Wer heute รผber den Augustusplatz lรคuft, der nimmt wie selbstverstรคndlich die Frontansicht des Universitรคtscampus mit Neuem Augusteum und der nachempfundenen Fassade der einstige Paulinerkirche wahr. Fast vergessen ist, was fรผr einen heftigen Streit es um dieses Bauensemble noch vor wenigen Jahren gab. Daran erinnert freilich der Sรคchsische Rechnungshof im 1. Band seines Berichts fรผr 2023. Denn: Warum sind hier die Preise so explodiert?
Oder sind sie das gar nicht? โ Das ist die Frage, die eigentlich hinter dem Versuch des Rechnungshofes steckt, die Vorgaben des Finanzministeriums bei diesem einmaligen Projekt zu hinterfragen.
Denn dass es einmalig war und kein Mensch auch nur wollte, dass am Augustusplatz ein 08/15-Gebรคude hingesetzt wird, nachdem man gerade ein gesichtsloses Gebรคudeensemble aus den 1970er Jahren abgerissen hat, gesteht auch der Sรคchsische Rechnungshof zu: โDer Universitรคtscampus Augustusplatz ist eine sehr komplexe innerstรคdtische Bebauung. In den Jahren 2004 bis 2017 wurden hier sowohl Bestandsgebรคude saniert als auch Neubauten errichtet. In den Jahren 2001/2002 fรผhrte der Freistaat einen 1. Planungswettbewerb durch.
Ein 2. folgte 2003/2004. Die Gesamtmaรnahme bestand aus 5 Bauabschnitten (BA). Die Baumaรnahmen des 1. bis 3. und des 5. BA wurden 2009 an die Universitรคt Leipzig รผbergeben. Der 4. BA mit dem Neuen Augusteum und dem Paulinum wurde 2017 fertiggestellt, wobei einzelne Gebรคudeteile bereits 2012 รผbergeben wurden. Inhaltlicher Schwerpunkt der Prรผfung ist der 4. BA.โ
Das ist genau jener Teil des Campus mit Paulinum โ Aula und Universitรคtskirche St. Pauli und Neuem Augusteum, der vom niederlรคndischen Architekten Erick van Egeraat entworfen wurde und der die Jury damals gerade durch seine unverwechselbare Formensprache รผberzeugte.
Eine Kirche soll es sein!
Dass es zu Bauverzรถgerungen kam, hatte viele Grรผnde. Einer war auch der vรถllig unverhoffte Gesinnungswechsel in der Sรคchsischen Staatsregierung nach dem Rรผcktritt von Kurt Biedenkopf als Ministerprรคsident im Jahr 2002, der dann durch Georg Milbradt abgelรถst wurde. Welcher alsbald den von der Universitรคt selbst vertretenen Konsens aufkรผndigte, der schon lรคnger feststand und in den Gremien so auch beschlossen wurde: eine Universitรคtsaula mit Andachtsraum zu bauen, die das Gedenken an die 1968 gesprengte Paulinerkirche in ihrer Gestaltung sichtbar macht.
Aber da war noch der Paulinerverein, den der Rechnungshof mehrfach erwรคhnt, und der beharrlich dafรผr stritt, dass die gesprengte Paulinerkirche originalgetreu wieder aufgebaut werden sollte. Wofรผr es aber gar keine Fรถrdermittel vom Bund gab, denn die waren fรผr universitรคre Zwecke gebunden. Und die Universitรคt wรผnschte sich eben nicht nur einen Ort fรผr religiรถse Praxis, sondern auch einen fรผr Kongresse und reprรคsentative Veranstaltungen nutzbaren Aularaum und zusรคtzliche Rรคume fรผr Forschung und Lehre. Die befinden sich nรคmlich im hoch aufragenden Dach des Paulinums.
Der Stimmungsumschwung erwischte die Universitรคt kalt. Und es dauerte dann, bis die Staatsregierung zu ihrer vormaligen Haltung zurรผckkehrte, was dann erst den Weg erรถffnete fรผr den Architekturwettbewerb, aus dem dann Erick van Egeraat als Sieger hervorging. Dass seine Raumlรถsungen keine Standardlรถsungen aus dem Baukasten waren, sorgte natรผrlich dafรผr, dass dieser eindrucksvolle Bau deutlich teurer wurde als geplant.
Ein Problem, das der Rechnungshof jetzt zu diskutieren versucht.
Ein Kostendeckel ergab hier gar keinen Sinn
โDer von der Baukommission vorgegebene Kostendeckel nach Standard-Kostenkennwerten zum Zeitpunkt des Erstellens der Entscheidungsunterlage war kein geeignetes Instrument fรผr wirtschaftliches Bauenโ, stellt der Rechnungshof fest. โEr versperrte den Blick auf die realistische kostenseitige Bewertung des nach dem Wettbewerb vorliegenden Entwurfes zum 4. BA. Die zur Umsetzung dieses besonderen Entwurfes notwendigen Kosten wurden damit sukzessive erst im Rahmen der Ausfรผhrung โ also zu einem Zeitpunkt, in dem nur noch bedingt gesteuert werden konnte โ sichtbar.
