Wenn schon der Nachbar gesündigt hat, dann darf auch der neue Bauherr sündigen. Genau so interpretiert das Leipziger Amt für Bauordnung und Denkmalpflege den Paragraph 34 des Baugesetzbuches, der eigentlich einmal für geschlossene Ortslagen geschaffen wurde und nicht für die Ufer von Flüssen. Aber wen kümmert das? Bei uns jedenfalls niemanden, kann man die neuen Antworten aus dem Bauordnungsamt auf eine Einwohneranfrage hin interpretieren.
Da gibt es Umweltschutzgesetze und ein sächsisches Wassergesetz, dass den Verbau von Uferrandstreifen generell verbietet. Aber mit ihren Nachfragen hat Elke Thiess nun deutlich gemacht, dass das bei den Leipziger Genehmigungsinstanzen niemanden interessiert. Ein einziger Satz aus dem Baugesetzbuch reicht, um alle Bedenken vom Tisch zu wischen. Und so erklärt sich auch, warum es auch schon in den vergangenen Jahren so viele Bausünden an der Leipziger Stadtelster gab, die den Fluss mit immer wuchigeren Wohnbebauungen mit Auskragungen über den Fluss bedrängen. Der einstige artenreiche Uferbewuchs verschwand, damit auch der Rückzugsraum der Tiere, die sich normalerweise am Fluss wohlfühlen.
Und diese alten Bausünden sind nun auch wieder Begründung dafür, dass auch das neue an den Fluss geplante Bauprojekt durchgewunken wird.
Ein „Wohnpalais“ am Fluss
Was gebaut werden soll, schildert Elke Thiess kurz und knapp: „Für den Neubau eines Mehrfamilienhauses in der Holbeinstraße 6 a, welches sich direkt an der Weißen Elster (Stadtelster) befindet, sollen nach unserer Kenntnis ca. 500 m² unversiegelte Fläche zzgl. 25 m Gewässerrandstreifen überbaut werden. Geplant ist zudem die vollständige Rodung des vorhandenen Gehölzbestandes (23 Starkbäume auf dem Baugrundstück sowie Gehölze auf Nachbargrundstücken und Straßenbäume im Zufahrtsbereich). Laut Planunterlagen greift die Bebauung mit Tiefgarage in den gesetzlich geschützten Gewässerrandstreifen zur Weißen Elster ein.
Als Gewässerrandstreifen gelten gemäß § 38 (3) des Gesetzes zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhaushaltsgesetz WHG) i.V. mit § 24 (2) SächsWG die zwischen Uferlinie und Böschungsoberkante liegenden Flächen sowie die hieran landseits angrenzenden Flächen. Letztere in einer Breite von 5 Metern. Nach §24 (3) Ziffer 2 SächsWG ist auf dem Gewässerrandstreifen u.a. die Errichtung von baulichen und sonstigen Anlagen, soweit sie nicht standortgebunden oder wasserwirtschaftlich erforderlich sind, grundsätzlich verboten. Eine Befreiung vom wasserrechtlichen Verbot ist nur bei unbilliger und offensichtlich nicht beabsichtigter Härte und bei Vereinbarkeit mit dem Wohle der Allgemeinheit möglich.“
Und genau diese „unbillige Härte“ konstruiert dass Bauordnungsamt, wenn der Bauherr das Ufer nicht verbauen darf.
Die komplette Antwort des Amtes für Bauordnung Denkmalpflege.
In den Nachfragen von Elke Thiess vom AK Natur- und Artenschutz des BUND Leipzig wird noch deutlicher, wie sehr das Bauordnungsamt den Verlust von Grün und Artenvielfalt ignoriert, das sächsische Wassergesetz ebenso. Umwelt-, Arten- und Gewässerschutz sind im Leipziger Bauordnungsamt bis heute nicht als grundlegende Themen angekommen.
Eine „unbillige Härte“ für den armen Bauherrn
Und dass das betreffende Ufergrundstück eines der letzten ist in diesem Bereich der Weißen Elster, das auch Wassertieren noch einen Rückzugsraum bietet, interessiert das Amt genauso wenig.
„Der betreffende Uferbereich der Weißen Elster bedarf auf Grund der Gewässersituation (hohe Frequentierung durch Wassersport und Tourismus) dringend des Erhalts und einer Verbesserung der ökologischen Funktionen. Warum ist hier ein Eingriff in den Gewässerrandstreifen nötig und wie kann dieser durch Planänderung – auch während der Bauphase – vermieden werden (Vermeidungsgebot des § 15 BnatSchG)?“, hatte Elke Thiess jetzt noch einmal nachgefragt.
