Aus großer Betroffenheit schrieb das Leipziger Jugendparlament im März 2022, kurz nach Kriegsbeginn, einen Antrag für die Leipziger Ratsversammlung, die Kiewer Straße in Grünau in die ukrainische Schreibweise Kyiver Straße zu ändern. Doch Leipzigs Verwaltung wollte diesem Anliegen nicht folgen, obwohl die Schreibweise Kiew auf der russischen beruht. Ganz amtlich war die Stadt für dieses Zeichen der Solidarität mit der Ukraine nicht zu haben.

Auch nicht für einen ausführlichen Kompromissvorschlag des Jugendparlaments. Von einem „langen Hin und Her mit der Verwaltung“ sprach am 14. Dezember in der Ratsversammlung Oskar Teufert, der das Anliegen des Jugendparlaments noch einmal einbrachte – schon sichtlich entmutigt, nicht nur in Hinblick auf die fehlende Unterstützung für dieses aus seiner Sicht selbstverständliche Anliegen.

Denn die ukrainische Regierung bittet die westlichen Länder seit fünf Jahren darum, bei ukrainischen Orten auch die ukrainischen Schreibweisen zu benutzen. Was in Italien, Frankreich und den englischsprachigen Ländern kein Problem gewesen sei, so Teufert. Nur in Deutschland scheinen sich dagegen alle amtlichen Verantwortungsträger zu sträuben. Auch das Leipziger Fachamt Allgemeine Verwaltung, das in seiner Ablehnung auf das Länderverzeichnis des Auswärtigen Amtes verweist.

„Die Stadt Leipzig orientiert sich in der Schreibweise ausländischer Orts- und Landesnamen am aktuellen Länderverzeichnis des Auswärtigen Amtes für den amtlichen Gebrauch in der Bundesrepublik Deutschland (Dokumentenversion vom 12.06.2023; Prüfdatum 13.09.2023). Hier wird der Name der Hauptstadt der Ukraine in der Schreibweise ‚Kiew‘ festgelegt. Auf dieser Grundlage wird ebenso der Beschlusspunkt 2 – der ex ante eine Festlegung für zukünftige Benennungen impliziert – abgelehnt.“

Das Länderverzeichnis ist „für den amtlichen Gebrauch in der Bundesrepublik Deutschland“ vorgesehen und wurde in dieser Form am 6. Dezember zuletzt erneuert. Da spricht von amtlicher Unbeweglichkeit, aber nicht von Mitgefühl.

Das ist keine lapidare Kleinigkeit

Dabei hatte das Jugendparlament sehr emotional für seinen Antrag geworben. „Seit dem Jahr 2018 fordert das ukrainische Außenministerium, damals mit der Kampagne #KyivnotKiev (vgl. Wulf 2022) eine Abkehr von der seit sowjetischen Zeiten nach außen kommunizierten russischen Schreibweise, hin zum Ukrainischen Kyiv.

Viele Ukrainer und Ukrainerinnen nehmen die russische Ausschreibung nicht nur als lapidare Kleinigkeit wahr, sondern als politisches Statement und Unterstützung der russischen Bemühungen, der Ukraine das Existenzrecht abzusprechen.

Die Benennung der Kiewer Straße in Leipzig wurde im Jahr 1977 (vgl. Stadt Leipzig 2021) als Ausdruck der tiefen Verbundenheit mit der seit 1961 bestehenden Partnerstadt Kyiv (erneuert 1992) beschlossen. Zu diesem Zeitpunkt war Kyiv noch ein Teil der Sowjetunion. Die Sowjetunion unterdrückte alle nationalen Bestrebungen der Sowjetrepubliken und förderte die kulturelle, linguistische und politische Dominanz der russischen Sowjetrepublik, deshalb musste sich die Ukraine nach dem Zusammenbruch des Ostblockes ihre Identität in diesen Gebieten zurückerobern. (vgl. Heller 2020).

Aus diesen Gründen ist eine Änderung der Praxis überfällig und würde dem Wunsch unserer ukrainischen Verbündeten entsprechen.“

Und berechtigterweise betonte Teufert am 14. Dezember, dass Sprache Denken formt.

Aber nicht einmal zu einer Übergangsfrist, in der Straßenschilder in beiden Schreibweisen angebracht werden, fand sich die Verwaltung bereit.

Eine Tafel soll’s richten

Nach all dem Gezerre gab das Jugendparlament an dieser Stelle auf. Oskar Teufert stellte den Verwaltungsstandpunkt zur Abstimmung. „Besser als nichts“, sagte er.

Aber dieses „besser als“ ist nicht mehr als eine Erläuterungstafel. Das mittlerweile gewohnte Alibi der Stadt, wenn sie Diskussionen mit der Bürgerschaft von vornherein vermeiden will.

Wobei es in der Kiewer Straße nicht einmal um mögliche Anwohner geht, die dann jede Menge Aufwand mit amtlichen Umtragungen hätten.

„Unabhängig von der sachlichen Einordnung zu den Beschlusspunkten 1 und 2 wären von einer Umbenennung mindestens 15 Gewerbetreibende und eine Außenstelle der Stadt Leipzig betroffen. Eine Umbenennung geht immer mit einem Aufwand für die betroffenen Anliegerinnen und Anlieger einher, der nicht grundsätzlich durch einzelne Maßnahmen reduzierbar ist“, so die Verwaltung. Die 15 Gewerbetreibenden hätte man zumindest einmal fragen können.

