Polizeiprรคsident Renรฉ Demmler wirkt genervt. Er will sich nicht mehr rechtfertigen, so scheint es. Er will nicht mehr die immergleiche Kritik fรผr den Polizeieinsatz am 3. Juni und fรผr die Kessel-Nacht zu hรถren bekommen. Im Jugendhilfeausschuss am Montag sollte besonders der Umgang der Polizei mit den 104 Minderjรคhrigen im Kessel beleuchtet werden. Weniger Demmlers Antworten als mehr ihre Leerstellen, zeigen die Probleme auf.
Denn Demmler wiederholt sich. Er wird nicht mรผde, die Demonstrationslage als zielstrebigen und gewalttรคtigen Mob zu beschreiben. Schilderungen diverser Personen vor Ort und auch von Juliane Nagel beschreiben jedoch eher Panik. Eine Sichtweise, der sich Demmler komplett verschlieรt.
Diskussionen sind nicht mรถglich, denn wer nicht Demmlers Meinung hat, ist entweder unsachlich oder hat eben nicht recht. Auch auf Fragen reagiert er ausweichend. Stattdessen werden die altbekannten Reden von falsch eingeschรคtzter Zahl der Gekesselten und fehlender Kommunikation wiederholt.
Unbeteiligte hรคtten schlieรlich gehen kรถnnen. Keine Minderjรคhrigen hรคtten sich gemeldet, um freiwillig aus dem Kessel herauszukommen. Dass sich Personen, die in die Gefangenensammelstelle gebracht werden, ausziehen mรผssen und dass man zumindest einen Blick auf den Intimbereich werfen mรผsse, sei Standard. Zum Selbstschutz derjenigen in der Zelle.
Alles nur โEinzelfรคlleโ
Demmler versucht immer wieder darauf abzustellen, dass es im Einzelfall natรผrlich zu unglรผcklichen Situationen gekommen sein kรถnne. Damit macht er es sich leicht und ignoriert das tatsรคchliche Problem: Immer wieder machen Jugendliche bei Montagsdemonstrationen oder in privaten Kontexten schlechte Erfahrungen mit der Polizei. Es sind keine Einzelfรคlle. Es ist ein strukturelles Problem.
Wie es mit Schulungen fรผr Polizeikrรคfte fรผr den Umgang mit Minderjรคhrigen in Zukunft aussieht, blieb vage. Hannah Lehmann, Stadtschรผlerratsvorsitzende und Jugendparlamentsmitglied, wollte wissen, inwiefern man die psychischen Folgen fรผr die Jugendlichen bedenke. Demmler antwortete, dass die Maรnahmen alle standardmรครig durchgefรผhrt worden seien. Auch das in die Unterhose schauen. Der Fokus der Polizei scheint klar zu sein. Auf dem Kindeswohl liegt er nicht.
Bei der Nachfrage von Tom Pannwitt vom Stadtjugendring, ob man sich nicht darauf einstellen kรถnne, dass vermehrt auf antifaschistischen Demos junge Menschen in die Polizeimaรnahmen gerieten, hieร es, man sei doch schon im Dialog mit den Jugendlichen und den โEltern gegen Polizeigewaltโ.
Der Dialog scheint nicht so gut zu laufen, denn die โEltern gegen Polizeigewaltโ forderten Demmlers Rรผcktritt. Sie beschreiben Details der sexualisierten Gewalt, die Jugendliche erfuhren, in ihrem offenen Brief. Wenn man es halbwegs positiv formulieren mรถchte: Demmler und seine Polizei scheinen in puncto Kindeswohl in Polizeimaรnahmen nicht sehr gut ausgebildet zu sein.
Demmler verstrickt sich in Widersprรผchen
Oder drastischer formuliert: Am 3. Juni schienen wissentlich und absichtlich die Rechte von Jugendlichen und ihren Sorgeberechtigten durch die Polizei verletzt worden zu sein. So berichteten LVZ und Kreuzer, dass die Polizei weit รผber ihre Handlungsgrenzen gegangen sei, indem sie Minderjรคhrige in die Gefangenensammelstelle gebracht habe, ohne die Eltern zu informieren. Auch gibt es Berichte von Jugendlichen, die nicht aus dem Kessel zu ihren Eltern gehen durften.
Laut Demmler sei so etwas natรผrlich nicht passiert. Auรer in ungรผnstigen Einzelfรคllen. Aber etwas Rechtswidriges habe man nicht getan, wiederholt er auch im Jugendhilfeausschuss. Man habe alle Eltern informiert.
Mittlerweile sprengen die Widersprรผche in den Aussagen der Polizei tatsรคchlich das ertrรคgliche Maร. So heiรt es immer wieder, man habe Minderjรคhrige priorisiert behandelt. Gleichzeitig erzรคhlt Demmler, man konnte vor Ort gar nicht feststellen, ob und wie viele Minderjรคhrige im Kessel waren.
Aber auch neue Argumente zaubert Renรฉ Demmler aus dem Hut: Hรคtte man per Lautsprecher versucht, die Gekesselten รผber ihre Lage, รผber Trinkwasser, Essen und Toiletten zu informieren, hรคtte man schlieรlich die Anwohner*innen massiv gestรถrt.
Bei seiner Pressekonferenz vor zwei Wochen nutzte Demmler diese Argumentation noch nicht. Ob das in der Kessel-Nacht tatsรคchlich einer der Grรผnde war, die Betroffenen ohne Wasser, Essen und Toilette zu lassen, lรคsst sich also bezweifeln. Ob es ein akzeptabler Grund wรคre, steht auf einem anderen Blatt. So oder so wรคren aber laut Demmler die Sprechchรถre der Gekesselten zu laut gewesen.
Das scheint fรผr Demmler alles nicht schlimm zu sein: Gut genug wird immer wieder das Bild der gefรคhrlichen Antifa gezeichnet. Die Polizeimaรnahmen werden fรผr gerechtfertigt gehalten. Dabei fรคllt die tatsรคchliche strafrechtliche Bilanz des Wochenendes eher gering aus.
Gibt es Konsequenzen?
Vielen Kessel-Insassen wurden die Telefone abgenommen. Diese Maรnahme wurde auch gerichtlich bestรคtigt, so Demmler im Ausschuss. Sobald die Beweissicherung abgeschlossen sei, wรผrden die Telefone zurรผckgegeben, spรคtestens aber nach sechs Monaten.
Man suche nun auch den Kontakt zu den Betroffenen. Man wolle sich รผber diese unglรผcklichen โEinzelfรคlleโ unterhalten. Dass die Bereitschaft, nach einer solchen Aktion mit der Institution freiwillig Kontakt aufzunehmen, gering ist, scheint nicht anzukommen. Die Grรผnde dafรผr ignoriert Demmler. Gerade als junger Mensch mit wenig Demo-Erfahrung bleibt ein solches Erlebnis nicht ohne Folgen.
Aber man habe indessen die Nummern zwischen Polizei und Jugendamt ausgetauscht. Dann erreiche man sich beim nรคchsten Mal schneller, wenn was los sei, so Vicki Felthaus, Bรผrgermeisterin fรผr Jugend, Schule und Demokratie. Das ist doch mal eine Lรถsung.
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