Wie dirigiert man eine Bürgerbeteiligung und einen städtebaulichen Wettbewerb so, dass am Ende das hässlichste Bauwerk der Stadt erhalten bleibt und der Matthäikirchhof alles Mögliche wird – nur kein neuer Stadtraum mit Aufenthaltsqualität? Wohl genau so, wie es die Stadt mit dem Matthäikirchhof gemacht hat. Am heutigen Donnerstag, dem 19. Oktober, werden im Museum der bildenden Künste zwischen 15 und 20.30 Uhr die städtebaulichen Entwürfe zum Matthäikirchhof vorgestellt.

Und nicht nur die Leipziger Architekten werden enttäuscht sein. Aber das Stadtplanungsamt der Stadt ist sich sicher: „Nach dem Online-Schauplatz im September geht die Bürgerbeteiligung zum Areal in der Leipziger Innenstadt mit der ‚Hofschau‘ in die nächste Runde – die Leipzigerinnen und Leipziger können nun in Präsenz mit den im städtebaulichen Wettbewerb teilnehmenden Planern ins Gespräch kommen und Rückfragen stellen. Auch Baubürgermeister Thomas Dienberg ist vor Ort.“

Bei der sogenannten „Hofschau“ soll ein vielseitiges Programm rund um die – von einer Jury ausgewählten – städtebaulichen Entwürfe präsentiert werden. „Im Zentrum der Veranstaltung stehen der Dialog und die Gelegenheit zum Feedback zwischen Bürgerinnen und Bürgern und den Planungsteams zu deren Entwürfen“, so das Stadtplanungsamt.

Ab 15 Uhr können die Leipzigerinnen und Leipziger das offene Hofschau-Format und ab 18.30Uhr das Podiumsgespräch verfolgen.

Neun städtebauliche Entwürfe sind noch im Rennen um die Entwicklung des Matthäikirchhof-Areals. Die Leipzigerinnen und Leipziger hatten sich vom 10. September bis 1. Oktober rege am angebotenen Online-Schauplatz beteiligt, die Pläne diskutiert und an Umfragen zu einzelnen Entwürfen teilgenommen. Jetzt gibt es mit der „Hofschau“ die Möglichkeit, mit den Architekten und Planern in den direkten Austausch zu treten.

Ein – aus Sicht der Stadt – hochkarätig besetztes Preisgericht hatte Ende August aus 66 anonymen Einsendungen die neun aus seiner Sicht überzeugendsten Entwürfe ausgewählt. Diese werden ab 20. Oktober detaillierter von den Planungsbüros ausgearbeitet und vertieft – die Anregungen der Bürgerinnen und Bürger sowie aus dem Preisgericht fließen mit ein. In der Auswahl ist die Bandbreite der eingesandten Entwürfe abgebildet.

Die Kritik der Architekten

Dass praktisch acht der neun Entwürfe den wie ein Sperrriegel über dem Platz stehenden Stasi-Bau bewahren, hat insbesondere die Bezirksgruppe des BDB – Bund Deutscher Baumeister, Architekten und Ingenieure e. V. – zu massiver Kritik bewegt. Und kein einziger stellt einen Bezug zur ursprünglichen Platzsituation an der Matthäikirche her, wie sie bis zu den Bombenschäden des Zweiten Weltkriegs bestand.

Zu sehen sind die neun von der Jury ausgewählten Entwürfe. Darstellung: Adalbert Haberbeck, BDB
Die neun von der Jury ausgewählten Entwürfe. Darstellung: Adalbert Haberbeck, BDB

„Unter den neun zur weiteren Bearbeitung ausgewählten Arbeiten befinden sich keine Entwürfe zur naheliegenden Rekonstruktion des einstmals winkelförmigen Platzes“, stellt Adalbert Haberbeck, Vorsitzender der BDB-Bezirksgruppe Leipzig, fest.

„Der mit Einschränkungen sehr gute Entwurf von Hinrichsmeyer Architekten aus Stuttgart benutzt die Methode der Reformation, indem er die der Innnenstadt von Leipzig zugrundeliegenden Blockstruktur harmonisch fortschreibt und einen sehr schönen Platz auf dem Alten neu konfiguriert, dabei die alten Wegebeziehungen berücksichtigend.

Der Leitbau des Platzes wird symmetrisch zur Klingertreppe an die Stadtkante geschoben und bekommt so eine solitäre Außenwirkung (wie die Thomaskirche und Universitätskirche), die sonst nur durch Höhe erreichbar ist …“

Von HPP wurde unter der Maßgabe des Erhalts der Stasibauten dann zwar – richtigerweise – nach der Methode der Transformation verfahren.

„Dabei opfert man die urbane – direkte und spontane – Zugänglichkeit des Platzes, der hier im Hinterhof eingesperrt ist“, stellt Haberbeck fest. „Ist man dort über eine Treppenanlage angelangt, kommt man auf eine entgegengesetzte riesige Treppenanlage, die ins Nichts führt und die Klingertreppe, die außen vor bleibt, desavouiert.

Zudem besitzt sie nur einen kleinen Leitbau, der es schwierig haben wird, seine Funktion inhaltlich und raumkünstlerisch zu erfüllen. Diese Variante ist sicherlich baulich die billigste Lösung, aber kulturell die teuerste für die Stadt und ohne Hoffnung auf Besserung dazu. Für die anderen drei Wettbewerbsbeiträge mit weitestgehendem Erhalt der Stasibauten trifft Gleiches bzw. Ähnliches zu.“

Historische Entwicklung der Baublöcke auf dem Matthäikirchhof. Darstellung: Adalbert Haberbeck, BDB
Die historische Entwicklung der Baublöcke auf dem Matthäikirchhof. Darstellung: Adalbert Haberbeck, BDB

Die anderen Beiträge erscheinen aus Sicht der Leipziger Architekten schlichtweg inkonsistent. Als hätten die Schöpfer dieser Entwürfe mit dem historischen Stadtquartier so gar nichts anfangen können. Genau hier erweist sich der vorformulierte Matthäikirchhof-Code geradezu als Denkhindernis.

Aber das kennt man ja aus anderen Leipziger Beteiligungsformaten schon: Der Rahmen wird so eng gezogen und mit so vielen Vorbedingungen festgezurrt, dass am Ende das Wunschergebnis der Verwaltung auf den Tisch kommt. Aber nichts, was an dieser Stelle Hoffnung macht, dass ein Stück Leipziger Innenstadt wieder zu einem Erlebnisraum wird.

Wie geht es weiter?

Anfang des kommenden Jahres entscheidet die Jury darüber, welcher überarbeitete Entwurf umgesetzt werden kann. Der Matthäikirchhof soll künftig ein nutzungsgemischtes, urbanes Quartier werden – mit Bildungs- und Kultureinrichtungen, Flächen für kleinteiliges Gewerbe, Dienstleistungen und einem hohen Wohnanteil, beschreibt das Planungsamt die diversen Ansprüche.

Zudem ist hier ein Archiv für Stasiunterlagen sowie das „Forum für Freiheit und Bürgerrechte /Demokratiecampus“ (Arbeitstitel) geplant.

Alle Informationen zu Beteiligungsformaten gibt es im Internet. Die Entwicklung des Areals wird als Teil des Bundesprogramms „Nationale Projekte des Städtebaus“ gefördert.

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