Was macht man nun mit diesem kleinen Stück wilder Natur an der Döbelner Straße in Stötteritz, die nach den Plänen der Stadt bzw. eines privaten Investors neue Wohnbebauung weichen soll, wenn nebenan eine neue Schule gebaut wird? Im Februar startete Jana Franke mit Unterstützung des Ökolöwen eine Petition, mit der der Erhalt dieses wertvollen Stücks Restnatur gefordert wurde.
„Es ist absurd, in diesen Zeiten des Waldsterbens und Klimawandels ein wertvolles Stück Natur zu vernichten, das es bereits gibt, um irgendwo anders eines (auf dem Papier?) entstehen zu lassen. Wir glauben nicht, dass dieses Vorhaben ernsthaft in die Tat umgesetzt wird und dass geeignete Flächen gefunden würden in einem städtischen Raum, in dem es kaum noch freie Flächen gibt. Dieser kleine Wald ist natürlich gewachsen und hat daher den vergangenen Hitzesommern wesentlich besser getrotzt als das Stötteritzer Wäldchen“, schrieb Jana Franke in ihrer Petition.
„Die Freifläche stellt einen wertvollen Rückzugsort für Tiere dar. Sie war durch die Umzäunung unzugänglich für Menschen, Hunde und Müll, den man in der Umgebung leider in Größenordnungen bis hin zum Kühlschrank vorfindet. Gleichzeitig ist sie durch die unmittelbare Nachbarschaft an das Stötteritzer Wäldchen angebunden.“
Und irgendwie ist das Dezernat Stadtentwicklung und Bau ganz auf der Seite von Jana Franke und hat dieselben Bauchschmerzen. Mit lauter amtlichen Abers.
Welche Balance findet man?
„In der Petition werden einige der aktuell drängendsten Herausforderungen einer nachhaltigen Stadtentwicklung in der wachsenden Stadt angesprochen.
Einerseits die akzeptierte Sicherung notwendiger Schulkapazitäten als zukunftsorientierter Lernort im Versorgungsraum (Zukunftsorientierte Kita- und Schulangebote), andererseits das Bedürfnis, Natur zu schützen, diesen Teil unbebaut zu lassen und nicht eine mit Altlasten belastete Gewerbebrache zugunsten dringend benötigter, sozial geförderter Geschosswohnungen (Bezahlbares Wohnen) baulich zu entwickeln“, schreibt das Dezernat in seiner Stellungnahme zur Petition.
„Der Standort ist infrastrukturell gut erschlossen und bei der Wiedernutzung können die angesprochenen stadtökologischen Aspekte im Bebauungskonzept und in der Grüngestaltung berücksichtigt werden (Balance zwischen Verdichtung und Freiraum).“
Aber wie ist das nun mit der so üppig von Bäumen und Büschen bewachsenen Fläche?
„Die in Privatbesitz befindliche Planungsfläche an der Döbelner Straße, die nicht Bestandteil des östlich gelegenen Landschaftsschutzgebietes ‚Östliche Rietzschke – Stünz‘ ist, wurde bis 2005 gewerblich-industriell genutzt (Fertigung Galvanik, ehemals Siemens Nachrichtentechnik, ehemalige Tankstelle) und stellt sich nach Abbruch der Gebäude heute als Brache mit unkontrollierter Sukzession, zwei Lagerplätzen und teilweise noch befestigten Flächen dar“, beschreibt das Planungsdezernat das Gelände.
„Auch wenn die Fläche heute durch den Pionieraufwuchs grün erscheint und einen wichtigen ökologischen Wert hat, ist zu beachten, dass auf diesem Altgewerbestandort sich Altlasten befinden und keine Tiefenenttrümmerung stattgefunden hat. Ein allgemeines, gefahrloses Betreten der Fläche ist somit nicht möglich. Aufgrund einer Einzäunung ist die Fläche nicht zugänglich und dient nicht der Erholungsfunktion.“
Gewerbliche Baufläche und eine Straßentrasse
Im gültigen Flächennutzungsplan der Stadt Leipzig (Stadtratsbeschluss am 24.03.2021, Bekanntmachung der Genehmigung am 25.03.2021) wird das Plangebiet überwiegend als „Gewerbliche Baufläche“ dargestellt.
