Leipzig hat keine Untere Wasserbehörde. Jedenfalls keine, für die das Sächsische Wassergesetz irgendeine Bindungskraft entfaltet. Das wird immer wieder deutlich, wenn Bauherren in Leipzig am Ufer von Weißer Elster, Elstermühlgraben oder Alter Luppe bauen wollen – sie bekommen ihre Baugenehmigung auch dann, wenn sie den eigentlich geschützten Gewässerrandsteifen zubauen. Elke Thiess von der BUND Regionalgruppe hat einmal mehr nachgefragt – und bekam eine nichtssagende Antwort.

So wie jüngst auch der Architekt Florian Tuczek, den es wunderte, dass es für das neu errichtete Eckhaus Käthe-Kollwitz-Straße 58c im ehemaligen Garten von Nr. 60 mitsamt dem straßenbegleitenden Riegel mit Dachterrasse bis fast zum Elstermühlgraben überhaupt eine Genehmigung gab. Das Foto hat er von einem Boot auf dem Elstermühlgraben aus aufgenommen und es zeigt nicht nur, wie der Gartenhausriegel mitten in den Wurzelbereich des einzigen dort noch verbliebenen Baumes hineinragt.

Es zeigt auch, dass der Riegel bis auf den Gewässerrandstreifen gebaut und das komplette sonstige Gelände völlig versiegelt wurde und die Uferböschung auch noch wie ein typischer Schottergarten mit Bruchsteinen zugepackt wurde.

Von den ökologischen Funktionen des eigentlich auf fünf Meter Breite frei zu haltenden Gewässerrandstreifens ist nichts erhalten geblieben.

Also reihenweise Gründe, warum dieser Bau so nach den Rahmensetzungen des Sächsischen Wassergesetzes so nicht hätte genehmigt werden würden.

Zu sehen ist die Wasserseite des Neubaus Käthe-Kollwitz-Straße 58c zum Elstermühlgraben. Foto: Florian Tuczek
Die Wasserseite des Neubaus Käthe-Kollwitz-Straße 58c zum Elstermühlgraben. Foto: Florian Tuczek

Dort heißt es eindeutig: „An das Ufer schließt sich abweichend von § 38 Abs. 2 Satz 1 und 2 WHG landwärts ein zehn Meter, innerhalb von im Zusammenhang bebauten Ortsteilen fünf Meter breiter Gewässerrandstreifen an. Die Gewässerrandstreifen sollen vom Eigentümer oder Besitzer standortgerecht im Hinblick auf ihre Funktionen nach § 38 Abs. 1 WHG bewirtschaftet oder gepflegt werden“, so § 24, Satz 2 des Sächsischen Wassergesetzes.

Und wenig später: „§ 38 Abs. 4 WHG ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass im Gewässerrandstreifen weiterhin (…) die Errichtung von baulichen und sonstigen Anlagen, soweit sie nicht standortgebunden oder wasserwirtschaftlich erforderlich sind, und (…) verboten ist.“

Flotte Erlaubnis

Die Fragen von Elke Thiess beschäftigten sich mit dem Neubauvorhaben Wohnpalais Holbeinstraße 6a an der Weißen Elster, bei dem das neue Wohnpalais sogar den Uferrandstreifen komplett in Anspruch nimmt und die Balkone über das Wasser der Weißen Elster hinausragen. Und da interessierten Elke Thiess schon einmal die Daten, wie flott dieser Bauantrag durch die Leipziger Verwaltung lief und ob die Belange des Gewässerschutzes überhaupt geprüft wurden.