Aber für die Stadt stand die Ablehnung schon lange fest. Und so schlug sie vor: „Die Stadt Leipzig schlägt die Anbringung von Erläuterungstafeln als probates Mittel vor. Dies erlaubt eine entsprechende Einordnung der Sachlage der Ukrainischen Emanzipationsbestrebungen vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs bei gleichzeitiger Beibehaltung der offiziellen Schreibweise gemäß Auswärtigem Amt.“

Anders als in der Turmgutstraße in Gohlis gibt es also in der Kiewer Straße keine Umbenennung – die eigentlich nur der Wechsel der Schreibweise wäre. Mit acht Gegenstimmen stimmte der Stadtrat am 14. Dezember dem Verwaltungsstandpunkt zu.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Es gibt 8 Kommentare

@Rudi Ich bitte um Nachsicht für meinen unklaren Satzbau. Monaco ist auch die italienische Bezeichnung für München (die habe ich gemeint) und in der „nördlichsten italienischen Großstadt“ ist man durchaus stolz darauf und würde nicht daran denken, die südlichen Nachbarn mit der korrekten Aussprache von deutschen Umlauten und des „ch“ zu traktieren. Notorische selbsternannte Sprachregulierer können sich gerne ein Beispiel daran nehmen.
In Sachen Revanchismus stimme ich Ihnen zu! Wohin beleidigte imperiale Großmannssucht führen kann bekommen wir leider brutal (und teuer) vorgeführt. Da könnte ein kleines, aber symbolträchtiges Zeichen angebracht sein. Man sollte die Anwohner einbeziehen, die die Lasten der Umstellung vornehmlich zu tragen hätten.

@Rudi Bauer
Belgien hat 3 Amtssprachen, darunter deutsch. Die Bezeichnung Brüssel ist somit auch völlig korrekt.
Monaco heißt auch im Französischen und Italienischem Monaco.
Der Verdacht des Revanchismus war nicht nur damals vollkommen gerechtfertigt.
Wenigstens gibt die DB die Orte in der jeweiligen Landessprache an. So schwer sind die polnischen und italienischen Orte nun auch wieder nicht – zumal jedes 4. Eiscafé in Dtl. Venezia heißt.

Naja, so eine Umbenennung erinnert unangenehm an die krampfhaften Bemühungen der DDR-Administration, die Benennung osteuropäischer Städte statt mit hergebrachten Bezeichnungen mit für deutsche Zungen schwierigen slawischen Originalnamen durchzusetzen. Das gipfelte in absurden Amtshandlungen, wenn z.B. DDR-Grenzer einen Shell-Straßenatlas beanstandeten und unter Revanchismusverdacht stellten, weil darin Breslau und Warschau eingezeichnet waren, derweil der einreisewillige Westdeutsche sich das Lachen nur mit Mühe verkneifen konnte.
Kiew und Lemberg sind genauso in Ordnung wie Brüssel, Prag, Mailand, Venedig, Nizza, Lissabon, Monaco bzw. Munich (München), Nuremberg (Nürnberg) und Cologne (Köln).

Die Verwaltung denkt schon an die Zukunft, wenn Wladimir seine Panzer über unsere Straßen rollen wissen sie wenigstens wo sie…

Die Verwaltung orientiert sich an der zuständigen Behörde und stellt sich damit quer?
Dabei geht es doch viel einfacher: z.B. die Russenstraße solidarisch in Angriffsrussenstraße oder die Göring-Straße in Propaganda Allee umbenennen. Die Anwohner und alle Ukrainer (Verbündete?) sind sicher von Leipziger demokratischen Initiativen begeistert. Auf, bis zur letzten Straße.

“Viele Ukrainer und Ukrainerinnen nehmen die russische Ausschreibung nicht nur als lapidare Kleinigkeit wahr, sondern als politisches Statement und Unterstützung der russischen Bemühungen, der Ukraine das Existenzrecht abzusprechen.”
Joar, dann ist es an dieser Stelle eben mal wieder nötig, an der Wahrnehmung zu arbeiten. Wenn unser Staat finanzielle und monetäre Hilfen in Größenordnungen schickt, wenn er dafür Kritik und breite Debatte mit der Bevölkerung in Kauf nimmt, wenn schnell unbürokratische Unterstützung für ukrainische Flüchtlinge möglich gemacht wird, wenn Firmen und Privatleute bis heute Hilfen, Geschenke und Transporte organisieren, dann spricht das nicht nur mit kleinen Gesten für die Unterstützung an der Seite der Ukraine, sondern mit großen Taten. Niemand in der Ukraine kann sich für eine umbenannte Straße in Leipzig etwas kaufen.
Wenn es jetzt wieder Engagierte gibt, die übergriffig Änderungen in unserem Sprachgebrauch verlangen, weil alles andere gegen die Interessen der Ukraine wäre, ist das natürlich genau so zurück zu weisen, wie damals schon die Idee von dieser Aktivistin, die hier ihre große Bühne mit mehreren Interviews bekam, nach deren Wunsch man nicht mehr “die” Ukraine sagen dürfte, weil das Pronomen gegen die Eigenständigkeit des Staates sprechen würde.
Lächerlich und einfach wegzudiskutieren.
Die Schildlösung ist gut, da erfährt man sogar noch etwas.

Da könnte man auch gleich die Umbenennung der Brnoer Straße in Brünner Straße rückgängig machen, desgleichen Krakower Straße (statt Krakauer), Wroclawer Straße (statt Breslauer), Prahaer Straße (statt Prager), etc. pp. …
Das sind übrigens i. w. S. Relikte des *deutschen* Bestrebens nach der Germanisierung der “Ostgebiete”, die man ebenso wenig akzeptieren kann…

Schreiben Sie einen Kommentar