Leipzigs Skyline wird in wenigen Wochen anders aussehen: Am Vormittag des 10. September soll der alte Schornstein auf dem Gelände der Stadtwerke Leipzig-Südost an der Arno-Nitzsche-Straße gesprengt werden. Damit wurde nun ein Termin offiziell gemacht, über den schon vor kurzem Gerüchte kursierten.
Seit einem Vierteljahrhundert ist er schon nicht mehr in Betrieb, jetzt verabschiedet er sich endgültig aus dem Leipziger Stadtbild: „Am 10. September (Sonntag) wird der 170 Meter hohe Schornstein auf dem Stadtwerke-Gelände Leipzig Südost an der Arno-Nitzsche-Straße gesprengt – zwischen 10.00 und 10.30 Uhr“, teilten die Leipziger Stadtwerke am Donnerstag mit. Der weithin sichtbare Schlot auf dem Gelände des ehemaligen Heizwerks „Max Reimann“ wird dann endgültig Geschichte sein. Gerüchte über den Termin gab es schon vor einigen Wochen, die Stadtwerke wollten ihn auf LZ-Anfrage jedoch nicht explizit bestätigen.
Energieversorgung von morgen
Dabei hätte die „Niederführung“, wie es im Fachjargon heißt, laut ursprünglicher Planung schon vor fast einem Jahr passieren sollen. Aber ein für den 15. September 2022 angesetzter Sprengungstermin wurde aufgrund von Anlieger-Bedenken abgesagt, zunächst in den November und später dann in das Jahr 2023 hinein verschoben. Die Diskussionspunkte mit Eigentümern und Mietern außerhalb des Sperrkreises konnten aber mittlerweile beigelegt werden, so die Stadtwerke am Donnerstag.
„Mit dem 170-Meter-Riesen verschwindet der größte Schornstein im Leipziger Stadtraum. Gleichzeitig wuchs jetzt im Süden eine neue Sehenswürdigkeit in die Höhe: der 60 Meter hohe Wärmespeicher unseres neuen Heizkraftwerkes Leipzig Süd, das nun bereits am Netz ist“, so Maik Piehler, Geschäftsführer der Leipziger Stadtwerke.
„Beide Gebäude haben inhaltlich durchaus miteinander zu tun. Das potenziell wasserstofffähige HKW Leipzig Süd steht für die Energieversorgung von morgen. Es ist ein zentrales Projekt im Rahmen unseres Zukunftskonzepts Fernwärme: In ganz Leipzig entstehen moderne, umweltfreundliche Anlagen, damit die Energieversorgung sicher und nachhaltig bleibt. Von dem ungenutzten Schornstein und seiner Geschichte verabschieden wir uns im September.“
Industriedenkmal mit kurzer Karriere
Auf dem Areal an der Arno-Nitzsche-Straße war Ende des 19. Jahrhunderts ein Gaswerk errichtet worden, bis 1910 sorgten vier nacheinander gebaute Behälter für eine Gasspeicherung und den Druckausgleich im Netz. Zu DDR-Zeiten wurde das Gaswerk 1952 in „Gaskokerei Max Reimann“ umbenannt. Die Ära der Erzeugung von Stadtgas endete hier in den siebziger Jahren und das Gelände wandelte sich dann zu einem Standort der Fernwärmeversorgung.
Erst im Mai 1984 wurde der Grundstein des markanten Schornsteins gelegt, dessen Einsatz zur Rauchgasabführung von 1987 an jedoch überschaubar blieb: Mit dem letzten Kohle-Zug 1996 hatte die Betriebszeit des Riesen bereits nach neun Jahren und etwa 21 Millionen Tonnen verfeuerter Rohbraunkohle ihr Ende gefunden. Immerhin konnte er dann vorübergehend noch zur Übertragung von digitalem Antennenfernsehen dienen.
Städtische Verfügung im Netz einsehbar
Doch inzwischen steht der Schornstein wie ein stummer Zeuge des fossilen Zeitalters in der Gegend und verschlingt Instandhaltungskosten, ohne praktische Nützlichkeit. Die Organisation der Sprengung wird durch die Firma Reinwald übernommen. Bereits 2007 zeichnete das Unternehmen für die Beseitigung der alten Industriehalle am Zoo verantwortlich, die damals dem Gondwanaland weichen musste. Am 10. September werden anliegende Straßen durch eine städtische Allgemeinverfügung gesperrt sein. Nachbarn, Gewerbetreibende und Anwohner sollen vorab detailliert informiert werden, versichern die Stadtwerke.
Sperrkreis muss am Morgen geräumt werden
Ulrike Matthes, Sprengmeisterin der Thüringer Sprenggesellschaft, wird die Sprengung vornehmen, mit 100 Kilo Sprengstoff. „Der Schornstein wird durch eine Dreifach-Faltung mit wechselseitig geöffneten Sprengmäulern in Nord-Süd Richtung niedergeführt.“
Mit einer Staubentwicklung sei zu rechnen, vor allem bei Trockenheit und Wind. Deshalb sollten Anlieger und Anwohner auch über den Sperrkreis hinaus die Fenster schließen, sensible Anlagen abdecken, Rollläden herunterlassen und luftansaugende Anlagen ausschalten. Haustiere dürfen dann auch nicht mehr in der Sperrzone umherlaufen, die am fraglichen Sonntag bis acht Uhr von allen Betroffenen geräumt sein muss.
Die Thüringer Experten haben bereits 454 Schornsteine erfolgreich „niedergeführt“. Darunter waren auch die Stahlbeton-Riesen der Kraftwerke Franken II (202 Meter), Westerholt (300 Meter) und Castrop-Rauxel (230 Meter).
Alles hat seine Zeit
Die Tage des Riesen, sie scheinen nun also endgültig gezählt. Bleibt etwas Wehmut zurück?
Martin Meigen, ein ehemaliger Mitarbeiter der Stadtwerke, der auch am Bau des Heizwerks „Max Reimann“ beteiligt war, urteilt offenbar nüchtern über das Aus des Schornsteins: „Mit ihm verschwindet ein Relikt aus einer Zeit, in der mangels Alternativen die Fernwärmeversorgung vor allem der Neubaugebiete auf Basis von Rohbraunkohle mit starker Umweltbelastung und hohem Arbeitskräfteeinsatz gesichert werden musste. Auch wenn das Heizwerk zu meiner beruflichen Geschichte gehört, trauere ich dem Schornstein nicht nach“, wird der gelernte Verfahrenstechniker auf dem Blog der Stadtwerke zitiert.
Dort stehen auch weitere Detailinformationen rund um die Geschichte des Relikts und die geplante Sprengung bereit.
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