Aber genau auf diese Frage antwortet das Amt für Bauordnung und Denkmalpflege auf den einen Satz aus dem Baugesetzbuch, der augenscheinlich an der Weißen Elster alle Bausünden entschuldigt: „Das Vorhaben befindet sich im unbeplanten Innenbereich gem. § 34 Baugesetzbuch (BauGB). Zur Beurteilung der Zulässigkeit wird entsprechend des Maß der baulichen Nutzung und der Bauweise (offen oder geschlossen) die nähere Umgebung herangezogen.“
Der eine Satz im Baugesetzbuch lautet: „Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist.“
Nicht der Erhalt eines unersetzlichen Uferrandstreifens ist aus Sicht des Amtes wichtig, sondern allein das Recht des Bauherrn, genauso bauen zu dürfen wie seine Nachbarn.
„Die Grundstücke links und rechts des Baugrundstücks weisen eine Bebauung bis zur Grundstücksgrenze auf. Demnach war das Vorhaben in Bezug auf die grenzständige Bauweise und auch im Maß der baulichen Nutzung, geprägt durch die Umgebung, nicht zu versagen“, meint das Bauordnungsamt in seiner Antwort. „Die Balkone des Bauvorhabens, welche ab dem 1. Obergeschoss geplant sind, kragen über dem Gewässerrandstreifen. Sie stellen damit keine Gefährdung für das Fließgewässer dar.“
Ganz besondere Vorbildwirkungen
Und dann kommt ein Satz, den sich Leipzigs Planer wahrscheinlich schon in Gold eingerahmt an die Wand gehängt haben: „Zudem gibt es in der umliegenden Umgebung bereits Überbauungen des Gewässerrandstreifens, die eine sogenannte Vorwildwirkung hervorrufen.“
Die Überbauung von Uferandstreifen als Vorbild?
Das muss man nicht mehr kommentieren. Auch wenn Elke Thiess natürlich nachfragt. Denn so einfach sollte man doch eigentlich Naturschutz-, Artenschutz- und Gewässerschutzgesetze nicht vom Tisch wischen dürfen.
„Welche Begründung gab es für die Aufhebung des Verbots? Dieser Teil unserer Anfrage wurde von Ihnen bisher nicht beantwortet. Schließlich erlaubt der von Ihnen zitierte § 38 (5) WHG eine Befreiung vom Verbot zur Errichtung baulicher Anlagen im Gewässerrandstreifen gem. § 38 (4) Ziffer 2 WHG i.V.m. § 24 (3) Ziffer 2 SächsWG nur dann, wenn ‘überwiegende Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Maßnahme erfordern oder das Verbot im Einzelfall zu einer unbilligen Härte führt’“, fragte Thiess.
Aber dann kommt ein ganz anonymes „man“ ins Spiel: „Im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens wurde das Gesamtbauvorhaben in der beantragten Kubatur und Bauweise als planungsrechtlich zulässig bewertet. Mit der wasserrechtlichen Entscheidung vom 12.12.2022 wurde gemäß § 38 (4) Ziffer 2 WHG i. V. m. § 24 (3) Ziffer 2 SächsWG eine Befreiung von dem Verbot der Errichtung baulicher Anlagen und sonstigen Anlagen (hier Gebäudeteil mit wasserseitig auskragenden Balkonen) im Gewässerrandstreifen der Weißen Elster erteilt. Die zuständige Behörde kann gemäß § 38 (5) WHG von einem Verbot eine widerrufliche Befreiung erteilen, wenn überwiegende Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Maßnahme erfordern oder das Verbot im Einzelfall zu einer unbilligen Härte führt“, wiederholt das Bauordnungsamt die bekannte Argumentation.
Nur um das klar zu machen, dass das alles eigentlich niemanden interessiert, wenn es um Privateigentum geht.
Eigentum verpflichtet …
„Die Errichtung des Wohnhauses vollständig außerhalb des Gewässerrandstreifens auf dem Grundstück hätte aus den in Frage 1 genannten Gründen eine unbillige Härte für den Bauherrn dargestellt“, meint das Bauordnungsamt und verweist dann gar auf das Grundgesetz: „Im Grundsatz ist die Festsetzung von Gewässerrandstreifen, in denen Einschränkungen gelten, eine gesetzliche Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums i. S. d. Art. 14 I 2 GG.“
Solche Schranken gibt es aber nicht. Sie stehen auch nicht im zitierten Artikel des Grundgesetzes, wo der berühmte, zahnlose Satz steht: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“
Doch die Rechte der Allgemeinheit – zu denen nun einmal auch Umweltschutz und Gewässerschutz gehören – werden hier ganz offensichtlich außer Kraft gesetzt, um den in seinen Rechten möglicherweise gekränkten Eigentümer nicht mit einer unbilligen Härte zu konfrontieren.
