Exemplarisch demonstrierte ein Investor am Ufer der WeiรŸen Elster in den letzten Tagen, warum alle Erklรคrungen der Stadt Leipzig zu Baum- und Naturschutz ins Leere laufen. Da werden schon mal Bรคume ohne Genehmigung gefรคllt, werden โ€žTatsachen geschaffenโ€œ und nicht mal das Einschreiten der Polizei verhindert, dass in einer Hauruckaktion jeglicher Baumbewuchs auf dem Ufergrundstรผck beseitigt wird. Am 5. Dezember wurden dann auch noch ein Baum gefรคllt, der sichtlich auf dem Nachbargrundstรผck stand.

Schon zuvor hatte der BUND Leipzig in mehreren Anfragen an die Stadt die Vorgeschichte dieses Bauvorhabens โ€žWohnpalais HolbeinstraรŸe 6aโ€œ erfragt. Und dabei wurde im September 2022 der Bauantrag nicht nur relativ schnell vom Leipziger Bauordnungsamt genehmigt.

Man hatte sich ganz augenscheinlich auch vom Amt fรผr Umweltschutz, der Unteren Wasserbehรถrde in Leipzig, auf dem kurzen Dienstweg die Befreiung von den Verbotstatbestรคnden des Sรคchsischen Wassergesetzes besorgt.

Das klang dann im Amtsdeutsch aus der Verwaltung so: โ€žIn dem Bescheid zur wasserrechtlichen Erlaubnis wurden keine Nebenbestimmungen getroffen. Durch die Stadt Leipzig als Untere Wasserbehรถrde wurde eine Befreiung von dem Verbot der Errichtung baulicher Anlagen (Gebรคudeteil mit wasserseitig auskragenden Balkonen) im Gewรคsserrandstreifen der WeiรŸen Elster erteilt (gemรครŸ ยง 38 (5) WHG i. V. m. 24 (3) Nr. 2 SรคchsWG). Es wurden keine Nebenbestimmungen im Sinne des ยง 38 (1) WHG getroffen.โ€œ

Genau das also, was der BUND Leipzig fรผr vรถllig inakzeptabel hรคlt.

Begrรผndet hatte das Amt fรผr Bauordnung und Denkmalpflege diese Befreiung von einem Verbot mit einer โ€žunbilligen Hรคrteโ€œ gegenรผber dem Investor, die man vermeiden wollte: โ€žDie zustรคndige Behรถrde kann von einem Verbot nach Absatz 4 Satz 2 eine widerrufliche Befreiung erteilen, wenn รผberwiegende Grรผnde des Wohls der Allgemeinheit die MaรŸnahme erfordern oder das Verbot im Einzelfall zu einer unbilligen Hรคrte fรผhrt.

Die Befreiung kann aus Grรผnden des Wohls der Allgemeinheit auch nachtrรคglich mit Nebenbestimmungen versehen werden, insbesondere um zu gewรคhrleisten, dass der Gewรคsserrandstreifen die in Absatz 1 genannten Funktionen erfรผllt. Fรผr die Erteilung der Befreiung gilt ยง 11a Absatz 4 und 5 entsprechend, wenn die Befreiung fรผr ein Vorhaben zur Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Quellen erforderlich ist.โ€œ

Ein gefรคllter Baumbestand am Ufer der WeiรŸen Elster. Foto: BUND Leipzig
Gefรคllter Baumbestand am Ufer der WeiรŸen Elster. Foto: BUND Leipzig

Ein Hintertรผrchen fรผr lauter Ausnahmegenehmigungen

Eine Begrรผndung, die jetzt โ€“ nachdem schon die Grรผnen angekรผndigt hatten, den Vorgang in der Ratsversammlung zur Sprache zu bringen โ€“ die Linksfraktion thematisiert. Denn was nutzen alle Beschlรผsse des Stadtrates zum Naturschutz, wenn die verantwortlichen ร„mter darauf pfeifen und ein schwammiges Hintertรผrchen nutzen, um Baugenehmigungen fรผr Projekte zu erteilen, die nach geltenden Gesetzen eigentlich nicht erteilt werden dรผrften?

โ€žDas Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) hat die Aufgabe, unsere natรผrliche Lebensgrundlage zu schรผtzen. Um Naturschutz mit anderen Belangen, wie Bautรคtigkeit und Verkehrssicherung in Einklang zu bringen, ist das BNatSchG nicht absolut.

Es gibt zahlreiche Mรถglichkeiten fรผr Ausnahmen und Befreiungen. Zum Beispiel, wenn die Versagung einer Ausnahmegenehmigung eine unzumutbare finanzielle Belastung fรผr einen Bauherren darstellen wรผrde. Diese Unzumutbarkeit muss nicht einmal nachgewiesen werdenโ€œ, kommentiert die Linksfraktion die Grauzone, in der eben auch in Leipzig Baugenehmigungen ausgereicht werden, die eigentlich nicht erteilt werden dรผrften.

Und: โ€žNaturschรผtzerinnen und Naturschรผtzer kritisieren diese Ausnahme- und Befreiungsmรถglichkeiten als zu weitreichend. Wer eine Ausnahmegenehmigung oder Befreiung braucht, bekommt sie in der Regel auch. Der Schutz unserer natรผrlichen Lebensgrundlagen wird dem Profitinteresse und dem Recht auf Eigentum untergeordnet.โ€œ

Verwaltung hat keine รœbersicht

Die Linksfraktion hatte deshalb im Stadtrat schon nachgefragt, wie viele Ausnahmegenehmigungen beantragt und mit welcher Begrรผndung sie erteilt wurden. Die Antwort aber war ernรผchternd: Die Stadt Leipzig fรผhrt darรผber keine Statistik.

