der Bebauungsplan Nr. 428 sowie der entsprechende Flächennutzungsplan werden diesbezüglich geändert und angepasst. Die im Plangebiet vorhandenen Grünstrukturen sind als wichtiges Element des Leipziger Biotopverbunds dauerhaft zu sichern und zu entwickeln.“
Klimaanpassung sollte Grundlage aller Planungen sein
Und deshalb hatte de SBB Südwest das Anliegen ganz sauber aufgegliedert formuliert: „Der Aufstellungsbeschluss zum B-Plan Nr. 428 ‚Gewerbegebiet Plagwitz Süd/Markranstädter Straße‘ (VI-DS-05257) wird um folgendes Ziel ergänzt:
Interessenausgleich zwischen den Eigentümerbelangen, den Nutzerbelangen und den Belangen des Lokalklimas (Anpassung an den Klimawandel)
Im Planverfahren soll geprüft werden, wie unter Berücksichtigung der bestehenden stadtökologischen und stadtklimatischen Bedingungen die städtebauliche Entwicklung durch das Maß der baulichen Dichte, der Stellung und Höhe baulicher Anlagen sowie durch Klimaanpassungsmaßnahmen so gesteuert werden kann, dass für die angrenzenden Stadtquartiere positive Auswirkungen zu erwarten sind. In Abhängigkeit davon soll – im Interesse des sachgerechten Ausgleichs zwischen den Eigentümerbelangen, Nutzerbelangen und den Belangen des Lokalklimas – weiter geprüft werden, inwieweit für welche (Teil-)Flächen des Plangebietes
- die Freihaltung von baulicher Nutzung und stattdessen die Schaffung frei zugänglicher öffentlicher Grünflächen (Freiraum- und Erholungsflächen),
- die Freihaltung von baulicher Nutzung und stattdessen die Begrünung auf privaten Baugrundstücken,
- die angestrebte, vorwiegend gewerbliche bauliche Entwicklung auf privaten Baugrundstücken oder
- die dauerhafte Sicherung vorhandener, im Einklang mit bestehenden Biotopstrukturen ausgeübter Nutzungen sachgerecht ist.“
Dass es den Interessenausgleich mit den Grundstückseigentümern braucht, war auch Kügler klar. Doch die Erfahrungen der jüngsten Zeit zeigten eben auch, dass dabei immer wieder die Nutzer und Bewohner ignoriert wurden, weil die Stadt nur mit den Eigentümern verhandelte. Und die Klimaanpassung der Stadt fand erst recht keine Berücksichtigung.
Und so sahen es am 24. Januar auch die meisten Ratsmitglieder – und erstaunlicherweise auch OBM Burkhard Jung, der genauso wie 39 weitere Ratsmitglieder für den Änderungsantrag aus dem SBB Südwest stimmte. Nur die konservative und populistische Minderheit im Stadtrat stimmte mit 19 Stimmen dagegen.
Das darf man durchaus den Erfolg einer Petition nennen, in der über 10.000 Leipziger/-innen deutlich gemacht haben, dass der Klimanotstand auch für die Bebauungspläne gilt. Und zwar nicht erst in Zukunft, sondern heute schon.
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