Und es ging flott, teilt das Amt für Bauordnung und Denkmalpflege nun auf ihre Nachfrage hin mit: „Der Bauantrag ging mit Eingangsdatum vom 05.05.2022 im Amt für Bauordnung und Denkmalpflege ein. Die Vollständigkeit wurde zum 04.07.2022 bestätigt. Die Baugenehmigung wurde mit Datum vom 22.09.2022 erteilt.“

Und wie ist das mit dem Gewässerschutz? Hat das überhaupt jemand geprüft, wollte Elke Thiess wissen: „Gemäß § 38 (1) WHG dient der Gewässerrandstreifen u. a. der Erhaltung und Verbesserung der ökologischen Funktionen oberirdischer Gewässer. Im Falle einer (widerruflichen) Befreiung von den Verboten des § 38 (4) WHG kann die zuständige Behörde gem. § 38 (5) WHG diese ‚aus Gründen des Wohls der Allgemeinheit auch nachträglich mit Nebenbestimmung-en versehen …, insbesondere um zu gewährleisten, dass der Gewässerrandstreifen die in Absatz 1 genannten Funktionen erfüllt.‘“

Oder hat die „zuständige Behörde die für den Neubau erteilte Befreiung von den Verboten des § 38 (4) WHG“ wenigstens mit Nebenbestimmungen im Sinne des § 38 (5) WHG versehen?

Nein, hat sie nicht.

„In dem Bescheid zur wasserrechtlichen Erlaubnis wurden keine Nebenbestimmungen getroffen“, bestätigt das Amt für Bauordnung und Denkmalpflege. „Durch die Stadt Leipzig als Untere Wasserbehörde wurde eine Befreiung von dem Verbot der Errichtung baulicher Anlagen (Gebäudeteil mit wasserseitig auskragenden Balkonen) im Gewässerrandstreifen der Weißen Elster erteilt (gemäß § 38 (5) WHG i. V. m. 24 (3) Nr. 2 SächsWG). Es wurden keine Nebenbestimmungen im Sinne des § 38 (1) WHG getroffen.“

Unbillige Härte?

WHG ist das Bundesgesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts, auf das sich auch das Sächsische Wassergesetz bezieht. Die Bezugnahme auf § 38, Satz 5 im WHG ist schon seltsam, denn dieser Satz öffnet ganz offensichtlich nicht den Weg zu einer vollständigen Befreiung vom Verbot. Schon gar nicht im Sinn privater Interessen.

Er lautet: „Die zuständige Behörde kann von einem Verbot nach Absatz 4 Satz 2 eine widerrufliche Befreiung erteilen, wenn überwiegende Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Maßnahme erfordern oder das Verbot im Einzelfall zu einer unbilligen Härte führt. Die Befreiung kann aus Gründen des Wohls der Allgemeinheit auch nachträglich mit Nebenbestimmungen versehen werden, insbesondere um zu gewährleisten, dass der Gewässerrandstreifen die in Absatz 1 genannten Funktionen erfüllt. Für die Erteilung der Befreiung gilt § 11a Absatz 4 und 5 entsprechend, wenn die Befreiung für ein Vorhaben zur Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Quellen erforderlich ist.“

Wenn das Versagen einre Baugenehmigung am Flussufer jetzt in Leipzig als „unbillige Härte“ interpretiert wird, dann hat es Leipzigs Verwaltung tatsächlich geschafft, das Wassergesetz völlig zu entkernen und ad absurdum zu führen. Das eigentlich den Funktionserhalt von Gewässerrandstreifen zum Ziel hat. Wenn die Ufer aber zugebaut werden, wird diese Funktion völlig beseitigt.

Und weil das augenscheinlich in Leipzigs Genehmigungsbehörde eifrig überlesen wird, hier noch einmal der Satz zur Funktion der Randstreifen: „Gewässerrandstreifen dienen der Erhaltung und Verbesserung der ökologischen Funktionen oberirdischer Gewässer, der Wasserspeicherung, der Sicherung des Wasserabflusses sowie der Verminderung von Stoffeinträgen aus diffusen Quellen.“

Und zu den ökologischen Funktionen gehören gewässertypische Pflanzen und entsprechende Tier- und Insektenarten, die hier heimisch sind.

Eine Wasserschutzbehörde als Fata Morgana?