Kleine Überraschung: „Am nordwestlichen Rand ist diese Fläche teilweise mit ‚Trassenkorridor für eine mögliche Straßenführung‘ gekennzeichnet. Dies betrifft die noch bestehende sog. Bahnvariante des Mittleren Rings Südost.“
Diese Trasse wird bis 2025 frei gehalten. Dann will die Stadt ihre Untersuchung vorlegen, ob der Mittlere Ring im Leipziger Verkehrssystem überhaupt einen Sinn ergibt und wen dieses neu zu projektierende Straßenstück überhaupt entlasten würde.
„Im Landschaftsplan (2013) wird der Bereich als Fläche für ‚Industrie- und Gewerbegebiete‘ dargestellt“, stellt das Planungsdezernat fest. „Über dem Plangebiet liegt die Schraffur ‚Entwicklung (Anreicherung) von Lebensräumen in bebauten Gebieten‘. Insofern verfolgt die planerische Intention die Beseitigung der Missstände und Altlasten in Verbindung mit einer baulichen Nachentwicklung zugunsten der Bedarfe der wachsenden Stadt Leipzig.“
Bedarfe vs. Lebensräume
Aber wie können da dann die Lebensräume überhaupt bewahrt, geschweige denn „angereichert“ werden?
„Im Rahmen der Bestandsaufnahme und Ausarbeitung des Vorentwurfs erfolgten im Plangebiet umfangreiche Erhebungen der Flächennutzungs- und Biotoptypen, des Gehölzbestands und der Vegetation sowie verschiedener Tierarten, deren Ergebnisse mit dem Amt für Umweltschutz abgestimmt und in die Planung integriert wurden“, meint das Planungsdezernat.
Und betont: „Das Plangebiet befindet sich in keinem Schutzgebiet. Das nächstgelegene Schutzgebiet ist das Landschaftsschutzgebiet (LSG) ‚Östliche Rietzschke – Stünz‘, welches im Osten parallel zum Wald unmittelbar an das Plangebiet angrenzt.
Es sind keine Auswirkungen der Planung auch mit der Wohnbebauung auf das LSG zu erwarten, da die Flächen im LSG durch das Planvorhaben nicht beansprucht werden und zwischen LSG und geplanter Bebauung ein 30 m Pufferstreifen (gleichzeitig Waldabstandsstreifen) angelegt wird. Darüber hinaus wird keine Erweiterung des vorhandenen Schutzgebietes verfolgt.“
Aber dann wird es ganz kompliziert.
Denn an den im Bebauungsplan Nr. 443 „Gemeinbedarfsfläche Döbelner Straße“ festgelegten Flächenaufteilungen möchte die Stadt eigentlich nichts ändern.
„Im Plangebiet sind umfangreiche grünordnerische, artenschutzrechtliche und mikroklimawirksame Maßnahmen geplant, welche die Ziele des Landschaftsplanes erfüllen. Neben dem Erhalt großer Teile der Bestandsvegetation sind auch viele Neupflanzungen vorgesehen. Des Weiteren sind Gebäudebegrünungen (Schulgebäude & Wohngebäude), Fassaden- und extensive Dachbegrünung, angedacht“, schreibt das Planungsdezernat.
Obwohl von einem „Erhalt großer Teile der Bestandsvegetation“ nicht wirklich die Rede sein kann, den der größte Teil des gewachsenen Wäldchens wird der geplanten Wohnbebauung weichen müssen. Nur östlich davon bleibt der 30 Meter breite Streifen erhalten, der in der Plankarte als „Extensivwiese mit Einzelbäumen“ ausgewiesen ist. Mit einem kleinen Bereich „Zauneidechsenlebensraum“.
Von einem Erhalt des Wäldchens ist dort keine Rede.
