Da kämpfen Anwohner und Stadtbezirksbeirat seit Jahren darum, aus der Merseburger Straße einmal so etwas wie eine wirklich lebenswerte Flaniermeile zu machen. Der Stadtrat beschließt 2022, dass genau das geprüft werden soll. Doch das, was die Verwaltung dann im Mai 2023 vorstellte, hat damit nicht mehr viel zu tun. Die Anwohner sind sauer. Um 17.30 Uhr ist heute Bürgergespräch direkt vor Ort auf der Merseburger.
Die Initiativgruppe „Kleine feine Merse“ lädt ein, an diesem von der Stadt organisierten Bürgergespräch unbedingt teilzunehmen. Denn vielleicht ändert es noch etwas. Die Abweichungen zwischen dem eigentlich 2022 Beauftragten und dem, was die Verwaltung dann vorgelegt hat, hat die Initiativgruppe in einem Positionspapier dargelegt.
Es hangelt sich an den Aussagen eines Beitrags entlang, den der MDR am 18. Juni 2022 veröffentlichte. Den die Initiativgruppe aber ziemlich daneben findet: „In diesem Artikel kommen nur Restaurant- und Ladenbesitzer/-innen zu Wort. Dass diese durch eine Umwidmung stark profitieren, liegt auf der Hand. Sicherlich würde es auch Anwohner/-innen einer Nebenstraße freuen, wenn der Rummelplatz in Fußnähe liegt. Aber nicht vor dem eigenen Arbeits- und Schlafzimmerfenster. In diesem Fall werden sie vermutlich eher nicht zustimmen. Diese Darstellung sollte von vornherein als ungültig erklärt werden, da die Anwohner/-innen eines kleinen Straßenabschnitts immer eine Minderheit gegenüber der Bewohnerschaft eines gesamten Viertels darstellen.“
Wieder nur an die Gewerbetreibenden gedacht?
Wenn eine Verwaltung wieder nur in Kategorien von „Wirtschaft“ denkt, kommt natürlich so etwas dabei heraus.
Nur nicht das, was sich die Anwohner eigentlich gewünscht haben: „Es gab bereits im Juni eine öffentliche Stadtbezirksbeiratssitzung zum Thema, die nach einer Anwohner/-innen-Anfrage erfolgte. Hier wurde in der Hauptsache mitgeteilt, dass die Umplanung in letzter Instanz beschlossen ist und dem Bürgermeister zum Unterschreiben vorliegt. In dieser Stadtbezirksbeiratssitzung gab es zwar einen Vortrag über geplante Maßnahmen, der allerdings alle wichtigen Punkte ignorierte (Klimaschutz, Anwohnerschutz, Familienschutz, Einsicht in durchgeführte Überprüfungen). Stattdessen Hauptaugenmerk auf Lastenradstellplätze und Ausnahmen für den erstarkenden Lieferverkehr. Ebenso gab es erst nach Beschwerden ein direktes Anschreiben an alle Anwohner/-innen. Inwiefern gab es ein reales Mitgestaltungsrecht, das über die Bestellung eines Fahrradbügels oder das Einbringen einer Beschwerde hinausgeht?“
Also wieder ein exemplarisches Beispiel für missglückte Bürgerbeteiligung?
Beschlossen wurde die Umstufung der Merseburger Straße am 9. Mai.
In der Sitzung des Stadtbezirksbeirats Leipzig-Altwest am 7. Juni wurde das Projekt dann von der Stadt bzw. ihrem Fußwegebeauftragten Friedemann Goerl vorgestellt.
Die Präsentation zur Umstufung der Merseburger Straße.
Eine Frage der Kommunikation
Und in der öffentlichen Stadtbezirksbeiratssitzung kamen dann schon einige Probleme zur Sprache, die die Anwohner mit den Plänen der Stadt haben.
„Wofür werden Sondernutzungen ausgestellt und wie werden diese infrastrukturell umgesetzt, z.B. Anlieferung für Geschäfte und Möglichkeiten des Be- und Entladens für private Anlieger/Anwohner in dem Abschnitt?
Wie kann die Nachtruhe ab 22 Uhr für die Anwohner durchgesetzt werden? Aufgrund hoher Hitzebelastung im Sommer können die Anwohner nicht bei geschlossenen Fenstern schlafen.
Wie kann generell der Lärmschutz, auch tagsüber, gewährleistet werden?
Inwieweit ist eine Begrünung vorgesehen, z.B. Bepflanzung der Hochbeete in der Straße, Pflanzung von Bäumen und Straßenbegleitgrün, Fassadenbegrünung?
