Die Diskussionen um die neuen Radstreifen auf dem Innenstadtring werden zumindest in nächster Zeit nicht aufhören. Denn sie greifen in Gewohnheiten und Gewohnheitsrechte ein. Jahrzehntelang gehörte der Ring dem motorisierten Verkehr. Radfahrer waren an den Rand verwiesen. Seit der erste grüne Radstreifen im April vorm Hauptbahnhof freigegeben wurde, stellen autoverliebte Fraktionen auch immer wieder neue Anfragen dazu. So wie zur letzten Ratsversammlung die CDU-Fraktion.
Was dann in der Diskussion zur Anfrage alles gesagt und nachgefragt wurde oder ob die Anfrage überhaupt noch dran kam in der Fragestunde des Stadtrats, ist nicht nachvollziehbar. Der Tonausfall legte praktisch die komplette Fragestunde in der Ratsversammlung am 16. November lahm.
Aber das Verkehrs- und Tiefbauamt (VTA) hatte in seiner Antwort zur jüngsten Anfrage der CDU detaillierte Zahlen herausgegeben. In der Anfrage klang – wie schon bei ähnlichen Anfragen zuvor – mit, dass die Radstreifen ja gar nicht mehr Sicherheit bringen würden.
„Die Einrichtung grüner Fahrradstreifen vor dem Bahnhof war nach Aussage von BM Dienberg u.a. aus verkehrsrechtlichen Gründen, zur Vermeidung von Unfällen, nötig“, lautete diese. „Mit Blick auf die anstehende Verlängerung der grünen Fahrradstreifen erfragen wir die Entwicklung des Unfallgeschehens seit 2019 bis heute (sortiert nach Unfällen zwischen den verschiedenen Fortbewegungsarten) in folgenden Abschnitten …“
Weniger Blechschäden vorm Hauptbahnhof
Interessant sind natürlich die Abschnitte, wo es diese verkehrsgrün markierten Radstreifen schon gibt. Und vorm Hauptbahnhof ist die Tendenz schon sichtbar. Wurden zwischen der Brandenburger Straße und der Kurt-Schumacher-Straße 2019 noch 25 Unfälle registriert (davon allein 19 zwischen Kraftfahrzeugen), so waren es 2020 noch 20 Unfälle (16 allein zwischen Kfz), 2021 dann 10 Unfälle (9 zwischen Kfz) und 2022 dann wieder 20 Unfälle (15 zwischen Kfz).
Die hohen Unfallzahlen zwischen den Kraftfahrzeugen haben mit der schlichten Unübersichtlichkeit der damals noch vier Spuren, auf denen mehrfach gewechselt werden musste, zu tun.
Für 2023 legte das Verkehrs- und Tiefbauamt nun erst einmal Zahlen von April bis September vor, also für die ersten Monate mit der neuen Verkehrsraumaufteilung. In diesem Zeitraum gab es nur noch sechs Verkehrsunfälle, davon vier zwischen Kfz. Das heißt: Es ist absehbar, dass sich hier die Verkehrssicherheit insbesondere für Kraftfahrer deutlich verbessert hat.
Dass es nach wie vor auch zu Konflikten mit Radfahrern kommt, hat ganz offensichtlich damit zu tun, dass ein Teil des Radverkehrs nach wie vor über den Fußweg fährt und der grüne Radstreifen noch vor der Kurt-Schumacher-Straße endet. Noch ist das nächste Teilstück des Radstreifens bis zur Gerberstraße nicht freigegeben.
Die Einschätzung des VTA: „Tendenziell ist erkennbar, dass die Markierung des Radfahrstreifens in diesem Abschnitt zu einer deutlichen Senkung der Unfallzahlen beigetragen hat. Eine vollständige Analyse des Unfallgeschehens ist erst nach Ablauf eines Kalenderjahres möglich, erst dann kann auch eine Aussage getroffen werden, ob Unfälle in 2023 im Zusammenhang mit der Markierung des Radfahrstreifens stehen.“
Konflikte am Martin-Luther-Ring nicht gelöst
Die grünen Radwegmarkierungen an Martin-Luther-Ring und Dittrichring erfolgten ja 2022 in zwei Etappen, das erste Stück auf dem Dittrichring ging im Mai 2022 in Betrieb, das nächste Stück auf dem Martin-Luther-Ring im September 2022. Hier freilich sieht auch das VTA noch keine Veränderung in der Unfallhäufigkeit.
Was auch mit der nach wie vor ungeklärten Unfallhäufungsstelle an der Kreuzung Martin-Luther-Ring/Rudolphstraße/Lotterstraße zu tun hat, über die wir an dieser Stelle schon berichtet haben.
„Die Markierung des Radfahrstreifens im Abschnitt zwischen Käthe-Kollwitz- und Harkortstraße erfolgte aufgrund des Gerichtsurteils des BVG. Die Gesamtunfalllage ist nach der Markierung des Radfahrstreifens konstant geblieben“, erklärt das VTA.