Das heiรŸt: Wenn die Stadt gegen geltendes Naturschutzrecht Baugenehmigungen erteilt, erfรคhrt die ร–ffentlichkeit davon nur, wenn Verbรคnde wie der BUND Leipzig hartnรคckig nachfragen und Anwohner Alarm schlagen.

Fรผr Michael Neuhaus, Sprecher fรผr Umwelt der Fraktion Die Linke im Leipziger Stadtrat, ist das ein Unding. So sei der Aushebelung aller naturschutzrechtlichen Bestimmungen Tรผr und Tor geรถffnet. Hier gehรถrt jetzt Transparenz in die Verwaltungsarbeit. Solche Fรคlle gehรถren dokumentiert.

โ€žMit einem Antrag fordern wir die Einfรผhrung eines digitalen/computergestรผtzten, integrierten Fachverfahrens fรผr die Bearbeitung von naturschutzrechtlichen Belangen, wie die Befreiung und Ausnahme von Verbotstatbestรคnden, nach dem Bundesnaturschutzgesetzโ€œ, schildert Neuhaus das Anliegen seiner Fraktion.

โ€žDiese Fachsoftware soll auรŸerdem durch Digitalisierung eine vereinfachte Bearbeitung von Antrรคgen und Bescheiderstellung ermรถglichen. Das wรผrde personelle Kapazitรคten fรผr andere Aufgaben, wie die Kontrolle von naturschutzfachlichen Auflagen, sowie mehr Transparenz รผber das AusmaรŸ von Abholzungen schaffen.โ€œ

Denn natรผrlich betrifft das auch dutzende andere Bauvorhaben in Leipzig, bei denen oft schon weit im Vorfeld mit radikalen Abholzungen wertvolle Baumbestรคnde vernichtet werden.

โ€žWir werden nicht weiter hinnehmen, dass eine moderne Stadt wie Leipzig nicht in der Lage ist, nachzuvollziehen, mit welcher Begrรผndung und in welchem Umfang beispielsweise die Zerstรถrung von Habitaten fรผr den Bau von Luxuswohnungen zerstรถrt werdenโ€œ, erklรคrt Neuhaus. โ€žUnsere Fraktion hofft auf die Zustimmung zum Antrag in der Ratsversammlung am 13. Dezember.โ€œ

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Es gibt 3 Kommentare

Mich wundert, welche Wellen diese Aktion gemacht hat! @robin hat umweltpolitisch schwerwiegendere Entscheidungen / Fehlentscheidungen aufgezeigt. Dieses Flurstรผck mit 380mยฒ ist sicher geteilt und bei einer Bebauung haben die Bewohner im bereits bestehenden Haus keine freie Sicht mehr auf die Elster. Fรผr diese Problematik hat Kassel eine beispielgebende Lรถsung. https://www.hessenschau.de/tv-sendung/weitergedreht-urbane-wald-gaerten-in-hessen,video-183230.html

So arbeitet leider die untere Naturschutzbehรถrde zumeist: Entweder glaubt sie den vorgelegten Gefรคlligkeitsgutachten und das Naturschutzrecht ist gar nicht betroffen (die Bรคume sind รถkologisch nicht von Bedeutung, die Vรถgel kรถnnen ausweichen uswโ€ฆ.)oder es wird halt auf Anweisung der Amtsspitzen eine Ausnahme oder Befreiung erteilt. Denn alle Belange gelten als wichtiger als der Naturschutzโ€ฆ
Ein wenig drollig ist nur, dass auf das Thema HolbeinstraรŸe nach den Grรผnen jetzt auch die Linken aufspringen. Das liegt sicherlich auch mit daran, dass der Stadtrat in diesem Fall die Fรคllungen nicht legitimieren musste. Auf dem Leuschnerplatz, Eutritzscher Verladebahnhof und bei vielen anderen B-Plรคnen hatten weder Grรผne noch Linke irgendwelche Skrupel, wenn groรŸflรคchig Stadtgrรผn beseitigt werden muss(te). Ich erinnere mich noch gut an den Auftritt des umweltpolitischen Sprechers der Linken bei der Stadtratssitzung zum Leuschnerplatz, wo er eine deutliche Rede fรผr die vollstรคndige Baumentfernung hielt; bis auf einem sei kein Baum geschรผtzt nach dem Naturschutzrecht, das war leider auch aus rechtlicher Sicht vรถllig falschโ€ฆ Aber wen interessiert schon Fachexpertise? Und ich erinner mich noch an eine Rede von ihm, wo er den Forstwirtschaftsplan 2018/2019 lobpries, homรถopathische Behandlung sei nichts fรผr den Auwald, immer krรคftig rein mit Kettensรคge, Harvester & Co. โ€ฆ
Also die Kritik ist natรผrlich berechtigt, aber diese รœberdosis Heuchelei jetzt auch der Linken ist doch ziemlich schwer ertrรคglich.

Es ist desastrรถs, aber nicht mehr รผberraschend. Die Stadtverwaltung macht sich ihre eigenen Gesetze und zahlt sich zur Feier des Tages die รผbrigen Euros in der Stadtkasse noch selber aus fรผr ihre grandiose Arbeit.

Perfektes Beispiel dafรผr, wie irgendwelche Bรผrohengste Entscheidungen treffen, von denen sie absolut keine Ahnung haben.

Und vom Bauamt wollen wir garnicht erst reden. Hat man sicherlich gute Chancen, sich den ein oder anderen Euro vom Auftraggeber zusรคtzlich zu verdienen.

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