Das öffentliche und private Interesse
„Es sind gewichtige Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses, hier sozialer Art (Grundschule, sozial geförderter Wohnraum), die mit wichtigen Forderungen des Arten- und Naturschutzes i. V. m. Ersatz- und Kompensationsmaßnahmen in Einklang zu bringen sind“, beschreibt das Planungsdezernat den Spagat, den man jetzt irgendwie hinzubekommen versucht.
„Nach dem bisherigen Stand soll zum Bebauungsplanentwurf hin an den Grundzügen der Planung festgehalten werden. Im weiteren Ablauf des Planverfahrens werden auf Grundlage der Auswertung der frühzeitigen Beteiligungen von Behörden und Öffentlichkeit gemeinsam mit der Planbegünstigten und den Planern Lösungen zur Qualifizierung des planinternen Ausgleichs am Standort und extern untersucht. Ziel dieser Untersuchung ist es, die richtige Balance zwischen Verdichtung und Freiraum auf den Bauflächen zu klären.“
Balance heißt aber nicht Erhalt.
Und das formuliert das Planungsdezernat dann auch recht deutlich: „Letztlich ist jedoch die Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB einzig der Bauleitplanung vorbehalten. Danach ist innerhalb des Aufstellungsverfahrens eine gerechte Abwägung aller öffentlichen und privaten Belange untereinander und gegeneinander vorzunehmen.“
Es sieht also für den Erhalt des Wädchens ganz schlecht aus.
Aber was passiert nun mit dem Anliegen der Petition?
„Daher soll diese Petition ebenso wie andere, im Grunde gleichlautende Einwendungen aus der frühzeitigen Beteiligung im weiteren Planverfahren berücksichtigt und in die Abwägung eingestellt werden.
Es wäre einem rechtlich unzulässigen Abwägungsausfall gleichzusetzen, wenn die Inhalte einer vom Stadtrat während eines noch laufenden Planverfahrens angenommenen Petition von vornherein höher gewichtet würden und die ebenfalls zu berücksichtigenden privaten Belange (z. B. die wirtschaftliche Ausnutzung des eigenen Grundstücks) in diesem Kontext keine angemessene Berücksichtigung finden und von vornherein geringer gewichtet würden.“
Und so folgt auch der Petitionsausschuss der Sichtweise der Verwaltung und schlägt der Ratsversammlung zum Beschluss vor: „Die Petition wird im Aufstellungsverfahren Bebauungsplan Nr. 443 ‚Gemeinbedarfsfläche Döbelner Straße‘ im Rahmen der Beteiligung berücksichtigt und in die planerische Abwägung eingestellt.“
Es gibt 3 Kommentare
WENN irgendwann mal Ökosystemleistungen Bestandteil der Baukostenkalkulation sein sollten, erst dann wird man anfangen, Flächen in Anspruch zu nehmen, die derzeit mit Ruinen besetzt sind (bspw. wie auch an der Schönbachstraße zwischen Papiermühlstraße und Melscher Straße westlich hinter der Frontbebauung liegend).
Wichtig ist: Niemand zwingt die Stadt zur Bauleitplanung, sie entscheidet sich, diese Flächen zu nutzen. Und das kommt in der Debatte um die Petition zu kurz.
Die Stadt Kassel hat erkannt wie derartige Probleme gelöst werden können. https://www.hessenschau.de/tv-sendung/weitergedreht-urbane-wald-gaerten-in-hessen,video-183230.html
Es ist halt wie immer: Natur hat sich den Bedürfnissen des Menschen unterzuordnen. Lebensraum wird vernichtet um an anderer Stelle “ausgeglichen” zu werden. Dieses Konstrukt “Ausgleichsmaßnahmen” in Bezug auf Baumaßnahmen hat uns an den Rand des Abgrunds gebracht: 78% der Insektenmasse ist weg, wir leben mitten im 6. massenhaften Artensterben. Aber das darf man ja nicht anführen in solchen Bauverfahren, denn das bringt einen in den RUf, dass man nicht das WOhl der Kommune, der Menschen vor Augen hätte. Meine ENkelin wird es wohl bereits erleben, wohin das führt.