Vollmundig verkündete die Stadtverwaltung Ende Oktober, man wolle nun endlich ein „Naturschutzgroßprojekt zur Revitalisierung des Leipziger Auensystems“ in Angriff nehmen und entsprechende Anträge an die Geldgeber stellen, damit das nördliche Auensystem in den nächsten 13 Jahren für 46 Millionen Euro wieder zu einem naturnahen Gewässersystem wird. Das klang erstaunlich forsch.
Aber der Blick ins Detail zeigt, dass in der Leipziger Umweltverwaltung noch immer die Zögerer und Zauderer das Sagen haben. Als hätte man unendlich viel Zeit, irgendwann einmal zum Ziel zu kommen.
Das wird deutlicher, wenn man in der jetzt vorgelegten Informationsvorlage aus dem Amt für Stadtgrün und Gewässer genauer nachliest, was wirklich in diesen 13 Jahren erreicht werden soll. Und was nicht.
„Die Planungsphase umfasst drei Jahre und soll in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres starten“, teilte Leipzigs Verwaltung im Oktober mit. „Im Anschluss an die Planung wird in den folgenden zehn Jahren ein Teil der im Pflege- und Entwicklungsplan vereinbarten Maßnahmen in festgelegten Gebieten umgesetzt. Die Revitalisierung umfasst das Auensystem der Flüsse Weiße Elster, Luppe, Pleiße und Teile der Parthe, einschließlich des großflächigen Auwaldes.
Diese Auenlandschaft durchzieht das Stadtgebiet von Süden nach Nordwesten und umfasst auch Offenlandbereiche, die überwiegend landwirtschaftlich genutzt werden. Es liegt nahezu vollständig im Hoheitsbereich der Städte Leipzig und Schkeuditz (Landkreis Nordsachsen). Der projektbezogene Planungsraum hat eine Fläche von rund 4.760 Hektar, davon liegen 3.115 Hektar im Stadtgebiet Leipzig.
Die zuwendungsfähigen Gesamtausgaben werden in einer ersten groben Kostenschätzung für die Planungsphase mit rund 2,5 Millionen Euro brutto beziffert. Für die weiteren Planungen und den Bau wird dann mit etwa 46 Mio. Euro brutto gerechnet.“
Das klingt tatsächlich, als wollte man nun wirklich alles zurückbauen, was in den wilden Kanalisierungen vor 90 Jahren gebaut wurde, und dem Auwald wieder großflächig ganz normale Wasserzuflüsse verschaffen. Aber der Blick in die tatsächlich vorgesehene Maßnahmen zeigt: Eigentlich wird es nur ein Projekt „Lebendige Luppe 2.0“. Von Konsequenz kann keine Rede sein.
Ende Stadtgrenze
Das beginnt schon mit der Einengung des betrachteten Plangebietes: „Eine Ausdehnung des Planungsraumes auf die Bergbaufolgelandschaft südlich der Stadtgrenze (Südraum Leipzig) oder eine länderübergreifende Planungskulisse mit dem Land Sachsen-Anhalt wäre durch die naturräumliche Ausstattung naturschutzfachlich sowie wasserwirtschaftlich sinnvoll, würde aber den Rahmen des Projektumfanges überspannen, sodass der Fokus des Antrags auf den Auenbereichen im urbanen Raum liegt.“
Es geht also nur um das Auensystem auf Leipziger und Schkeuditzer Flur.
Immerhin, könnte man sagen, wenn wirklich das Ziel einer kompletten Revitalisierung auf der Tagesordnung stünde.
Steht es aber nicht.
Zur Zielerreichung hält das Amt für Stadtgrün und Gewässer „nach heutigem Kenntnisstand folgende hydrologische Maßnahmen“ für sinnvoll:
Erhöhung der Wasserspiegellagen durch Sohlaufhöhung insbesondere der Neuen Luppe sowie der Nahle durch Sohlanhebungen (ggf. auch temporäre Aufstauung mit Hilfe flexibel steuerbarer Wehre im Sinne einer ggf. schneller umsetzbaren Lösung) als Voraussetzung für die Wiederanbindung der Aue an das Fließgewässersystem
Deichöffnungen bzw. Deichschlitzungen
Gewässer- und Uferprofilierungen (u. a. Teilabsenkung des Vorlandes) zur Förderung unterjähriger Ausuferungen und von Weichholzauenstandorten sowie
Förderung einer naturnahen Entwicklung der Gewässerstrukturen und der Uferzonen (u. a. Gewässerrandstreifen) und Erhöhung der Abflussrauigkeit durch Einbringung von Störelementen (z. B. Totholz)
Wiederherstellung der Durchgängigkeit der Fließgewässer für aquatische Organismen und Geschiebe
Steuerbare Wehre?
Die Sohlanhebung von Nahle und Neuer Luppe steht schon länger auf der Tagesordnung. Es ist bereits ein markanter Fortschritt, dass sie jetzt tatsächlich angegangen werden soll. Dass aber wieder mit temporären technischen Lösungen („steuerbare Wehre“) gearbeitet werden soll, stellt das zentrale Projekt infrage – die Verwandlung der von den Nationalsozialisten als Kanal gebauten Neuen Luppe in einen naturnahen Fluss.
Denn genau das ist das Ziel. So wurde es auch auf dem Forum Leipziger Auwald am 2. November in der Konsumzentrale vorgestellt.
