Deutschland ist ein Land der Bürokratie. Deswegen wird die meiste Zeit bei der Vorbereitung von Bauprojekten nicht mit der Beschaffung der Gelder und den Architekturentwürfen vertrödelt, sondern mit einem Abarbeiten gesetzlich vorgeschriebener Schritte, die ein Bauprojekt quasi erst mit  Legitimität versehen. Ein Gang nach Canossa ist nichts dagegen. Das erleben die Stadtratsfraktionen auch mit dem Bauprojekt Heiterblick-Süd auf der Kiebitzmark. Auch die Linke versteht das Getrödel nicht mehr.

Für die Gebietsentwicklung „Heiterblick-Süd“ steht der Strategiebeschluss zur Einleitung des Planungsprozesses. Auf dem Gebiet Kiebitzmark sollen demnach dringend benötigte Wohnungen entstehen, 50 Prozent davon mit sozialer Bindung. Aber das mit dem „dringend“ ist mit der deutschen Rahmengesetzgebung schlicht nicht zu machen. Das hatte jüngst erst die SPD-Fraktion erschreckt.

Und nun schaut auch die Linksfraktion erschüttert auf den ewig langen Zeitraum, bis sich hier am östlichen Rand von Paunsdorf überhaupt einmal die Baukräne drehen könnten.

„Unsere Fraktion begrüßt grundsätzlich, dass es auf dem Gebiet nun endlich vorangehen soll und die entsprechenden Schritte zur Planung durch die Verwaltung eingeleitet werden. Warum mit der Erteilung des Baurechts allerdings erst im Jahr 2028 zu rechnen ist, ist uns schleierhaft“, kommentiert Mathias Weber, Sprecher für Wohnen der Fraktion Die Linke im Leipziger Stadtrat die jüngsten Auskünfte des Stadtplanungsamtes.

„Die Flächen gehören größtenteils der Stadt, das Gebiet ist stadttechnisch erschlossen, an das Straßenbahnnetz angebunden und befindet sich in Nähe zur S-Bahn-Station – optimale Voraussetzungen also für die Entstehung des lang geplanten Wohngebietes.“

Zumal entsprechende Beschlüsse dazu bereits vor etlichen Jahren getroffen wurden, betont er noch.

Das Baurecht ist erloschen

„In den 1980ern wurden die Baufelder schon einmal als Wohnkomplex Kiebitzmark mit Baurecht versehen, 2017 stimmte der Stadtrat dem Antrag unserer Fraktion zu, dort vorrangig Flächen mit mehrgeschossigem Wohnungsbau zu entwickeln. Dass es nun noch mehr als vier Jahre dauern soll, bis das Baurecht erteilt wird, ist mehr als unverständlich“, so Weber. „Bezahlbarer Wohnraum – vor allem Wohnungen – werden in unserer Stadt dringend benötigt. Entsprechende Planungs- und Genehmigungsverfahren müssen deshalb beschleunigt werden, um dem aktuellen Bedarf Sorge tragen zu können und Druck aus dem angespannten Wohnungsmarkt zu nehmen.“

Doch in der Stellungnahme des Stadtplanungsamtes zum Linke-Antrag, den Baustandort zu priorisieren, erläutert das Amt auch, welchen bürokratischen Prozess das Projekt erst einmal durchlaufen muss, bevor die Stadt hier überhaupt bauen darf.

„Auch für den im Antrag genannten Bereich besteht ein alter, nicht mehr aktueller Aufstellungsbeschluss aus dem Jahr 1993. Eine Überleitung der ehemaligen Bebauungskonzeption in Bundesrecht ist für das Wohngebiet Paunsdorf nicht erfolgt“, schreibt das Stadtplanungsamt. „Ein rechtskräftiger Bebauungsplan besteht für den angefragten Teil des Areales Kiebitzmark ebenso nicht. Es ist insofern planungsrechtlich dem Außenbereich gem. § 35 BauGB zuzuordnen. Deshalb ist für die beantragte Entwicklung des Areales die Aufstellung eines Bebauungsplanes erforderlich, bei der insbesondere die Belastung mit Verkehrslärm zu klären ist.“

Die Stadt fängt also bei null an und muss jetzt erst einmal das langwierige Verfahren für die Aufstellung eines Bebauungsplanes durchlaufen, bevor sie das Recht geschaffen hat, hier selbst als Bauherr tätig zu werden.

Erst der neue Stadtentwicklungsplan (STEP)

Aber noch erstaunlicher ist die Stellungnahme des Planungsamtes, weil sie dem Linke-Antrag vollmundig zustimmt, aber in Wirklichkeit etwas anderes vorschlägt.

Beantragt hatte die Linksfraktion: „Die bereits in den 1980er Jahren mit Baurecht versehenen Baufelder 3 und 4 im Wohnkomplex Paunsdorf-Kiebitzmark im Ortsteil Heiterblick werden baulich vorrangig mit mehrgeschossigem  Wohnungsbau aufgrund der stadttechnischen und der schienengebundenen ÖPNV-Erschließung weiterentwickelt. Die erforderlichen Ausgleichsmaßnahmen werden in Erweiterung des Grünareals Paunsdorfer Wäldchen auf dem Standort realisiert.“

Also ganz konkret zum Baugebiet Heiterblick-Süd.