Und auch hier ist es so, dass es die meisten Unfälle zwischen Kraftfahrzeugen gibt. 2019, dem ersten von der CDU-Fraktion abgefragten Jahr, kam es im Abschnitt zwischen Gottschedstraße und Harkortstraße zu 40 Verkehrsunfällen, davon allein 28 zwischen Kfz, aber auch 11 zwischen Kfz und Radfahrern. Davon entfielen 15 Unfälle allein auf den Knoten an der Rudolphstraße – davon 10 zwischen Kfz und 5 zwischen Kfz und Radfahrern.
Das Problem hat sich auch durch das Auftragen der verkehrgrünen Radstreifen im Mai 2022 nicht gelöst. Am Knoten Rudolphstraße kam es von Mai bis Dezember 2022 wieder zu 8 Unfällen zwischen Kfz und 5 Unfällen zwischen Kfz und Radfahrern. Und auch 2023 zeigt noch keine Veränderung: Da gab es bis September an diesem Knoten allein 13 Unfälle zwischen Kfz und 2 zwischen Kfz und Radfahrern.
Diese Kreuzung muss also zwingend entschärft und umgebaut werden, um die Konflikte zwischen den Verkehrsteilnehmern zu minimieren.
Hat das VTA geheime Absichten?
Mehrfach hatte die CDU-Fraktion ja die Motivation des Verkehrsdezernats für die Anlage der neuen Radfahrstreifen infrage gestellt. Auch diesmal stellte sie so eine Frage: „Wie wird die geplante Weiterführung des grünen Fahrstreifens, über das einschlägige Gerichtsurteil hinaus, begründet?“
Dass im VTA gewaltig Druck herrscht, die vielen Anfragen auch aus den Ratsfraktionen zeitnah zu beantworten, wird deutlich, wenn das VTA auf diese Frage antwortet: „Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts bezieht sich auf Abschnitte des Promenadenrings mit einer Radwegbenutzungspflicht und auf die ggf. notwendige Aufhebung derselben.“
Tatsächlich handelt es sich hier um das Urteil des Oberverwaltungsgerichts in Bautzen vom September 2018, das die Stadt zum Handeln zwingt.
Das Urteil des OVG zum Leipziger Innenstadtring
Aber es ist nicht nur dieses Urteil, das andere Verkehrslösungen auf dem Promenadenring nötig macht, wie das VTA erläutert: „Unabhängig davon ist es Aufgabe der Stadt und Auftrag u.a. der vom Stadtrat beschlossenen Mobilitätsstrategie, zweckmäßige, zusammenhängende und sichere Radverkehrsanlagen zu schaffen, die der Berücksichtigung der Bedürfnisse des Radverkehrs und seiner Förderung dienen.
Dazu gehört nicht zuletzt die Verbesserung der Bedingungen für den Radverkehr am Promenadenring, der auch für diese Verkehrsart durch seine zentrale Verbindungs- und Verteilungsfunktion eine ganz wesentliche Bedeutung hat.
Das Gerichtsurteil war und ist daher auch Anlass, die Radverkehrsführung auch in den übrigen Abschnitten des Rings zu prüfen und weiter zu verbessern. Auch im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit zum Fußverkehrsentwicklungsplan wurde z.B. vielfach die Konfliktlage zwischen Rad- und Fußverkehr im Abschnitt zwischen Gerberstraße und Löhrstraße aufgrund fehlender Radverkehrsanlagen gemeldet.
Im Ergebnis der planerischen Untersuchungen wurde daher entschieden, zwischen Hauptbahnhof und Löhrstraße durchgängige Radverkehrsanlagen in Form eines Radfahrstreifens anzuordnen. Die Maßnahme dient in diesem Abschnitt neben der Förderung und Erhöhung der Attraktivität des Radverkehrs auch der Behebung der Konfliktlage zwischen Fußgängern und Radverkehr.“
Es gibt 3 Kommentare
Na das ist ja nun wirklich Quatsch als Voraussetzung, um “miteinander klar” zu kommen. Weder war es beim bisherigen Tempo unmöglich, noch ist Tempo 30 der alleinige Heilsbringer und totale Unfallverhinderer.
@fra: das ist doch ein sehr positiver “Nebeneffekt” !!! Innerstädtisch 30 km/h pro Stunde muss eh durchgängig kommen, damit wir alle (Autos, LKW, Busse, Radfahrer, Fußgänger, KINDER !) miteinander klar kommen
Sie vergaßen zu erwähnen das das VTA in einer früheren Meldung mitteilte das sich die Durchschnittsgeschwindigkeit auf den zwei verbleibenden Fahrspuren sich von 49 auf 34 Kilometer pro Stunde verringert hat. Sich die Fahrtdauer für den MIV verlängert hat.