Das schafft man aber nicht mit steuerbaren Wehren, sondern mit einer stabilen Sohlanhebung, naturnahen Mäandern und Ausbreitungsräumen und vor allem einer drastischen Verminderung der Fließgeschwindigkeit, damit der Fluss sich nicht immer tiefer ins Gelände fräst, sondern Sedimente ablagern kann.
Und da steht die nächste Frage im Raum: Was passiert mit dem Elsterbecken, wo die Sedimente der Weißen Elster bis heute stranden? Vom Stadtrat hat die Stadt den Auftrag bekommen, eine Renaturierung des Elsterbeckens zu prüfen. Ein Ergebnis liegt bis heute nicht vor. Und in der Informationsvorlage wird das künstliche Becken nicht einmal erwähnt.
Alles unter Kontrolle behalten?
Auch nicht im „gesamträumlichen Maßnahmenprogramm zum terrestrischen bzw. semiaquatischen Arten- und Biotopmanagement“, zu dem eine ganze Liste von Maßnahmen aufgeführt ist:
Erhaltung und Entwicklung struktur-, alt- und totholzreicher Wälder, wozu unter anderem auf die städtische Konzeption zur forstwirtschaftlichen Pflege und des Totholzkonzepts zur Sicherung der Artenvielfalt und -struktur und staatliche Leitlinien für die Behandlung von Wald-LRT (Lebensraumtyp. d.Red.) zurückgegriffen wird
Ankauf von Flächen bzw. von Tauschflächen (insbesondere für Ackerflächen) bzw. Ausgleichszahlungen für Ertragsausfälle infolge von Überschwemmungen
Grünlandinitialisierung auf bisherigen Ackerflächen (u. a. Flächenvorbereitung, Mahdgutübertragung) und an Zielbiotop angepasstes Mahdregime (ggf. Anschaffung von entsprechender Technik für die Bewirtschafter)
Anlage von Flachmulden und Auengewässern (nach vorheriger Zielarten-Diskussion)
Anlage von Übergangsstrukturen (Säume) an Waldinnen- und Waldaußenmänteln
Begleitende Aktivitäten zur Minimierung von Störwirkungen durch anthropogene Nutzungen ggf. mit einem gesamtstädtischen Ansatz zur Verlagerung bzw. durch einen Teilrückbau (z. B. Schlobachshof)
Fortführung, Optimierung und Ausweitung spezifischer Artenschutzmaßnahmen, z. B. für den Eschen-Scheckenfalter, Rotbauchunke, Wildkatze, Ameisenbläuling
Abgleich der Artenschutzbelange mit den Renaturierungs- und Überflutungszielen, u. a. im Rahmen eines FFH-Konfirmitäts-Checks
Man will die Sache also bis ins Detail in der Hand behalten. Von einem Vertrauen darauf, dass sich die Aue selbst wieder stabilisiert, wenn man ihr nur wieder die natürliche Anschlüsse ans Wasser gibt, ist sichtlich keine Rede. Selbst „Artenvielfalt und -struktur“ will man wieder durch „forstwirtschaftliche Pflege“ sichern.
Doch nicht alles in 13 Jahren?
„Die Gesamtlaufzeit des Projektes wird auf 13 Jahre beantragt, die sich in zwei Phasen differenzieren“, heißt es in der Vorlage. Die beiden Phasen sind:
Planungsphase (Phase I) – Erstellung Pflege- und Entwicklungsplan: Die Planungsphase umfasst 3 Jahre und soll ab Mitte 2024 starten. Hier kann bereits auf umfangreiche Planungen (u. a. Auenentwicklungskonzept sowie Projekt Lebendige Luppe) aufgebaut werden.
Umsetzungsphase (Phase II): Im Anschluss an die Planung wird in den folgenden 10 Jahren ein Teil der im Pflege- und Entwicklungsplan festgesetzten Maßnahmen in festgelegten Fördergebieten innerhalb der Planungskulisse umgesetzt. Aus finanziellen und zeitlichen Gründen können nicht alle Maßnahmen des Pflege- und Entwicklungsplan innerhalb der Laufzeit von Phase II realisiert werden. Diese Einschränkung betrifft u. a. auch das Projekt Lebendige Luppe, weshalb Bauabschnitt 1–3 nur teilweise umgesetzt werden kann und weitere Fördermittel für die Umsetzung eingeworben werden müssen.
Das veranschlagt Geld soll zu 75 Prozent vom Bund kommen und zu 15 Prozent vom Freistaat. 10 Prozent sollen die Städte Leipzig und Schkeuditz beisteuern.
Ob dann die 46 Millionen Euro reichen, ist der Informationsvorlage nicht zu entnehmen, denn welche konkreten Maßnahmen in der nördlichen und welche in der südlichen Aue genau vorgesehen sind, verrät sie nicht. Und dabei zeigt selbst die Vorlage, dass man im Leipziger Gewässeramt weiß, dass man eigentlich gar keine 13 Jahre mehr hat, um endlich um zusteuern.
Da steht zum Beispiel: „Die Situation des Gebietswasserhaushaltes hat sich in den vergangenen Trockenjahren noch weiter drastisch verschärft. Die Durchflussmengen in den Oberflächengewässern waren dauerhaft auf extrem niedrige Verhältnisse abgesunken und die geringen Niederschlagsmengen waren nicht geeignet auch nur annähernd natürliche Lebensraumbedingungen für eine auentypische Fauna und Flora zu gewährleisten.“
Der Auwald müsste also schleunigst wieder Gewässeranschluss bekommen. Nicht erst 2036. Das ist viel zu spät.
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