Aber das Stadtplanungsaamt schlägt stattdessen einen Umweg vor, wenn es schreibt: „Die Stadtverwaltung bereitet derzeit die Fortschreibung des Stadtentwicklungsplanes Wohnbauflächen vor. Ziel der Fortschreibung wird es sein, vor dem Hintergrund der aktuellen Wohnungsmarktprognose (Stand: Dezember 2016) und aufbauend auf einer Bestandsanalyse – Nachverdichtungspotenziale, Potenziale in rechtskräftigen oder im Verfahren befindlichen B-Plänen (Stand: Dezember 2016) – große zusammenhängende Wohn- und gemischte Bauflächen in der Kulisse des wirksamen FNP zu identifizieren, für die noch kein Planungsrecht besteht und dieser einer Bewertung der Standortvoraussetzungen zu unterziehen. Abschließend sollen die Flächen im gesamtstädtischen Vergleich priorisiert und Instrumente abgeleitet werden, die zur Entwicklung der Gebiete erforderlich sind.“

Also wird nicht einfach Heiterblick-Süd priorisiert, sondern es wird in die neue Prioritätenliste eingeordnet. Und anhand derer soll dann die Ratsversammlung entscheiden, was zuerst gebaut wird.

Es bleibt bei 2028

„Die hier in Rede stehenden Flächen sind Gegenstand des zu bewertenden Flächenpools. Eine abschließende Einschätzung zur Entwicklungspriorität ist derzeit deshalb noch nicht möglich“, schreibt das Stadtplanungsamt. „Nach Abschluss der Fortschreibung des STEP (2018) wird die Stadt damit über eine neue gesamtstädtische Strategie für den Wohnungsneubau in der wachsenden Stadt verfügen. In Abhängigkeit davon und sofern im Ergebnis der Untersuchungen der angefragte sowie weitere Standorte priorisiert werden, wird die Verwaltung den Stadtrat mit Umsetzungsvorlagen zur Projektentwicklung, Erschließung und Bauleitplanung vorlegen.“

Da tröstet zumindest die Vorlage, die das Planungsamt parallel ins Verfahren gegeben hat, in der es heißt: „Für den Bereich ‘Heiterblick-Süd’ wird der Planungsprozess zur Entwicklung eines neuen Wohngebietes mit dem in der Anlage dargestellten erweiterten Planungsumgriff eingeleitet.“

Aber da wird eben auch deutlich betont, wie all diese gesetzlich vorgeschriebenen Schritte jede Menge Zeit brauchen, bis überhaupt einmal Baurecht besteht: „Auf Grundlage des Strategiebeschlusses soll der städtebauliche Wettbewerb als Grundlage für die Gebietsentwicklung vorbereitet werden. Die Durchführung des Wettbewerbes ist für das erste Halbjahr 2024 vorgesehen. Parallel soll mit dem Aufstellungsbeschluss das förmliche Bebauungsplanverfahren eingeleitet werden. Der Planungsprozess, in den verschiedene fachbehördliche Vorgaben und stadtpolitische Bestrebungen einfließen, wird dabei mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Ein Abschluss der Baurechtsschaffung wird aus heutiger Sicht für 2028 avisiert.“

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Es gibt 4 Kommentare

Also mal ehrlich, auch wenn das Gelände gut angebunden ist – so richtig schön ist es dort zwischen den diversen stark befahrenen Straßen aber nicht. Hinter der Remex Halde das EFH Gebiet ist ja wenigstens durch diese ein wenig abgeschirmt.
Wenn ein mehrgeschossiger Wohnungsbau geplant ist, besteht doch – trotz guter Anbindungen – die Gefahr der Ghettoisierung.
Sowas will gut durchdacht sein, und Leipzig hat wie schon erwähnt reichlich große Flächen für Wohnungsbau.

Ich kenne die Ecke seit 25 Jahren vom hindurchfahren mit dem Rad, durch das sehr ungepflegte Paunsdürfer Wäldchen und diesen als Müllhalde missbrauchten Feldweg. Beliebter Truckerparkplatz.

Die LWB hat in Leipzig übrigens noch zahlreich Flächen, wo in den 2000er Jahren Häuser abgerissen wurden. Man könnte zunächst dort eine Wiederbebauung vornehmen – auch wenn das vor allem Grünau betrifft. Allerdings ist der Bedarf an barrierefreien Wohnungen in Grünau auch besonders hoch und das lässt sich dort auch in Neubauten realisieren.

Es hat auch ganz klare Vorteile, wenn es eben nicht knall auf Fall geht.
Zunächst dürfte es die Betroffenen freuen, wenn sie hier noch mitreden können und dann stellt sich mindestens noch die Frage, ob man ein Paunsdorf II oder III ins Nirvana setzen möchte und wie das dann aussehen soll und was es neben Wohnen noch alles können muss.
Völlig unklar ist doch auch noch, wie viel Wohnraum dort entstehen soll. Zwischen 2.000 und 20.000 Menschen könnten da mal leben. Allein diese Bandbreite erfordert einen Diskussionsprozess, den man eben nicht mal schnell übers Knie brechen sollte, denn das Viertel soll auch 100 Jahre Bestand haben – und nicht wie Teile anderer Plattenbausiedlungen nach 20 oder 30 Jahren wieder verschwinden.

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