Selbst mit dem Planungsstand der nachfolgenden Entwurfsunterlage-Bau (EW-Bau) war eine realistische Bewertung der Kosten immer noch nicht mรถglich, da abschlieรende bauherrenseitige Festlegungen zu wesentlichen Bauteilen noch ausstanden. Die Folgen waren Kostenerhรถhungen und Terminverzรถgerungen im weiteren Maรnahmenverlauf.โ
Aber nicht nur damit hat der Rechnungshof ein Problem. Er macht im Nachhinein auch noch eine fehlende รffentlichkeitsbeteiligung aus: โDer SRH empfiehlt, bei zukรผnftigen Baumaรnahmen mit besonderen Rahmenbedingungen in der Phase der Projektvorbereitung den Einsatz geeigneter Instrumente fรผr ein รถffentliches Beteiligungsformat zu prรผfen. Dabei sind die projektspezifischen Besonderheiten frรผhzeitig zu lokalisieren. Eine gute Beteiligung der รffentlichkeit beginnt zu einem Zeitpunkt, in dem noch Entscheidungsspielrรคume bestehen und zielt darauf ab, mit den Beteiligten einen Konsens zu fixieren.โ
Ein Vorwurf, den das Sรคchsische Finanzministerium, das bei allen Bauvorhaben des Freistaats den Hut aufhat, so nicht auf sich sitzen lรคsst.
In der Stellungnahme im Rechnungshofbericht heiรt es dazu: โDas SMF fรผhrt aus, dass die Thematik der Campusbebauung schon viele Jahre in der Leipziger Stadtgesellschaft diskutiert wurde. So fรผhrten bereits 1994 die Stadt Leipzig und der Freistaat Sachsen einen stรคdtebaulichen Ideenwettbewerb โLeipziger Augustusplatz und Universitรคtsarealโ durch. Dadurch sei die รffentlichkeit hinreichend frรผhzeitig beteiligt worden.
Auch im Rahmen des 1. und 2. Planungswettbewerbes sei insbesondere der Paulinerverein e. V. einbezogen und die รffentlichkeit umfassend beteiligt worden. Dies habe jedoch keine โProjektberuhigungโ gebracht.โ
Ein prรคsentabler Kompromiss
Denn tatsรคchlich wurde die Kontroverse auch von einigen Leipziger Medien emsig geschรผrt. Zoff gibt immer Aufmerksamkeit. Auch wenn die eigentlichen Bauverantwortlichen โ die Staatsregierung und die Universitรคtsleitung โ lรคngst einhellig der Meinung sind, dass dieser Neubau mit den gefundenen architektonischen Zitaten der einstigen Paulinerkirche ein Kompromiss war, den man so nicht mehr infrage stellen wollte. Wohl wissend, dass der Augustusplatz damit auch wieder einen architektonisch starken Lรผckenschluss bekommen wรผrde.
Wie weit aber kann รffentlichkeitsbeteiligung gehen, wenn es eigentlich um elementare Belange der Universitรคt Leipzig geht?
Blieb freilich noch das Kostenargument.
โDer Freistaat Sachsen lobte die Wettbewerbe zum Universitรคtskomplex Augustusplatz ohne Kostenvorgabe aus. Damit fehlte eine wesentliche Zielvorgabe. Die Teilnehmer konnten ihre Entwรผrfe frei von wirtschaftlichen Rahmenbedingungen als Wettbewerbsbeitrag einreichen. Letztlich hat sich die Jury fรผr einen Entwurf mit expressiver Architektur und teilweise Unikat-Bauteilen entschieden. Raum fรผr sich spรคter realisierende Kostensteigerungen war geschaffen und die Kostensteuerung des Projektes wesentlich erschwertโ, kritisierte der Rechnungshof.
Zu wenig kalkuliert
Immerhin ging man im Juni 2006 noch von 52,5 Millionen Euro fรผr den gesamten 4. Bauabschnitt aus. Am Ende standen dann 117,1 Millionen Euro zu Buche.
โBezรผglich der durchgefรผhrten Wettbewerbe wรคre eine Kostenvorgabe nur bedingt fรผr die Steuerung dieses herausragenden und einmaligen Projektes geeignet gewesenโ, brachte das Finanzministerium die Schwierigkeit auf den Punkt, die bei der Kostenkalkulation fรผr so ein Unikat besteht. Und zwar immer wieder besteht, wenn man ausgefallene architektonische Lรถsungen fรผr so ein Bauprojekt haben mรถchte.
Entsprechend zurรผckhaltend klingt dann die Empfehlung des Rechnungshofes: โFรผr zukรผnftige Maรnahmen mรผsse die Zielstellung sein, mit einem โRedaktionsschlussโ ohne fortlaufende รnderungen den zielgerichteten Projektverlauf zu gewรคhrleisten. Bezรผglich der durchgefรผhrten Wettbewerbe wรคre eine Kostenvorgabe nur bedingt fรผr die Steuerung dieses herausragenden und einmaligen Projektes geeignet gewesen. Es seien jedoch Kennwerte zu Flรคchen und Kubaturen zu ermitteln gewesen, die dann der Jury als objektive Bewertungsgrundlage fรผr die Wirtschaftlichkeit der Entwรผrfe zur Hand gegeben wurden.
Bei aktuellen Wettbewerben werde das Kostenbudget in der Auslobung bekanntgegeben und eine Aussage der Teilnehmer zur Einhaltung der Kosten verlangt. Oder die Architekten mรผssten das ihrer Meinung nach notwendige Budget selbst einschรคtzen, das dann mit dem vorhandenen Kostenbudget verglichen werde.โ
Aber genau das hatte das Finanzministerium gesagt. Wรคhrend der eigentliche Punkt ungeklรคrt bleibt: Zu welchem Zeitpunkt werden bei so einem Projekt tatsรคchlich die realistischen Baukosten ermittelt? Und sorgen die dann dafรผr, dass รผberhaupt nicht gebaut wird? Denn so erwecken die 2006 kalkulierten 52,5 Millionen Euro den Eindruck, dass die Kosten explodiert sind, obwohl auch 2006 schon klar gewesen sein dรผrfte, dass man diesen Bau fรผr dieses Geld nicht bekommen wรผrde.
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