Das Bauordnungsamt: „Es bedarf jedoch regelmäßig einer Befreiung, wenn die Regelverbote im Einzelfall zu einer nicht gerechtfertigten Härte führen würden oder Nutzungsmöglichkeiten, die sich nach Lage der Dinge objektiv aufdrängen, bei starrer Anwendung der Regelverbote vereitelt werden würden. Die Möglichkeit einer Befreiung dient auch der Sicherung notwendiger Flexibilität, um besonderen örtlichen Gegebenheiten und geologischen sowie naturräumlichen Besonderheiten im Einzelfall angemessen zu begegnen und auch bezogen auf den Bewirtschaftungsrahmen von Gewässerrandstreifen konkurrierende öffentliche und private Belange in angemessenen Ausgleich zu bringen.
Das Baugrundstück befindet sich in keinem festgesetzten Überschwemmungsgebiet. Im Falle eines Hochwasserereignisses im Gewässer sind demnach durch das Bauvorhaben keine erheblichen Schäden und vor allem keine den Wasserabfluss hindernden Aufstauungen zu erwarten.“
Welcher Allgemeinheit dient dieser Bau?
Was für Elke Thiess natürlich die Frage folgen ließ: „Erläuterung, inwiefern es dem Wohl der Allgemeinheit überwiegend dienlich sein soll, dass für den Bau dieses Gebäudes der Gewässerrandstreifen inkl. sämtlicher Ufervegetation zerstört wird. Ebenso bitten wir um Erläuterung, aus welchen Gründen das Verbot des § 38 (4) Ziffer 2 i.V.m. § 24 (3) Ziffer 2 SächsWG in diesem Fall eine unbillige Härte darstellen würde.“
Das Wassergesetz aber interessiert im Bauordnungsamt niemanden, wie man dann der Antwort entnehmen kann: „Es handelt sich bei dem Flurstück gemäß Flächennutzungsplan der Stadt Leipzig um Bauland. Wie bereits in Frage 1 erläutert, richtet sich die Zulässigkeit eines Bauvorhabens entsprechend § 34 BauGB nach der näheren Umgebung.
Das Vorhaben ist, wie auch die Nachbargebäude, an der Grundstücksgrenze und im Bereich des 5m Gewässerrandstreifens geplant. Eine Härte würde dem Bauherrn gegenüberstehen, die Befreiung zu versagen, da die Nachbarbebauungen bereits planungsrechtlich sowie in der Überbauung des Gewässerrandstreifens eine Vorbildwirkung darstellen.“
Da haben wir die schon oben sichtbar gewordene Argumentation, die schlichtweg darauf hinausläuft: Wenn der Nachbar schon ohne Rücksicht auf Fluss und Tierwelt bauen durfte, warum dann nicht auch ich?
Und auch die letzte Frage von Elke Thiess hatte es in sich, denn sie macht deutlich, dass der Artenschutz in Leipzig eigentlich keine Chance hat und irgendjemand immer erst einmal beweisen muss, dass Bäume und Gehölze Lebensraum für besonders gefährdete Tierarten waren.
„Auf unsere Frage zu Genehmigung, Auflagen und Ersatzpflanzungen für die geplanten Rodungen erfolgte Ihre Antwort lediglich in Bezug auf Gehölze, welche unter den Geltungsbereich der Leipziger Baumschutzsatzung fallen (8 Gehölze + 1 20m lange Hecke). Ist Ihre Antwort so zu verstehen, dass es für die restlichen 13 Bäume keinerlei Ausgleich oder Ersatz geben wird? Wenn ja, warum nicht? Bzw. wie werden diese Fällungen ausgeglichen?“, fragte Elke Thiess.
Die Antwort macht dann deutlich, dass Artenschutz in Leipzig eher ein Nischenthema ist, in Leipzigs Ämtern eigentlich auch eher unbeliebt. Wer will sich denn um Vögel, Igel und Schmetterlinge kümmern, wenn man Bauherren mit einer Freistellung von allen Auflagen beglücken kann?
