Nachdem die Situation in Leipzig sich einen Tag nach „Tag X“ in Solidarität mit Lina E. zunächst entspannt hatte, könnte nun auch der Sonntag brisant werden: Etwa 30 Menschen wurden seit gestern Abend in Polizeigewahrsam genommen, bei 20 von ihnen droht womöglich U-Haft. Eine Solidemo, die Entlassene versorgen will, wurde jetzt offenbar als verbotene Versammlung gekesselt. Die LZ ist vor Ort und verfolgt die Ereignisse.

Etwa 30 bis 40 Personen hatten sich als Unterstützung an der Gefangenen-Sammelstelle Dimitroffstraße zusammengefunden, um entlassene Personen in Empfang zu nehmen und sie mit Essen und Trinken zu versorgen. Jetzt werden sie offenbar als Teilnehmer einer unerlaubten Versammlung behandelt und die Personalien aufgenommen. Bisher geht es nach Einschätzung unseres Reporters vor Ort ruhig und gesittet zu.

Letzte Person aus dem Kessel raus

Um 16:22 Uhr ist inzwischen die letzte Person aus dem Kessel zur Feststellung der Personalien abgeführt worden. Bisher läuft es so ab, dass die Betreffenden herausgezogen, über den Tatverdacht aufgeklärt und belehrt werden, um anschließend ihre Personalien aufzunehmen. In einem separaten Bereich müssen die Personen warten, bis diese Angaben überprüft worden sind.

Die Stimmung ist ruhig, Widerstand gegen die Polizeimaßnahmen und polizeikritische Sprüche bleiben zumindest bislang aus.

Nach Angaben des Journalisten Marco Brás Dos Santos auf Twitter werden 20 der knapp 30 festgenommenen Personen, für die sich die Gekesselten einsetzen, einem Haftrichter vorgeführt. Dies geschieht demnach teilweise vor Ort in der Polizeidirektion, teilweise im Amtsgericht.

Polizei: Gekesselte hätten Ort verlassen können, Betroffene bestreiten dies

Laut Aussage der Polizei hätten die eingekesselten Personen aufgrund einer Durchsage die Chance gehabt, die als verboten bezeichnete politische Versammlung rechtzeitig zu verlassen. Betroffene bestreiten das jedoch auf unsere Nachfrage, es hätte weder per Direktansprache noch per Lautsprecher eine solche Durchsage gegeben.

Demnach hätten sich einige bereits seit dem Morgen vor Ort aufgehalten, nachdem auch online zur Unterstützung der Festgenommenen aufgerufen worden war. Nachdem es zunächst keine Probleme gegeben hatte, hätten sich erst später einige Polizisten in die Nähe gestellt. Die Anmeldung einer Versammlung sei unter Verweis auf die städtische Verordnung verneint worden. Als die Betroffenen sich bereits zum Gehen entschlossen hätten, so schildern sie es, kamen Polizeiwagen an und die Gruppe sei festgesetzt worden.

Marco Böhme vor Ort, rechte Gruppe auch

Unterdessen wird die Situation vor Ort beobachtet, unter anderem durch den linken Landtagsabgeordneten Marco Böhme, der auf dem Fußweg gegenüber eine Versammlung anmelden wollte. Dies hat er inzwischen zurückgenommen, die Beobachtung der Situation gegenüber der Wache auf der anderen Seite vom Peterssteinweg darf auch so stattfinden, gemäß geltender Verfügung der Stadt Leipzig jedoch ohne Bezug zu Lina E. und dem Prozess.

Um 16:45 Uhr befinden sich noch immer Personen in Maßnahmen, während etwa 20 Personen dem spontanen Zusammentreffen um Marco Böhme beiwohnen. Bisher ist alles ruhig. Allerdings werden mehrere Personen des rechten Spektrums aus dem Umfeld der sogenannten Montagsdemos beobachtet, welche die laufende Polizeimaßnahme filmen. Offenbar filmt ein Kamerawagen der Polizei jetzt wiederum auch in deren Richtung.

Maßnahme wurde beendet, mutmaßlich Unbeteiligte kontrolliert

Kurz nach 17 Uhr sind alle eingekesselten Personen frei, die Maßnahme wurde beendet. Die Leute verlassen den Ort in verschiedene Richtungen. Nach wie vor gilt ein Zusammentreffen beschriebener Art aus Sicht der Polizei offenbar als politische Versammlung, die wegen der aktuellen Allgemeinverfügung der Stadt verboten sei. Vom Kessel Betroffene geben zudem an, dass auch zwei zufällig vorbeilaufende Personen, die nicht beteiligt waren, mit festgesetzt worden seien, als die Gesetzeshüter die Gruppe einschlossen.

Die Polizistinnen und Polizisten hätten diese Erklärung nicht akzeptiert, sodass nun auch mutmaßlich nicht involvierte Personen ihre Personalien abgeben mussten und ihnen eine Ordnungswidrigkeits-Anzeige ins Haus flattern wird. Gegenüber der Wache sind es geschätzt 50 Personen geworden, welche die Situation zuletzt beobachten.

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