Sollen Stellplätze für KfZ für die Anwohner, z.B. in Nebenstraßen, geschaffen werden und wenn ja, wie und wo?
Wie kann bei künftigen vergleichbaren Maßnahmen die Kommunikation zwischen Stadtverwaltung und Anwohnern verbessert werden, z.B. über Flyer, Amtsblatt, Stadtteilzeitungen, etc.“
„Worum geht es denn eigentlich?“, fragt die Initiativgruppe. „Ursprünglich wurde eine autofreie Zone mit Fokus Fahrradstraße beworben. Die tatsächliche Umsetzung sieht jedoch eine Umwidmung und Förderung als Geschäfts-, Flanier- und Freisitzmeile vor. Schon dieses Framing fördert unserer Meinung nach die Gentrifizierung des Viertels um ein Vielfaches und die daraus entstehende Exklusion von einkommensschwächeren Haushalten wird zu einer noch stärkeren Verschärfung der Sozialproblematik der Stadt beitragen.“
Und sie wundert sich sowieso darüber, dass um das Projekt, das eigentlich Vorbildcharakter für das ganze Stadtgebiet haben sollte, erst ein derartiges Bohei gemacht wird – und dann kommt doch wieder nur ein Stück Gastromeile dabei heraus. Und die dringend benötigte Fahrradstraße fällt einfach flach: „Der Leipziger Westen ist für Fahrradfahrer/-innen und Fußgänger/-innen an anderen Stellen wirklich gefährlich. Anstatt in unserer Straße wäre beispielsweise ein durchgängiges, an den wachsenden Fahrrad- und Fußverkehr angepasstes Straßensicherheitskonzept für die Gießerstraße, die Zschochersche Straße, die Georg-Schwarz-Straße, den Übergang Merseburger/Lütznerstraße oder den Karl-Heine-Kanal weitaus nötiger.“
Bürgergespräch zu Plänen für die Merseburger Straße
Und entsprechend seltsam klingt dann, wenn die Stadt einlädt: „Die Merseburger Straße in Lindenau soll von der Kreuzung Karl-Heine-Straße bis zur Kreuzung Aurelienstraße zu einer kleinen Flaniermeile mit Freisitzen und Geschäften entwickelt werden. Dazu wird am Dienstag, 5. September 2023, ab 17:30 Uhr ein Bürgergespräch vor Ort organisiert.“
Um Freisitze und Geschäfte ging es bei der „Kleinen feinen Merse“ aber eigentlich nur am Rand.
„Vorgesehen ist dafür, parkende Autos und den Durchfahrtsverkehr möglichst draußen zu lassen“, schreibt die Stadt in ihrer Einladung, in der sie noch einmal betont, dass es ihr gar nicht um die Anwohner, sondern um die Gewerbetreibenden geht: „Wie die neue Flaniermeile künftig aussehen soll und welche Lösungen es für Gewerbetreibende gibt, das soll am Dienstag, 5. September, ab 17:30 Uhr in einem Bürgergespräch auf der Merseburger Straße geklärt werden.”
Aber wobei sollen die Anwohner dann noch mitreden können?
„Ziel ist es, für die frei werdenden öffentlichen Flächen Ideen zu sammeln, die in die künftige Gestaltung einfließen können. Weil ein größerer Umbau des Straßenabschnitts derzeit nicht geplant ist, soll im Gespräch für die verschiedenen Ansprüche und Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer Lösungen entwickelt werden. Auch Bedenken, die mit der Umgestaltung einhergehen, sollen diskutiert werden“, erklärt die Stadt zur Einladung am heutigen 5. September.
„Die Einleitung des Verfahrens zur entsprechenden Umwidmung des Straßenabschnittes in einen beschränkt öffentlichen Weg hatte die Stadtspitze im Mai beschlossen. Nach einem formellen Umstufungsverfahren tritt diese voraussichtlich im November in Kraft. Grundlage hierfür ist § 8 des Sächsischen Straßengesetzes. Die Anlieferung für Gewerbetreibende ist demnach künftig nur noch zeitlich beschränkt möglich. Polizei- und Rettungsfahrzeuge sowie Fahrzeuge der Ver- und Entsorgung wären weiterhin zugelassen.“
Der Vor-Ort-Termin: Wer dabei sein möchte, kann am heutigen Dienstag, 5. September, ab 17.30 Uhr auf die Merseburger Straße, Höhe der Hausnummer 31, kommen, wo das Bürgergespräch stattfindet.
Schlechtwettervariante: Bei Regen treffen sich alle Interessierten im Stadtteilbüro Leipziger Westen (Karl-Heine-Straße 54)
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