„Hinsichtlich der Genehmigung und Auflagen kann aufgrund des laufenden Verwaltungsverfahrens behördlicherseits keine Informationen gegeben werden“, meint das Bauordnungsamt. „Seitens der Naturschutzbehörde kann ein Ausgleich für die restlichen 13 Bäume gefordert werden, wenn sie als dauerhafte Fortpflanzungs- und Ruhestätten von Vögeln genutzt werden und in der Umgebung keine adäquaten bzw. zu wenig Strukturen vorhanden sind, in die sich die (potentiellen) Brutvögel zurück ziehen können. Ob und in welchem Umfang das zutrifft, kann erst auf Grundlage des artenschutzfachlichen Gutachtens festgestellt werden, zu welchem der Vorhabenträger aufgefordert wurde. Dieses liegt aktuell (Stand 01.06.2023) noch nicht vor.“
Und quasi auch noch als kleine Ohrfeige für die Fragerin: „Die Baumschutzsatzung ist im Gewässerrandstreifen nicht gültig.“
Mit solchen Antworten kann man sehr deutlich machen, welchen Rang Arten- und Gewässerschutz in Leipzigs Verwaltung eigentlich haben. Und dass es mehrere Ämter gibt, die überhaupt noch nicht verstanden haben, wie brisant das Artensterben und der Verlust von Lebensräumen in Leipzig längst sind.
Es gibt 5 Kommentare
Wie soll man denn da als Privatmensch klagen?
Das können nur direkt Betroffene (z.B. Nachbarn) oder Verbände (z.B. NABU), soweit ich weiß.
Ja, diesmal ist der Artikel besser gelungen, danke.
@fra: §34, nicht Bebauungsplan.
@Alex: wie, die Stadt sollte etwa keine ” Entscheidungen zu Gunsten von Investoren… herbeiführen? Ist nicht bei jeder Baumaßnahme, ob 30km langer asphaltierter Radweg oder Nobelappartementanlage, auch die Natur betroffen und wird geschädigt?
SO einfach ist das alles nicht, finde ich. Inwieweit der §34 hier einfach alle anderen Vorgaben toppt, das kann nur ein Gericht klären. Wer möchte klagen?
Mich würde mal der Bebauungsplan für dieses Gebiet interessieren. Ob der eine Bebauung in Flucht mit den anderen Gebäuden vorschreibt.
Bewegt sich ja fast schon im kriminellen und vorsätzlichen Rahmen, wie in der Stadtverwaltung Leipzig Entscheidungen zu Gunsten von Investoren und zu Lasten der Natur und damit der Allgemeinheit nicht nur gerechtfertigt, sondern augenscheinlich gezielt herbeiführt werden.
Welches Gegengewicht erzeugen dann die entsprechenden Fraktionen von den Grünen, Linken etc. im Stadtrat bzw. wer vertritt dann noch die Interessen des Naturschutzes, der Umwelt und damit künftiger Generationen und der Allgemeinheit ?
Wenn das Bauamt unter Führung des Baubürgermeisters so deutlich pro Investoren bzw. Luxusbauten und gegen jeglichen Schutz von Flora und Fauna bzw. von Innenstadtgrün argumentiert, stellt sich ja schon fast die Frage etwaiger persönlicher Interessen.
Aber das ist sicher bei jahrelangem Miteinander von Investoren und Stadt nur noch schwer zu trennen.
Das Amt für Bauordnung und Denkmalplfege leistet sich einen fatalen Fehler, wenn es argumentiert, dass die schon erfolgte Bebauung der anderen Gewässerrandstreifen dazu führe, dass auch der jetzige Bauherr auf dieses Recht zurückgreifen dürfe. ES GIBT KEINE GLEICHBEHANDLUNG IM UNRECHT!
Aber die Behörden machen es sich mit den unbestimmten Rechtsbegriffen immer ganz leicht, weil die Genehmigungspraxis umso einfacher ist, je schneller ich etwas genehmigen kann. Da gibt´s keine problematischen und zeitraubenden Rückfragen, keine nervige Recherchenotwendigkeit in Gerichtsurteilen oder sonstigen Kommentierungen – gebt, was der Antragsteller will und dann ist die Sache auch schnell vom Tisch. Ob nun “öffentliches Interesse” bei der Fällung von Bäumen innerhalb der Gehölzschutzzeit, oder das “öffentliche Interesse”, dass die Bebauung des Leuschnerplatzes bis an die Straße geschehen muss und dadurch wichtige Strauchstrukturen nicht erhalten bleiben können bis eben jetzt hier zur “unbilligen Härte”. Diese sogenannten “Beschützergaranten” als Ämter sind ne Lachnummer vorm Herrn