Die Bilder der Nacht waren eindrücklich. Auf der Ludwigstraße und der Eisenbahnstraße brannten Barrikaden aus Sperrmüll, bis der Asphalt darunter schmolz. Rote Bengalos werden aus den Fenstern der verfallenden Ludwigstraße 96 gezündet. Auf einem Banner steht „Soziales Zentrum statt Kulturmeile – Kultur braucht Raum“. Einige Anwohner*innen versuchen, Barrikaden zu löschen, andere legten noch Brennmaterial nach. Die Polizist*innen sind zu wenige, um etwas auszurichten.
Von der Revolutionsromantik bleibt am Morgen nicht mehr viel übrig. Bagger räumen den geschmolzenen Asphalt weg. Die Polizei meldet, dass das mutmaßlich besetzte Haus leer gewesen sei. Nach Informationen der Polizei wurden durch die Brände eine Hauswand, Straßenbeläge und ein Fahrzeug beschädigt. Die Höhe des Schadens lässt sich noch nicht beziffern.
Die Botschaft sollte sein: Nach der Räumung des „Helium“ holen wir uns den Kiez zurück! Laut einem LZ-Reporter vor Ort hätten die meisten Personen das Geschehen aber am Abend verlassen. Die Polizei nahm Ermittlungen wegen Haus- und Landfriedensbruchs auf, verzeichnet jedoch keine Festnahmen und keinen Verdacht gegen konkrete Personen. Gegen Mitternacht begannen Polizei und Feuerwehr ohne großen Widerstand mit der Löschung und Räumung der Barrikaden.
Wie kam das zustande?
Als Reaktion auf die Räumung des besetzten „Helium“ in der Hermann-Liebmann-Straße 108 am Montag, war zum „massenhaften Cornern“ rund um den Torgauer Platz an der Eisenbahnstraße aufgerufen worden. Gegen 20 Uhr waren ungefähr 400 Menschen vor Ort und es entwickelte sich eine Spontandemonstration in die Ludwigstraße. Dort drangen Menschen in das Gebäude Nummer 96 ein und zündeten die Bengalos.
Kurz darauf wurde ein Statement veröffentlicht, in dem es hieß: „Wir lassen uns nicht einfach räumen und auch nicht einfach abschütteln. Deshalb haben wir aus Solidarität und als Druckmittel dieses neue Haus besetzt und werden auch weiterhin den Druck erhöhen bis uns zugehört wird. Wir werden uns die Infrastruktur die unsere Nachbarschaft braucht gemeinsam erkämpfen!“
In der Folge wurden mehrere Barrikaden auf der Eisenbahnstraße und der Ludwigstraße angezündet. Teils versuchten Anwohner*innen, diese zu löschen. Ein LZ-Reporter vor Ort berichtete, dass einige jedoch auch selbst „massiv mit drauflegten“. Polizeikräfte wurden zurückgedrängt. Nach Informationen der Polizei wurden keine Personen in Zusammenhang mit den Geschehnissen verletzt.
Polizeipräsident Demmler entschuldigt sich bei den Anwohner*innen: „Wir standen vor der Herausforderung, genügend Einsatzkräfte aufgrund der vorherrschenden Situation zeitnah zu akquirieren und parallel in diesem Zeitraum weitere etwa 100 angefallene Einsätze im Stadtgebiet sowie in den Landkreisen Leipzig und Nordsachsen zu bewältigen.“
„Eisi“ für alle?
Dem Ziel der Demonstrant*innen alias Aktivist*innen alias Anarchist*innen alias Chaot*innen, sich den Kiez von der Gentrifizierung zurückzuholen und soziale Freiräume zu erhalten, würden vermutlich viele zustimmen. Ob sie diesem Ziel jedoch in der letzten Nacht nähergekommen sind, ist fraglich. Denn Druckmittel, wie die Besetzer*innen es in ihren Statements nannten, haben sie nun nicht mehr in der Hand.
Nicht nur die potenziellen Verhandlungspartner*innen werden die Geschehnisse der letzten Nacht nutzen, als Vorwand sich vor Verhandlungen zu drücken. Auch die Inklusivität der Aktion ist infrage zu stellen. Denn eine „Eisi für alle“ war das gestern Abend nicht.
Impressionen der vergangenen Nacht
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