Und das Krönchen auf der Mitteilung der Stadt: Man hat nicht einmal einen richtigen Ausgleich für die zur Zerstörung vorgesehenen Biotopfunktionen vorgesehen. Weshalb es inzwischen auch eine Klage gegen die Stadt gibt.

„Für den Standort gibt es in Bezug auf die geplante Fällung von Bäumen und Sträuchern im Gewässerrandstreifen ein laufendes Verfahren“, teilt das Bauordnungsamt mit. „Im Rahmen dieses Verfahrens kann die zuständige Behörde (Amt für Umweltschutz, Abt. Untere Wasserschutzbehörde) Ersatzpflanzungen beauflagen.“

Aber das rettet den jetzt noch naturnahen Gewässerrandstreifen nicht.

Wobei so langsam die Frage ist: Gibt es die Untere Wasserschutzbehörde überhaupt? Oder ist das nur noch ein Büro mit dem Abteilungsnamen dran und drinnen erinnert ein leerer Schreibtisch an die nicht existierenden Mitarbeiter?

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Es gibt 6 Kommentare

Hmmm, ich sehe auf dem Foto von der Flussseite der Eckbebauung Käthe-Kollwitz-Straße 58c direkt an der Marschnerbrücke noch was ganz anderes.
Da sind mehrere Stützmauern, die durch Steinaufschüttungen verstärkt (am Kippen/Rutschen gehindert?) werden.
Der “Schottergarten” im Fluss befindet sich im Flurstück 4932 des Elstermühlgrabens (Stadteigentum?).
Ist halt eine blöde Idee unterirdisch das Grundwasser abzuriegeln (erhöhter horizontaler Druck) und einen Betonklotz drauf zu stellen.
Interessant wäre, ob die Brücke der Marschnerstraße (wer ist da zuständig, Bundesstraße?) ob ihrer Statik angefragt wurde?

Will ja nicht unken 😉
Aber beim nächsten Hochwasser falls das Wehr klemmt, könnte dann die Brücke im Stadthafen landen..

Die Künne Immobilien Gruppe, die im Eckhaus Käthe-Kollwitz-Straße 58c, entworfen im “Stile” einer Oligarchenvilla, residiert und sich baulich bis zum Elstermühlgraben vorgedrängt hat, macht übrigens auf den Internetseiten der Stadt zum Thema “Bauen und Wohnen” https://www.leipzig.de/bauen-und-wohnen Werbung. auch mit dem Eckhaus im Hintergrund. Übrigens hat nur “Bauen und Wohnen” Webung. Die anderen Ressorts haben sie nicht. Angeblich ist für Werbung hier nur die LVZ-nahe Leipzig Medien GmbH in der Verantwortung, der wir den SachsenSonntag als potentiellen Flugmüll vor unseren Haustüren – und gelegentlich auch das Amtsblatt – zu verdanken haben.

Ist dieser Gesetzesbruch einfach nur mit Hass auf Natur und Umwelt zu erklären oder gibt es noch andere Motive dafür, den Wünschen der Bauherren/Investoren so vollumfänglich zu entsprechen…?

Bald ist der gesamte Abschnitt an der Elster dort zugebaut. Ich wünsche den zugezogenen Wessibonzen feuchte Keller und viele Mücken.

interessante Anfrage – a) ob das Zubauen von Gewässerrandstreifen durch Neubauten und bei Grundstücken überhaupt zulässig ist und b) ob sich die Stadt Leipzig sich bei den Grundstücken entlang der Gewässer (auch Flüssläufe) nicht auch das Wegerecht neben den Gewässerrandstreifen einräumen und sichern müsste, damit später einmal Wege an den Gewässern angelegt werden können. Unsere Altvorderen haben oft schon mal soweit vorausgedacht, sonst hätten wir manchen Uferweg an der Elster oder Pleiße nicht.
Übrigends wird auch in Wahren in der Fr-Bosse Str. auf dem Gebiet der ehemaligen Färberei ein Wohngebiet neu errichtet bis an das Ufer der Weiße Elster.

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